Kapitel 1

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Die alte, hölzerne Standuhr schlug mit ihrem dumpfen Läuten genau 12:00 Uhr, als ich plitschnass in die alten Gemäuer der vertrauten Villa trat und leicht verärgert nach Luft schnappte. Ich hatte meine Gründe für so miese Laune und einer davon war der furchtbare Regen. Seit Tagen wollte er nicht aufhören vom Himmel zu fallen und auf den Straßen herrschte deswegen das pure Chaos. Freundlicherweise hatte sich mein Freund Mark geopfert, um mich nach Hause zu fahren. "Dafür gehör ich doch nur dir.", hatte er zu gesagt und mir schmunzelnd auf die Stirn geküsst. Wie süß er doch sein konnte! Gedankenverloren lehne ich mich an die Heizung und kämme mir mit der Hand die nassen Haare aus dem Gesicht. Schmunzelnd werde ich von der zuschlagenden Tür wieder in die Gegenwart gerissen und jede Fröhlichkeit weicht wieder aus mir. Der zweite Grund für meine Falten im Gesicht war meine Mom. Seit mein Vater von keinem Menschen mehr gesehen wurde, fing sie an zu trinken und lief von einer Party auf die nächste. Das ärgerte mich besonders, weil ausgerechnet sie diejenige war, die immer gesagt hatte, ich solle die Finger von sowas lassen. Kälte überrollt mich bei dem Gedanken und ich machte mich zitternd an meinen Schuhen zu schaffen. Sie ließen sich vor Nässe kaum abstreifen und ich zerrte ungeduldig an ihnen, bis sie klitschnass auf den weißen Marmorboden fielen. Jede Faser meiner weißen Baumwollstrumpfhose fühlten sich wie unangenehme Leinen an und ich streifte meine Schuljacke ab. Achtlos fiel sie auf den Boden und mir war es auch irgentwie egal. Ich schnappte mir meine Schultasche und ging mit schnellem Schritt den langen, hohen Flur entlang. Nichts hatte sich verändert seit meiner Abreise. Die bodenlangen Fenster zur Gartenseite hatten keinen einzigen Streifen und die weiße Kommode besaß auch keinen Staub. Selbst die riesige Vase in der Mitte des weißen, modernen Wohnzimmers hatte frische Blumen, die einen angenehmen Duft in der Luft ließen. Keine Veränderung wurde vorgenommen und doch kam es mir völlig anders vor. Wenn mir jemandem gesagt hätte, hier drin lebe eine Alkoholikerin, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt. Allein schon bei dem Preis dieser Hütte. Die Küche mit der weißen Marmorinsel glänzte wie neu gekauft und in den Schränken lächelten mir genau hundert perfekt aneinander gereite Teller entgegen. "Nicht schlecht.", flüsterte ich zu mir selbst und betrachtete mein Spiegelbild in dem gepflegten Porzellan. Mein besorgter Blick sah etwas seltsam aus und ich versucht neutral zu schauen. Von meinem Make-Up sollten wir lieber nicht reden, denn so etwas grausiges sieht man selten. Ich schnaupte verächtlich und widmete mich wieder dem Weg zur ewig langen Wendeltreppe, da der Fahrstuhl kapputt war (das hatte mir meine Mutter per Telefon berichtet).

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