III. Kakteen

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Mein Tag heute war erstaunlich ruhig. Die wenigen Kunden, die kamen, waren Stammkunden und meistens, wie auch heute, für die gleichen Pflanzen hier. Ich sah die Kakteen an, die sich bei uns zurzeit am besten verkauften, was wahrscheinlich daran lag, dass es eine der wenigen Pflanzen war, die Isaiah nicht zaubern konnte. Zumindest versuchte er es gar nicht und er wollte mir auch nie wirklich erzählen, warum.

Er hatte sich spezialisiert auf Blumen, was wahrscheinlich ein wenig an dem Druck von Alma lag, dass er perfekt sein musste. Kakteen waren nie wirklich perfekt. Zumindest im Vergleich zu anderen farbenfrohen Blumen. Sie sind im Normalfall nicht symmetrisch, und von den Stacheln fange ich gar nicht erst an. Kakteen waren eben nicht das typische Hübsch, aber richtige Kenner erkannten auch ihre Schönheit. Allerdings stand Isaiah eben nur für das typische Hübsch, auch wenn ich glaube, dass ihm das manchmal zu schaffen macht. Nein, ich glaube es nicht nur, ich weiß es.

Denn in dem seltenen Fall, dass wir mal allein im Laden sind oder irgendwo sonst, bröckelt dieses perfekte Bild, das sich Isaiah Madrigal nennt, ein klein wenig. Selbst wenn er nur nicht mehr ganz so perfekt gerade da stand oder einfach ein wenig entspannter wirkte. Lockere Haltung, kein aufgesetztes Lächeln - was er zugegebenermaßen bis aufs Äußerste perfektioniert hatte - und, was ich persönlich am besten fand, er sprach einfach darüber, was ihm in den Kopf kam und dachte erst eine Sekunde später darüber nach. Das würde er sich sonst nicht erlauben. Seine Worte waren immer weise gewählt.

Wo man gerade von der Perfektion in Person sprach, schlenderte er auch schon vor dem Laden vorbei. Durch die großen Glasfenster, auch wenn sie mit einigen Pflanzen zugestellt waren, hatte ich einen guten Blick auf ihn. Ich hatte nichts zu tun, weshalb ich mir wohl einen Blick erlauben durfte.

Er drehte sich im Kreis, während die Leute um ihn herum klatschten, als eine Reihe von verschiedensten Blumen auf dem Gehweg wuchs. Ein wenig dreist, das vor unseren Laden zu machen, aber ich lächelte nur kopfschüttelnd. Es war ja nicht das erste Mal.

Das Lächeln auf seinen Lippen sah zufrieden aus, was ich ihm auch abkaufte. Wenn er seine Gabe benutzte, hatte er immer dieses Lächeln auf den Lippen. Als er mich dann durch die Schaufenster sah, grinste er, bevor er anscheinend etwas bei dem Haus rechts neben uns bemerkte. Sein Grinsen wurde schnell mit einem für mich sichtlich aufgesetzten Lächeln ersetzt, bevor er weiterging.

Rechts neben uns? Unsere Nachbarn waren die Guzmáns, aber mir würde spontan nichts einfallen, was ihm sein Lächeln so aus dem Gesicht schlug. Ich meine, ja, es ist bekannt, dass Mariana Guzmán für ihn schwärmt, aber das sollte für ihn nichts Neues sein.

Plötzlich stand meine Mutter neben mir, was mich weg zucken ließ. Sie lächelte zuerst traurig aus dem Fenster, bevor sie zu mir blickte. "Hast du schon gehört? Isaiah ist verlobt."

Sie hätte mir auch in den Bauch treten können und ich hätte keinen Unterschied gemerkt. "Was?"

Warum interessiert es mich überhaupt?

Weil du dich die letzten Jahre angelogen hast?

Sei nicht albern.

"Señora Guzmán hat es mir heute Morgen erzählt. Isaiah und Mariana sind verlobt." Warum setzt er dann ein gezwungenes Lächeln auf, wenn sie seine Verlobte ist? Oder habe ich das doch falsch gedeutet? "Nein, das wusste ich noch nicht."

Ich habe ihn vorgestern erst gesehen. Warum hat er mir das nicht erzählt? Ich schüttelte mit dem Kopf, um den Gedanken nicht noch weiterzuführen. "Ist schon schade. Ich habe immer gedacht, dass ihr irgendwann zusammenkommt."

Ich konnte fühlen, wie meine Wangen rot wurden, als ich zu meiner Mutter hochsah. "Du hast was?" "Muss ich dir die Hörgeräte deiner Abuela holen?", fragte sie spaßeshalber. "Nein, ich habe dich schon verstanden, aber ... wirklich?" "Ja, wirklich, María. Aber da hat mein Mutterinstinkt mich wohl getäuscht. Ach, und ich wollte dich fragen, ob du mit zur Casita Madrigal kommen willst? Wir wollten ein wenig bei den Vorbereitungen für Antonios Zeremonie helfen, aber ich verstehe, wenn du nur heute Abend mitkommen willst", erklärte sie und sah in die Richtung, in die Isaiah verschwunden war.

"Irgendjemand muss doch auf den Laden aufpassen. Geht ihr ruhig." "Wenn du meinst." Sie gab mir noch einen Kuss auf die Stirn, bevor sie durch die Tür nach draußen ging.

In Gedanken stützte ich mich auf der Theke ab und starrte auf die Pflanzen vor mir. Isaiah wird heiraten. Früher oder später hätte ich es mir denken müssen. Er ist ja schon einundzwanzig. Noch dazu bekommt er sicherlich viel Druck von Alma, dass sie bald Urenkel möchte, die ganz viele tolle Gaben haben. Er hatte mal erwähnt, dass sie sowas öfter sagte, nachdem seine Schwester Mirabel keine Gabe bekommen hatte. Hoffen wir, dass Antonios Zeremonie besser läuft, sonst hat Isaiah und auch alle anderen Madrigals noch mehr Druck.

Allerdings hatte Alma schon immer ein Auge auf Isaiah gehabt. Er war der älteste Enkel. Ich schätze mal, dass er deshalb die Perfektion so anstrebte. Vielleicht wurde der Druck nur noch schlimmer, nachdem Bruno verschwunden war. Das ist aber nur Spekulation. Isaiah redet ungern über Probleme.

Ich konnte mir aber gut vorstellen, dass sie von ihm nur noch mehr Perfektion abverlangte, wenn zuerst eine Gabenzeremonie nicht funktionierte und dann auch noch eins ihrer Kinder verschwand. Die Sache mit den Urenkeln ist nur die Kirsche auf der Torte. Ich meine, er ist einundzwanzig. Ich bezweifle, dass er jetzt schon an Kinder denkt. Zumindest hat er mir gegenüber sowas noch nie geäußert. Wir hatten nur einmal darüber geredet, dass wir irgendwann mal Kinder haben wollen. Das war vor einem Jahr oder so. Ich bezweifle, dass sein irgendwann nicht ein Jahr später war. Und jemanden zu zwingen, Kinder zu bekommen, ist absolut absurd.

Die Verlobung kam auch irgendwie aus dem Nichts. Ich meine, ich wusste nicht einmal, dass die beiden zusammen waren. Sowas hätte Isaiah mir doch erzählt, oder? Vielleicht hat Alma ihn auch dazu überredet, weil Mariana eins der schönsten, wenn nicht sogar das schönste Mädchen im Encanto war. Aber sowas will ich nicht vermuten. Das wäre ziemlich fies.

Ich kannte Mariana immerhin kaum. Ja, wir waren Nachbarn, aber mehr dann auch nicht. Wir grüßten uns, wenn wir uns sahen, und damit hatte es sich dann auch. Vielleicht war sie eine überaus nette Frau, die perfekt zu Isaiah passte, und ich bastelte mir hier in meinem Kopf irgendwelche Theorien zusammen. Das wäre nicht fair, den beiden gegenüber.

Ich sollte sowieso aufhören, darüber nachzudenken, wenn es mir bei dem Gedanken weiter so in der Brust zieht.

Glücklicherweise erlöste mich die Klingel, die über unserer Eingangstür hing, aus meinen Gedanken, als eine Kundin hereinspazierte. "Hola, María. Ich brauche Blumen."

Ich musste leicht lachen und das Ziehen in meiner Brust minderte sich. Ablenkung hilft immer. "Da sollten wir etwas finden."


Meine Lilie (m.Isabela Madrigal - Encanto)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt