II. Geburtstag

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Obwohl Isaiah mit seiner Gabe nicht gerade ein Segen des Himmels für unseren Laden war, blieb Martínez' Blumenhaus weiter bestehen. Denn a) kauften die Bürger des Encanto immer noch bei uns Blumen, ob nun aus Mitleid oder weil sie es wirklich wollten, sei dahingestellt, und b) hatte Isaiah nun auch nicht für jede Blumenanfrage Zeit. Außerdem lernte er erst über die Jahre, wie man bestimmte Blumenarten kreierte. Wie der Zufall es so wollte, waren Lilien eine besondere Herausforderung für ihn.

Ich kann mich noch recht genau erinnern, wie er an meinem vierzehnten Geburtstag, zehn Jahre nach seiner Gabenzeremonie, in unseren Laden gestürmt kam. In dem Moment war ich gerade im Obergeschoss, wo sich unser Wohnbereich befindet, und bewunderte gerade meine Glaskugel mit einer Lilie darin, die mir meine Großmutter geschenkt hatte. Ich lag auf dem Rücken und hielt die Kugel mit ausgestreckten Armen über meinem Kopf, wobei sich das Licht in der Glaskugel reflektierte und sie glänzen ließ.

Den ganzen Tag schon hatten die Leute, die in den Laden kamen, Lilien bestellt, damit ich herunterkam und sie mir zum Geburtstag gratulieren konnten. Ich hatte ein Licht in meinem Zimmer, das Papa eingebaut hatte, welches leuchtete, wenn er oder Mama unten einen Knopf unter der Theke drückten. Unser Zeichen, wenn jemand nach mir fragt. Mein Papa sagte immer, dass man ziemlich leicht unterscheiden konnte, ob jemand einfach nur Lilien kaufen wollte oder ob man Lilien kaufte, um mit mir zu reden. Meistens waren es die alten Leute, die mich sehen wollten, um mir zu sagen, wie groß ich doch geworden bin, doch manchmal kamen auch Jungs, die etwas von mir wollten, allerdings war Papa dem schnell auf die Schliche gekommen und drückte den Knopf einfach nicht mehr. Aber das hatte sich bis heute nicht geändert. Manchmal bin ich mir bei ihm nicht sicher, ob er überhaupt will, dass ich irgendwann einen Freund habe, aber das ist gerade nebensächlich.

Jedenfalls ersparte sich Isaiah den ganzen Trubel mit Papa, als Mama hinter der Theke stand. Laut seiner Aussage winkte sie ihn gleich durch. Wenig später klopfte es auch schon an meiner Tür.

Mit Vorsicht legte ich die Kugel weg, bevor ich ihn hereinrief. Ich hatte allerdings nicht Isaiah, sondern einen meiner Eltern erwartet, weshalb ich kurz geschockt war, als der Blumenzauberer vor meiner Tür stand. Es war nicht das erste Mal, dass er bei mir zu Hause war, immerhin waren wir zu dem Zeitpunkt schon zehn Jahre befreundet, aber erwartet hatte ich ihn nicht.

Er lächelte über beide Ohren, als er eintrat und sich vor mich setzte. "Du glaubst nicht, was ich kann." Sein Lächeln war ansteckend. "Du willst mir doch nicht etwa eine Blume zum Geburtstag zaubern?" "Nicht irgendeine Blume, Lilie."

Konzentriert hielt er die Hände nebeneinander und formte eine Schale. Er atmete einmal tief durch und schloss die Augen. Ich konnte ihn nur anstarren, während er versuchte, seine Gabe einzusetzen. Genau, kann ich mich nicht erinnern, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass ich da schon irgendwie auf ihn stand. Vielleicht waren es nur die Anfänge, aber früher oder später musste es passieren. Ich meine, man braucht sich den Jungen nur anzuschauen. Das halbe Dorf stand auf ihn. Über die Jahre ist sein Aussehen nur noch besser geworden. Ich glaube, dieser Junge hatte nie eine schlechte Phase, selbst nicht als Teenager. Noch dazu hat er diese goldige Persönlichkeit, bei der der Mädchenschwarm, der ihm folgte, nur vorprogrammiert war. Allerdings hatte ich mir vom Schwärmen abgeschworen. Isaiah war tabu. Zumindest habe ich mir das über die Jahre eingeredet.

Jedenfalls war die Wortwahl 'Er versuchte' die richtige Wahl gewesen, denn selbst nach ein paar Sekunden des aufgeregten Wartens erschien absolut nichts in seinen Händen.

Sein Lächeln gefror, als er die Augen öffnete. Schnell räusperte er sich und schüttelte seine Hände aus, bevor er durchatmete. Er versuchte es nochmal, nur dass seine Hände nun leicht zitterten. Er wurde nervös.

"Isaiah, tief durchatmen. Es ist nicht schlimm, wenn du es jetzt nicht hinbekommst. Der Vorführeffekt kann manchmal ziemlich mies sein. Sag mir einfach, was du mir zeigen wolltest oder du zeigst es mir ein andermal."

Schnell schüttelte er mit dem Kopf. "Nein, ich kriege das hin. Ich muss es hinkriegen. Du hast nur heute Geburtstag." Das entlockte mir ein sanftes Lachen. "Ich hab auch nächstes Jahr Geburtstag und bis dahin hast du, was auch immer du mir zeigen wolltest, perfektioniert. Dann funktioniert das mit einem Fingerschnippen. Mach dir keinen Druck. Ich kann warten."

Isaiahs Hände hörten auf zu zittern, während er sanft lächelte. "Das weiß ich, aber ich habe es vorhin auch geschafft. Nochmal sollte kein Problem sein." Ein letztes Mal schüttelte er seine Hände aus, bevor er es noch einmal versuchte. Diesmal erschien allerdings eine schlichte weiße Lilie, auch Madonnen-Lilie bezeichnet, in seiner Hand. Erstaunt zog ich die Luft ein, was sein Lächeln wieder in seine volle Blüte versetzte.

Geschickt nahm er die Lilie in eine Hand und hielt sie mir hin. "Alles Gute zum Geburtstag. Eine Lilie für die Lilie." Ich lachte noch immer überrascht, während ich sie nahm. "Du hast es hingekriegt. Ich wusste, dass du es irgendwann schaffst." Sein Strahlen hätte wahrscheinlich mit der Sonne konkurrieren können. "Genau an deinem Geburtstag. Meine Gabe hätte sich keinen besseren Tag aussuchen können, oder?"

Seit dem Tag wurden mir von ihm die verschiedensten Lilien geschenkt. Wenn es auch nur irgendeine kleine Festlichkeit gab, fand ich entweder irgendwo eine oder er zauberte sie vor meinen Augen. Ich wusste nicht, warum er das machte, aber ich ging die ganzen Jahre davon aus, dass wir einfach so gute Freunde waren, dass wir uns gegenseitig beschenkten. Für mich war das allerdings immer etwas schwieriger. Ich konnte ihm wohl kaum Blumen schenken. Auch wenn ich ihm immer, wenn wir irgendwelche exotischen Rosen bekamen, eine schenkte. Denn die Lieblingsblume unseres Frauenmagneten war die Blume der Liebe. Was ein Klischee.

Das Geschenk, worüber er sich aber bis jetzt am meisten gefreut hatte, war eine Kette, die ich ihm zu seinem Zwanzigsten geschenkt hatte. Die Kette war in Form einer Lilie mit einem lila Edelstein in der Mitte, und ich hatte das dazu passende Gegenstück. Ein Armband, da ich kein Fan von Ketten war, in der Form einer Rose mit einem grünen Edelstein in der Mitte. Die Blume symbolisierte den jeweils anderen und die Farben des Edelsteins uns selbst, weshalb ich unsere Lieblingsfarben gewählt hatte. Zuerst dachte ich, dass das ziemlich käsig wäre, aber es war sein zwanzigster Geburtstag und fünfzehn Jahre, seit wir uns kennengelernt hatten. Da wollte ich ihm nicht nur eine Rose schenken. Auch wenn ich ihm trotzdem dazu eine Novalis Rose geschenkt hatte. Diese Rosenart blüht nämlich lila.

Die Umarmung, die ich als Dank bekam, kam so aus dem Nichts, dass ich fast zurückgefallen wäre. Ich hätte nicht erwartet, dass es ihm so gut gefällt.

Doch ich hatte ihn seit seinem Zwanzigsten nicht mehr ohne die Kette gesehen.


Meine Lilie (m.Isabela Madrigal - Encanto)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt