15 | Begegnungen

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Sekunden dehnten sich zu einer Ewigkeit, als sich ihre Blicke trafen und festhielten. Es schien, als suchten sie etwas in den Augen des anderen. Die Welt um sie hörte auf zu existieren und ein seltsames Gefühl machte sich in den Mägen der beiden Schüler breit.

Und genauso plötzlich, wie sich ihre Blicke begegnet waren, erinnerten sie sich wieder daran, wo sie waren und wen sie da anstarrten und beide schlugen wie ertappt die Augen nieder.

Was war denn das?

Entsetzt wandte sich Hermine ab und beugte sich wieder über ihr Frühstück. Ihr Herz schlug eindeutig zu schnell und auch ihre Gesichtsfarbe war nicht der Situation angemessen. Wieso hatte er sie angestarrt? Und vor allem – wieso hatte sie das Gefühl gehabt, dass er in ihren Augen versinken würde wie sie in den seinen?

Noch zwei Tage bis zum Ball ... noch zwei Tage, bis ich weiß, wer es ist ...

Plötzlich riss sie erschrocken die Augen auf und verschluckte sich. Hustend und fluchend sprang sie auf und rannte aus der Halle.

Das kann nicht sein ... ! Das eben hatte nichts zu bedeuten ... er ist es nicht, ganz sicher ...

Doch ihr Verstand weigerte sich, das zu akzeptieren. Die Zeichen waren doch so klar ... immer diese positiven Bemerkungen in den Briefen, das Verhalten von ihm ihr gegenüber ... der Blickkontakt jetzt ... alles deutete darauf hin, dass Draco Malfoy ihr heimlicher Verehrer war!


oOoOoOo


Scheiße, jetzt habe ich mich wohl verraten!

Genervt schaute Draco Hermine hinterher, wie sie fluchtartig die Halle verließ.

Das habe ich ja gründlich verbockt! Wie soll ich denn jetzt die Rache ausführen? Wenn sie eh schon alles weiß?

Willst du das überhaupt noch? meldete sich wieder die fiese Stimme in seinem Kopf.

Sicher, wozu dient denn das Theater?

Und was war das dann eben für ein Blick? Gib doch zu, dass du in diesen wunderschönen, braunen Rehaugen beinah versunken wärst!

Ach Blödsinn!

Und das Kleid? Wieso hast du ihr so ein perfektes Kleid gesucht?

Ich wollte ihr schmeicheln ... das gehörte zum Plan!

Du kannst mich nicht anlügen! Du magst sie! Du willst sie!

Mit aufgerissenen Augen starrte Draco in die Luft. Konnte das wahr sein? Hegte er tatsächlich Gefühle für ... für ein Schlammblut?

Ebenso hastig wie zuvor Hermine verließ auch er nun unter den verwunderten Blicken seiner Freunde die Halle.


oOoOoOo


Liebste Hermine,

noch zwei Tage bis zum großen Augenblick! Ich bin zugegeben etwas aufgeregt!

Ich wollte dich nur noch einmal wissen lassen, dass ich dich ... liebe, dass ich mich darauf freue ... ich werde pünktlich mit einer Rose in der Hand dastehen!

In Liebe,

dein Slytherin


Ungläubig starrte Hermine auf den Brief. Wie konnte Malfoy so etwas schreiben? War er wirklich ihr Verehrer?

Diese wenigen Zeilen brachten ihren so sicheren Verdacht wieder ins Wanken ... Malfoy hat doch erkennen müssen, dass ich ihn durchschaut habe...!

Seufzend stand Hermine auf und schlich sich aus dem Gryffindor-Turm. Es war bereits nach zehn Uhr und sie brach die Regeln, wenn sie um diese späte Stunde durch das Schloss geisterte, doch sie brauchte frische Luft – und schlafen konnte sie eh nicht!

Ohne gesehen zu werden, verließ sie das Schloss und schlug den Pfad zum See hinunter ein. Ihr Lieblingsplatz, ein alter Baumstamm unter einer noch älteren Weide, deren Zweige ins Wasser ragten, war erleuchtet vom Schimmer des Mondlichtes. Eine romantische Nacht, eigentlich ...

Plötzlich hörte sie Schritt hinter sich. Erschrocken sprang sie auf und wandte sich um – hatte etwa doch ein Lehrer sie bemerkt? Doch die Person, die sich ihr dort näherte, war jemand ganz anderes...

„Malfoy!"

„Ja, Granger, das ist mein Name!", kam die spöttische Antwort.

„Was willst du hier?"

„Ich habe dich aus dem Schloss gehen sehen ... was meinst du, soll ich dich bei Snape verpfeifen? Dich, die immer korrekte Schülerin?"

„Dazu müsstest du ja zugeben, dass auch DU das Bett verlassen hast, Malfoy, denk nach, bevor du redest!"

Wie am Morgen starrten sie sich gegenseitig in die Augen und wieder schien es Hermine, als könne sie in den eisgrauen Augen ihres Gegenübers versinken. Röte stieg ihr in die Wange und sie senkte den Kopf.

„Gefällt dir, was du siehst, Granger?", fragte Draco in seinem üblichen arroganten Tonfall und grinste.

„Oh, du weißt viel zu gut, dass du anziehend auf die Mädchen wirkst, Malfoy, du weißt es wirklich viel zu gut! Ja, es gefällt mir, was ich sehe! Aber es gefällt mir nicht, was sich innerhalb dieser Fassade verbirgt! Du bist schlecht, durch und durch! Und nun lass mich in Ruhe!"

Überrascht hob Draco die Augenbrauen – das hatte er nicht erwartet. Nach dem Ereignis vom Morgen hatte er gedacht, dass sich die Gryffindor tatsächlich für ihn interessierte, doch nun ...?

„Du solltest eigentlich inzwischen besser wissen, wie ich bin, Granger! Oder hast du plötzlich das lesen verlernt?

Entsetzt sog Hermine die Luft ein – also doch – und trat einen Schritt zurück.

„Was willst du?"

„Was denkst du, was ich will?"

„Was denkst du, dass ich denke, was du willst?"

„Granger", stöhnte Malfoy und trat einen Schritt auf sie zu, „musst du immer das letzte Wort haben? Musst du immer überlegen sein? Wieso kannst du nicht auch im realen Leben so liebenswürdig und humorvoll sein wie in den Briefen? Wieso kannst du nicht wirklich diese intelligente, verständnisvolle und durchaus auch mal nachgebende Person sein, die sich mir in den Briefen gezeigt hat?"

„Versuchst du mir ein Kompliment zu machen oder willst du mich beleidigen?"

„Du machst alles noch viel komplizierter als es eh schon ist, Granger! Was soll dieses Spielchen?"

„Ist das ein Witz? Was sollte dein Spiel mit den Briefen? Oh, ich kenne dich, Malfoy! Ich weiß, dass du irgendeinen hinterhältigen Plan verfolgst!"

Mit diesen Worten drehte sich Hermine um und ging zum Schloss. Dracos Schultern sanken – er wollte sie nicht verletzen, er musste es sich eingestehen, er wollte das Gegenteil!

„HERMINE!"



Ein heimlicher Verehrer ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt