🐾 22. Kapitel 🐾

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Malu

»Komm mir nicht zu nahe!«, abwehrend riss ich meine Augen auf. Angespannt zog ich meine Beine, die von einem weißen Bettlaken bedeckt waren, näher zu mir heran. Ich erwartete, dass meine Beine, wie im Pavillon, höllisch weh tun mussten, doch es pochte nur latent in meinen Oberschenkeln.

Verwirrt, blickte ich zu Ella herüber, die nach vorne gebeugt in einem alten, braunen Ledersessel saß und uns mit regem Interesse beobachtete. Man müsste ihr nur noch das Popcorn reichen, dann wäre die Szene perfekt. Ich hatte keine Zeit zum Abschweifen.

Alarmiert flog mein Blick zurück zu Rafe, der weiter weg an einer unebenen, höhlenartigen Wand lehnte und mich unschlüssig studierte. Warum schaute er mich an, als wenn er nicht glauben konnte, was er sah?

»Was willst du von mir?«, kam es bebend von meinen Lippen. Immer noch sah ich den riesigen, schwarzen Wolf, mit den roten Augen und dem gewaltigen Gebiss, dass garantiert Knochen spalten konnte, bildlich vor mir.

Wollte er mich doch noch fressen?

Weil ich nicht auf ihn gehört hatte, als er mich warnte, ihnen nicht zu nahezukommen. Warum hätte ich auch grundlos auf ihn hören sollen? Als Mary mir dann erzählen wollte, dass es Hexen und Werwölfe gibt, konnte ich dem kaum Glauben schenken. Ihre Worte waren so abstrus. Doch hatte ich einer Wandlung beigewohnt.

Ich konnte es immer noch nicht richtig fassen, jedoch meinte ich die scharfen Krallen immer noch zu spüren. Der braune Wolf hätte mich fast gefressen!

Aber ich hatte überlebt. Ich war mir zu einhundert Prozent sicher, dass ich schwer verletzt gewesen war. Doch da, wo tiefe Wunden sein müssten, war meine Haut nur gerötet. Der peinigende Schmerz war ebenfalls verflogen. War das Ellas Werk? Wieder flog mein Blick zu Ella, die gerade etwas in ihr Mobiltelefon eintippte.

»Nichts. Ich werde dich jetzt zu Mary bringen. Da bist du momentan am besten aufgehoben«, dunkel rann seine Stimme an mir herab.
»Du hilfst mir?«, warum tat er das nur? Ich konnte mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Trotzdem beschlich mich bei seinem Anblick ein ungutes Gefühl. Er kam langsam, als wenn ich ein scheues Tier wäre, ein paar Schritte näher.
»Exakt. Das warum kann ich dir nicht erklären.«

»Du weißt nicht, warum das tust?«, verwirrt und unruhig knibbelte ich an dem Bettlaken, das meine Beine bedeckte.
»Ist das im Moment wichtig? Eine Horde mordlustiger Werwölfe lauert im Wald und du bist dem hilflos ausgeliefert, wenn wir diesen Ort nicht umgehend verlassen.« Er war so erpicht darauf, mich in Sicherheit zu wissen. Was hatte das zu bedeuten?

Romantische Gefühle hegte er ganz bestimmt nicht für mich. Und, wenn ich Ella Glauben schenken wollte, gab es sowas, wie eine Seelenpartnerschaft unter Gestaltwandler auch nicht. Außerdem war ich ein Mensch. Wenn es das alles nicht war, was konnte der Grund sein?

»Stehst du nun auf oder soll ich nachhelfen?« Das klang nicht gerade so, dass ich mich wohler in seiner Nähe fühlte könnte, aber es half nichts. Ich musste stark sein, wenn ich überleben wollte. Und ich wollte leben, das schuldete ich wenigstens meinen Eltern, wenn auch nicht mir.

Energisch griff ich nach dem Bettlaken und riss es von meinen Beinen. Wackelig wie ein neugeborenes Fohlen, kam ich, mich an der Couchlehne abstützend, auf meine Beine. Mühsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Als ich bemerkte, dass auch dies keine Schmerzen auslöste, atmete ich erleichtert auf.

Mit einem Seitenblick registrierte ich, wie Rafe mir abwägend bei meinen ersten Gehversuchen zuschaute, ohne die Absicht zu haben einzugreifen, wie ich an seiner lockeren Körperhaltung erkannte.
»Ich kann gehen«, die schiere Erleichterung rieselte kribbelnd durch meinen Körper.

Cursed Bond 🦋Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt