🐾 38. Kapitel 🐾

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Malu

Langsam stieß ich mich vom Schornstein ab, meine Turnschuhe erzeugten dabei schurrende Geräusche, die sofort die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf mich lenkten. Wachsam fixierten sie mich mit ihren Blicken, und ein ersticktes Keuchen entwich mir. Bevor ich reagieren konnte, preschte Noah fauchend auf mich zu, und ich blieb regungslos in meiner Bewegung, als wäre ich zu Eis erstarrt. Meine Hände begannen unkontrolliert zu zittern, während mein Herz gegen meine Rippen donnerte.

Ein Hauch von mir entfernt sah ich scharfe Zähne in seinem Gesicht aufblitzen, verzweifelt kniff ich meine Augen fest zusammen und zog meinen Kopf ein. Verwandelte er sich wieder in einen Wolf und griff mich so mir nichts, dir nichts an?

Eine Sekunde verging, zwei, drei, und nichts geschah. Ich spürte kein scharfes Gebiss, das sich brutal in mein Gesicht bohrte. Dann hörte ich einen dumpfen Stoß und ein dunkles Knurren ...

Überrascht öffnete ich schnell die Augen und sah gerade noch, wie Rafe Noah mit seinem ganzen Körper von mir weg stieß. Noah stöhnte schmerzerfüllt auf und schlitterte unkontrolliert über den Boden, dabei rollte er über die brennenden Kerzen, die sofort erloschen. Doch der kurze Kontakt schien auszureichen, um seine Schmerzen zu erhöhen, da er gequält aufjaulte und schließlich reglos liegen blieb.

»Wenn du es noch einmal wagst, sie anzufassen, oder auch nur in ihre Richtung zu atmen oder zu schauen, dann breche ich dir jeden Knochen einzeln«, kamen dunkle, fast emotionslose Worte aus Rafes Mund, obwohl ich sah, wie sich seine Brust schnell hob und senkte. Offensichtlich war er doch nicht so unbeeindruckt von der Situation. Dann wandte er sich mir zu, und seine Augen wurden ein wenig wärmer.

»Geht's dir gut?«, fragte er. Ich schluckte schwer und nickte hölzern. Schon wieder hatte er sich gegen seine Familie gestellt, für mich. Das fühlte sich nicht richtig an. Hinter Rafes Rücken sah ich, wie Noah sich ächzend aufsetzte. Seine Augen, die ein wenig rot schimmerten, waren böse auf mich gerichtet.

Ein wenig wich ich zurück. Er war extrem gefangen in seiner Wut auf mich. Rafes Gesicht verschloss sich, als er hörte, wie Noah sich auf uns zubewegte, doch er wandte sich nicht um.

»Bleib stehen!«, knurrte Rafe ihm im Befehlston zu, und Noah hielt augenblicklich an, starrte missmutig auf Rafes breiten Rücken. Ich wagte kaum, ihn anzuschauen, aber meine Neugierde siegte, und ich richtete meinen Blick auf die vielen Brandlöcher in seinem T-Shirt.

»Gefällt es dir, Hexe?«, provozierte er mich böse grinsend hinter Rafe. Erschrocken schnappte ich nach Luft, und gleichzeitig spürte ich, wie mir das Blut heiß in die Wangen schoss.

Froh über die Dunkelheit, die meine Röte verbarg, sagte ich ruhig: »Sehr.«

Rafe hob betont langsam eine Augenbraue, dann drehte er sich um und sagte seelenruhig zu Noah: »Ich hasse es, mich zu wiederholen, also lasse ich es.«

Ohne Vorwarnung ballte Rafe eine Faust, hielt Noah an der Schulter fest und schlug mit rasender Geschwindigkeit zu, seine Faust traf auf Noahs Bauch, begleitet von einem schmerzerfüllten Aufschrei. Gleich darauf ließ er Noah los, und dieser taumelte von der Gewalt des Schlages zurück, sich schmerzvoll keuchend zusammenkrümmend.

»Dann ist das jetzt endgültig geklärt. Wir sollten Hannah nicht zu lange warten lassen«, sagte Rafe, während ich neben diesem Zeugnis brutaler Gewalt stand. Diese rohe Seite an ihm in Menschengestalt erschien mir jetzt so nah und abstoßend. Hätte er das nicht anders regeln können? War es wirklich nötig gewesen, Noah zu schlagen?

»Malu, kommst du?«, fragte Rafe. Ganz aus meinen Gedanken gerissen, blickte ich suchend über das Dach, bis ich Rafe sah, der bereits an der Feuertreppe stand und mich fragend ansah. Noah bewegte sich vorsichtig, noch etwas gekrümmt gehend, von mir abgewandt, auf Rafe zu.

»Ich komme sofort«, erwiderte ich nur.

Schließlich standen wir unten neben der Feuertreppe und beobachteten, wie Noah trotz seiner unzähligen Blessuren geschwind die Treppe herunterstieg. Als er unten ankam, wies er uns den Weg zum Auto, das etwas abseits stand, in der Höhe des Tores, durch das Rafe und ich vor gar nicht allzu langer Zeit gekommen waren.

Zitternd ließ ich meinen Blick über meine Umgebung schweifen, während wir über den rissigen Pflaster gingen, das von wildem Unkraut überwuchert war. In der nächtlichen Stille, die nur vom pfeifenden Wind unterbrochen wurde, der durch die leeren Fabrikgebäude fegte, stellten sich mir alle Nackenhaare auf. Umrisse von alten, rostigen Maschinen wurden sichtbar, da der Mond sein fahles Licht darauf warf. Wie bedrohliche Ungetüme, die jeden Moment zum Leben erwachen könnten, kamen sie mir vor. Herzklopfend blieb ich stehen und lauschte dem Wind, der das leise Knarren offen stehender Metalltüren zu mir trug. Es klang wie aus einem Horrorfilm, der mir in diesem Moment sehr real vorkam. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Jungs schon ein ganzes Stück weiter waren. Eilig rannte ich ihnen nach. Hier wollte ich auf keinen Fall allein bleiben.

Endlich tauchte ein dunkler SUV vor uns auf. Als Rafe und Noah das Auto erreichten, wurde die Beifahrertür aufgestoßen und eine zierliche Person hüpfte heraus. Doch sie schwankte leicht. Sofort eilte Noah an ihre Seite und stützte sie. Hannah schien es immer noch nicht besser zu gehen. Ihr offensichtlich schlechter Zustand bereitete mir Bauchschmerzen. Vorsichtig näherte ich mich der kleinen Gruppe.

»Malu, was machst du hier?«, fragte Hannah verwirrt und blinzelte mich an, während sie sich regelrecht an Noah klammerte, der mich nun komplett ignorierte.

Es schien, als hätte er keine Lust mehr, mit Rafes Fäusten zu kollidieren. Irgendwie konnte ich ihm sein Verhalten mir gegenüber nicht verübeln, wurde er doch seit seiner Kindheit mit Hass gegen Hexen gefüttert.

Doch seine angespannte Körperhaltung verriet, dass jeder Funke Hass direkt in meine Richtung zielte, den ich sowohl spüren als auch sehen konnte. Ein brennendes Rot, das wie Kohle in der Dunkelheit glühte, umgab seine Gestalt, leckte an Hannahs Körper. Doch schien ihr dies nichts auszumachen. Bildete ich mir das nur ein? Ich wünschte mir sehnlichst jemanden, mit dem ich über diese Dinge reden könnte. Jetzt, denn langsam kam es mir vor, als würde ich verrückt werden.

Unentschlossen sah ich zu Rafe, der plötzlich dicht an meiner Seite stand. Sein Arm berührte meinen, und seine Wärme fühlte sich tröstlich an, wie ein Anker in dem Irrsinn, den mein Kopf gerade durchlitt.

»Wir hatten ein Date«, sagte er einfach so.

Mir blieb der Mund offen stehen.

Als dieser Satz Hannahs Ohren erreichte, erstarrte sie für einen Moment. Dann weiteten sich ihre Augen, und Unglaube huschte über ihr Gesicht, bevor sie sich fing und antwortete: »Wie ist das passiert?«

Ebenso ungläubig starrte ich ihn von der Seite an. Als ich sein attraktives Profil betrachtete, wo sich am Hals die schwarzen Runen entlangzogen, begann mein Herz schneller zu schlagen. Intensiv verfolgten meine Augen jede seiner Regungen, während Aufregung und Unsicherheit sich gleichermaßen in mir ausbreiteten.

Cursed Bond 🦋Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt