🐾 52. Kapitel 🐾

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Malu

Plötzlich hörte ich ein leises Scharren an meiner Zimmertür, als ob jemand dort seine Krallen wetzte. Schrecken durchfuhr mich wie ein Blitz. Wie vom Donner gerührt starrte ich auf die dunkle Tür. Bewegungslos lauschte ich erneut auf das scharrende Geräusch, das zu meinem Erstaunen kontinuierlich zunahm.

»Ember?«, flüsterte ich unbehaglich in die Dunkelheit. Und tatsächlich hörte ich von der anderen Seite der Tür ein leises Miauen, in der charakteristisch hohen Tonlage, die Ember so eigen war. Sofort spannte sich mein Körper an, und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Die Erinnerung an die letzten Begegnungen mit der Katze, ihre scharfen Krallen, die sich in meine Haut gruben, kehrte in mein Bewusstsein zurück. Ich schluckte schwer und zog instinktiv die Decke etwas höher, als könnte sie mich vor der Welt draußen schützen.

Das Kratzen wurde lauter, dringlicher. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Warum kam sie gerade jetzt? Ich wusste, dass sie nur Ärger brachte, und doch konnte ich das Geräusch nicht ignorieren. Ein Teil von mir wollte einfach liegen bleiben, die Augen schließen und hoffen, dass sie irgendwann aufhörte. Doch ich wusste, dass das nicht passieren würde. Ember war hartnäckig.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, setzte mich langsam auf und ließ meine Füße vorsichtig über die Bettkante gleiten. Die kalten Dielen des Bodens schickten eine weitere Welle des Unbehagens durch meinen Körper. Für einen Moment blieb ich sitzen, die Hände fest um die Bettkante geklammert. Sollte ich wirklich aufmachen? Was, wenn sie wieder angriff? Doch in letzter Zeit schien sie kein großes Interesse an mir zu haben. Ja, sie ignorierte mich regelrecht. Doch mein Verstand sagte mir, dass es keine gute Idee war, die Tür zu öffnen. Aber das unaufhörliche Kratzen und meine Neugier zwangen mich zum Handeln. Wie ein windschiefes Segelboot in einem Sturm schwankte ich zur Tür und öffnete sie einen Spalt breit. Sofort blitzten mir diese unnatürlich blauen Augen der Katze entgegen. Laut sog ich die Luft durch meinen Mund und trat automatisch einen Schritt zurück. Diese Katze konnte sprechen! Würde sie etwas sagen? Würde sie mir just in diesem Moment sagen, was sie von mir hielt? Wäre das nicht ein geeigneter Augenblick, um sie dies zu fragen? Doch Ember strich nur langsam mit ausgefahrenen, ungemein spitzen Krallen am Türblatt entlang. Ein Geräusch, als ob jemand mit einem scharfen Gegenstand über eine Tafel kratzte, entstand und ließ mich zusammenzucken.

»Was willst du?«, fragte ich, trotz meines anerzogenen Wissens, dass man mit Tieren nicht wie mit Menschen kommunizieren konnte. Ich kam mir schlicht und ergreifend dumm dabei vor. Doch wusste ich aus eigener Erfahrung, dass Ember eine etwas andere Katze war, und sie hatte schon einmal mit mir gesprochen. Vor ein paar Tagen, bevor ich in den Wald gerannt war. Sie hatte mich gewarnt, doch ich war vor Unglauben und auch Schreck noch schneller von Marys Gehöft gerast, als ob der Teufel höchstpersönlich hinter mir her war.

»Lass mich erst rein, denn die Wände haben Ohren«, raunte Ember kaum verständlich. Irritiert stießen meine Augenbrauen mit meinem Haaransatz aneinander, als ich das schwarze Knäuel vor mir beäugte.

»Klar«, sagte ich und trat zögerlich beiseite. Kaum dass ich einen Schritt zur Seite gemacht hatte, fegte Ember wie eine Rakete beim Start zum Mond in mein Zimmer.

Ein leichter Blitz durchzuckte meine Eingeweide dabei, bevor ich die Tür leise ins Schloss fallen ließ und mich zu Ember umdrehte.

»Musst du das immer machen?«, fauchte ich sie aus sicherer Entfernung an, versteht sich.
Ember hüpfte mühelos auf das Bett, das aus ihrer Sicht wie der Mount Everest wirken musste. »Wo bliebe denn sonst der Spaß?«, antwortete sie doch tatsächlich und legte den Kopf schief, während ihre Ohren auffällig in alle Richtungen zuckten.

»Für wen?«, murmelte ich eher zu mir selbst, ohne eine Antwort zu erwarten. Doch Ember schien neben messerscharfen Krallen auch ein ebenso scharfes Gehör zu haben.

»Du bist meine einzige Belustigung zurzeit. Man nimmt, was man kriegt, wenn man seit Ewigkeiten hier eingesperrt ist.«
Ewigkeiten? Doch bevor ich da nachfragen konnte, sprach sie weiter.

»Und nun komm näher!«, forderte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Pikiert riss ich die Augen auf. Näher? Das stand nicht auf meiner jetzigen To-do-Liste.

»Muss das sein?«

»Die Wände haben Ohren«, wiederholte sie ihre Worte von vorhin, als hielte sie mich für debil.

»Na schön«, ergab ich mich meinem unmittelbaren Schicksal, auch auf die Gefahr hin, dass ich gleich einen Schönheitschirurgen brauchte, nachdem sie mit mir fertig war.

»Los, ich habe nicht ewig Zeit. Nur jetzt kann ich frei mit dir reden!«

Ich hockte mich vor das Bett, mit dem Gesicht dicht vor den blitzenden Augen der Katze. Wie das Lamm vor dem Wolf.

»Was willst du mir nun zu dieser unchristlichen Uhrzeit sagen?«

»Hier im Haus können wir nie frei sprechen. Aber jetzt, wo Mary nicht da ist, gibt es Dinge, die du wissen musst.« Ember blickte sich erneut um und senkte ihre Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. »Das Mondfest nähert sich. Du weißt, dass es eine besondere Nacht ist, oder?«

Ich nickte. »Ja, ich denke schon, aber warum...«

»Es ist wichtig, dass du auf dich aufpasst, besonders während des Festes. Es gibt Kräfte, die du vielleicht noch nicht verstehst. Manches, was uns gesagt wird, ist nicht immer die ganze Wahrheit.« Die Katze leckte sich nervös die Pfote und fuhr dann fort. »Du musst darauf achten, mit wem du sprichst und wem du vertraust.«

»Was versuchst du mir zu sagen?« Eine Welle der Unruhe umspülte meine Brust und zog sich nicht mehr zurück.

Ember sah mich eindringlich an. »Es gibt Dinge, die du noch nicht weißt. Deine Großmutter hat Pläne, die dich betreffen. Pläne, die gefährlich für dich sein könnten.« Sie hielt inne, als wolle sie etwas abschütteln. »Achte auf die Zeichen während des Mondfestes. Die Wahrheit wird sich zeigen, wenn du die richtigen Fragen stellst.«

»Welche Zeichen?« Ich war jetzt völlig verwirrt und ein wenig verängstigt. Gab es eventuell schon Zeichen, die ich nicht verstanden hatte?

»Das kann ich dir nicht genau sagen, aber...« Ember zögerte, als ob sie mit sich selbst kämpfte. »Schau auf den Mond. Er wird dir Hinweise geben. Und erinnere dich, dass nicht jeder, der freundlich wirkt, wirklich dein Freund ist.«

Wen könnte sie meinen? Rafe? Mein Herz begann schneller zu schlagen. »Bist du sicher?«

»Ja«, die Katze schnurrte und drückte ihre Pfoten auf die Decke, als wolle sie sich strecken. »Vertraue deinem Instinkt, Malou. Du bist stärker, als du denkst.«

Bevor ich weitere Fragen stellen konnte, sprang Ember vom Bett und schlich zur Tür. »Ich muss jetzt gehen. Denk daran, was ich gesagt habe.«

»Warte...!«, rief ich. Doch Ember war schon an der Tür, sprang daran hoch und öffnete sie mit einem geschickten Pfotenschlag, dann verließ sie leise das Zimmer.

Cursed Bond 🦋Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt