„Sie wusste, dass du sie mit allen Mitteln beschützen musstest, glaub mir. Egal, wie groß der Schock war, ihren Vater so zu sehen", versicherte Addison ihm.
Joel zuckte mit den Schultern und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.
„Mit dem Truck sind wir nicht sehr weit gekommen. Auf den Straßen war zu viel los und die Regierung fing plötzlich an, Bomben abzuwerfen. Eine der Druckwellen hat den Truck von den Reifen geholt und er hat sich mehrmals überschlagen, wobei Sarah sich ihren Knöchel verletzt hat. Wir drei sind dann zu Fuß weiter und ich habe sie getragen. Wir haben tatsächlich gedacht, wir könnten die Stadt ohne Probleme verlassen, aber auf einem Feld wurden wir von einem übereifrigen Soldaten aufgehalten, der den Befehl hatte, jeden, dem er begegnete, zu erschießen."
Addison schloss ihre Augen. Sie ahnte nun, was passiert war und es brach ihr das Herz.„Er konnte nur einen Schuss abfeuern, ehe Tommy ihn erschoss. Ich hatte derweil gedacht, ich wäre schnell genug ausgewichen, aber.. dem war nicht so."
Joels Stimme klang nun wieder gepresst und er massierte sich wieder die Hand. Addison wusste nicht, ob er das überhaupt bemerkte.
„Sarah lag auf dem Boden, mit einer Schusswunde in ihrem Bauch. Ihr Shirt war nach nur ein paar Sekunden nass von ihrem Blut. Ich.. ich habe versucht, die Blutung aufzuhalten, indem ich Druck auf die Wunde ausgeübt habe, aber.."
Joel unterbrach sich und starrte blicklos ins Feuer. Addison sah ihm an, dass er gedanklich wieder an diesem Ort und in dieser Situation war. In seinem Augen schimmerten wieder Tränen.
„Sie.. sie hatte so viel Angst. Ich konnte die Panik in ihren Augen sehen und das Flehen, ihr zu helfen, aber ich konnte einfach nichts tun. Was hätte ich tun sollen? Sie blutete so stark.. Ich konnte sehen, wie das Leben buchstäblich aus ihr herausfloss und konnte nichts dagegen tun.."
Joel blickte Addison an. In seinen Augen war neben vielen ungeweinten Tränen die pure Verzweiflung zu sehen.
„Ich.. ich musste dabei zusehen, wie sie starb. Ich konnte sie nur in meinen Armen halten und es passieren lassen."
„Es tut mir so leid, Joel", flüsterte Addison betroffen und sie kämpfte nun selbst mit den Tränen.
„Es blieb noch nicht mal Zeit, sie irgendwo zu begraben. Wir mussten sie dort zurücklassen, wie irgendeinen Gegenstand, weil sie Tommy und mich sonst auch erwischt hätten. In diesem Moment ist mir das egal gewesen. Ich wäre am liebsten dort auf der Stelle mit ihr gestorben, aber Tommy hat mich gezwungen, mit ihm zu verschwinden und Sarah zurück zu lassen", sprach er weiter.
„Es ist bis jetzt kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht gefragt habe, was mit ihrem Körper passiert ist. Ob sie vielleicht noch immer dort liegt, alleingelassen. Was würde sie nur von mir denken, wenn sie wüsste, dass ich sie einfach dort liegen gelassen habe?"
„Du hast in diesem Moment nichts anderes tun können, Joel. Das würde sie wissen", antwortete Addison.
Joel schüttelte den Kopf.
„Nein, sie wäre enttäuscht von mir. Sie wüsste, dass ich versagt habe. Ich hätte sie besser beschützen müssen. Ich hätte besser dazu in der Lage sein müssen. Sie war doch alles, was ich hatte."
Er schwieg kurz, ehe er Addison wieder ansah.
„Aber ich habe sie gerettet. In meinen Träumen habe ich sie bisher jedes Mal gerettet. In meinen Träumen war ich schneller und konnte dem Schuss ausweichen. In meinen Träumen konnte ich die Blutung stillen. In meinen Träumen habe ich nicht versagt."
Eine Träne löste sich aus seinem Auge und rollte über seine Wange. In seinem Blick lag eine solche grenzenlose Traurigkeit und Verzweiflung, dass Addison nun doch aufstand, um sich zu ihm zu setzen.
„In meinen Träumen werde ich sie immer wieder retten, denn die Alternative, die Realität, tut einfach immer noch zu weh."
Joels Stimme brach nun endgültig und er presste sich die linke, zur Faust geballte Hand auf den Mund. Seine in Tränen schwimmenden Augen waren starr auf das Feuer gerichtet und sein ganzer Körper zitterte von seiner Anstrengung, diesen Tränen nicht freien Lauf zu lassen. Addison ging durch den Kopf, dass es ihm sicher helfen würde, würde er seine Gefühle zulassen, aber sie konnte auch verstehen, dass er vielleicht noch nicht dazu bereit war. Selbst nach all den Jahren. Sie griff kurzerhand nach seiner rechten Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. Diese schlossen sich sofort um ihre und Addison lächelte ein wenig.„Ich weiß, dass du das vermutlich nie glauben wirst, was ich dir jetzt sage, aber ich sage es dir trotzdem. Du hast an diesem Tag oder in dieser Nacht nicht versagt, Joel. Du hast alles getan, was in deiner Macht stand, während du selbst von der ganzen Situation und den ganzen unerwarteten Geschehnissen überwältigt und überfordert warst. Sei nicht so kritisch mit dir und gib dir bitte nicht die Schuld. Mir ist klar, dass das leicht dahingesagt ist, vor allen Dingen, weil ich nicht dabei war und mir noch nicht mal ansatzweise vorstellen kann, wie es ist, ein Kind zu verlieren und dabei hilflos zusehen zu müssen, wie es stirbt, aber ich habe dich in den letzten 8 Monaten zumindest ein bisschen kennengelernt und ich kann mit Sicherheit sagen, dass du jemand bist, der in jeder Situation alles tut, was er kann, ohne Ausnahme", redete sie leise auf ihn ein.
„Aber das garantiert nunmal nicht, dass das immer erfolgreich ist. Manche Dinge hat man nicht unter Kontrolle. Man kann sie weder verhindern noch irgendwie beeinflussen. Und wenn Sarah auch nur ansatzweise so war, wie du sie beschrieben hast, wusste sie das. Sie wusste, dass ihr Vater alles tun würde, um sie zu beschützen, aber dass das manchmal einfach nicht reicht. Du hast nicht versagt, Joel. Du hast dir nichts vorzuwerfen."Joel, der sich nun wieder unter Kontrolle hatte, blickte sie schweigend an.
„Und du warst bei ihr. Sie war nicht allein", fügte Addison leise hinzu.
„Sie ist nicht die Einzige, die ich verloren habe in den letzten Jahren", erwiderte Joel und wandte seinen Blick ab, während er noch immer ihre Hand umklammert hielt.
„Da war Tess, die ich in der QZ kennengelernt habe. Man kann sagen, dass wir sowas wie ein Paar waren. Genau wie mir ist ihr alles, was die FEDRA gemacht hat, gegen den Strich gegangen, aber auch nicht so sehr, dass sie sich den Fireflies angeschlossen hätte. Da wäre man vom Regen in die Traufe gelangt, sagte sie immer und sie hatte recht. Deshalb haben wir beschlossen, aus der QZ zu verschwinden. Etwas, was natürlich nicht gern gesehen wird, weswegen wir es eines Nachts heimlich gemacht haben. Wir wurden dabei leider von einer Wache bemerkt. Ich habe ihn zu Brei geschlagen, damit er nicht seine Kollegen alarmieren konnte. Dabei habe ich mir die rechte Hand gebrochen", erzählte er und bewegte kurz die Finger seiner rechten Hand, ehe er sie wieder um Addisons Hand schloss.
„Ist nie richtig verheilt, weswegen mir die Hand manchmal weh tut."
Addison nickte.
„Ich habe bemerkt, dass du sie dir manchmal massierst."
Joel schwieg einige Momente, ehe er tief Luft holte und langsam ausatmete.
„Jedenfalls wollte Tess mir dabei helfen, Tommy zu finden. Als wir an einem Tag ein Haus nach etwas Essbarem durchsucht haben, wurden wir von einem Clicker überrascht. Wir konnten ihn gemeinsam überwältigen und töten, aber.. Es hat sich kurz danach herausgestellt, dass Tess gebissen wurde. Sie war infiziert. Sie.. sie hat mich gebeten, sie umzubringen, bevor der Pilz ihren Körper unter seine Kontrolle bringt. Als ich ihr gesagt habe, dass ich das nicht kann, hat sie mich regelrecht angefleht, es zu tun."
Joel schloss seine Augen und an dem schmerzlichen Ausdruck auf seinem Gesicht erkannte sie, dass sich alles vor seinem geistigen Auge erneut abspielte.
„Ich hab's schließlich getan. Natürlich wollte ich sie nicht verlieren, aber ich wollte auch nicht, dass sie irgendwann als Pilzzombie ihr Dasein fristet. Diese Vorstellung fand ich weitaus schlimmer. Also habe ich ihr in den Kopf geschossen. Ich kann noch immer ihre Augen in diesem letzten Moment sehen. Ihre Angst."
Joel fuhr sich mit einer zitternden Hand übers Gesicht.
„Monate später bin ich zwei Brüdern über den Weg gelaufen. Henry und Sam. Sam war gerade mal 9 Jahre alt und gehörlos, was ihn aber nicht gestört oder aufgehalten hat. Er war ein aufgeweckter, intelligenter Junge", fuhr er fort.
„War?" fragte Addison vorsichtig und Joel nickte.„Das gleiche Spiel. Wir wurden angegriffen und Sam wurde gebissen. Er hat es aber für sich behalten und ein paar Stunden später hat er Henry und mich plötzlich angefallen. Henry hat ihn erschossen. Das war für ihn selbstverständlich ein noch größerer Schock als für mich, denn nur Sekunden später hat er sich die Pistole an die Schläfe gesetzt und abgedrückt."
Addison sah ihn betroffen an.
„Es tut mir so leid, dass du das alles erleben musstest", sagte sie mitfühlend.
Joel schüttelte den Kopf und rang sich ein gequältes Lächeln ab.
„Weißt du, was ich gefühlt habe, nachdem Henry sich erschossen hat?"
Er wartete Addisons Antwort nicht ab.
„Neid. Weil er es geschafft hat, seinem Leben ein Ende zu bereiten, nachdem er seinen geliebten Bruder verloren hat. Etwas, das ich nicht geschafft habe, obwohl ich es versucht habe."
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The two of us
Fanfiction10 Jahre nach der Cordyceps-Pandemie Zwei auf sich allein gestellte Menschen finden einander - Joel Miller und Addison Williams. Sie hatten ihre Einsamkeit genossen, müssen sich jedoch eingestehen, dass sie sich da etwas vorgemacht haben.