V. Erzählung.

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Darauf machte er sich wieder auf den Weg in derselben Weise, wie früher, um den Siddhi-k ýr zu holen. Nachdem er die stolz lautenden Worte gesprochen, kam Siddhi-k ýr herabgestiegen. Er nahm ihn auf den Rücken und wandelte so mit ihm des Weges. Obschon Siddhi-k ýr die gleichen Worte wie bisher sprach, so erwiederte der Chânssohn doch nichts, sondern gab mit dem Haupte das Zeichen, worauf Siddhi-k ýr begann:

Früh vor Zeiten herrschte in einem gar blühenden Reiche ein Chân Namens Kun-nang (tibet. der Allerleuchtende). Dieser hatte eine Gemahlin genommen, und von derselben ward ihm ein Sohn geboren mit Namen »Sonnenschein.« Als diese Gemahlin aus dem Leben geschieden, nahm der Chân eine andere, und von dieser wurde ihm ein Sohn geboren mit Namen »Mondenschein.« Einstmals nun dachte[30] die Chânin bei sich: »So lange der ältere Sohn Sonnenschein am Leben bleibt, erhält mein jüngerer Sohn nimmer das Reich. Jetzt will ich durch irgend ein Mittel Sonnenschein aus dem Wege schaffen und meinem eigenen Sohne dadurch zur Regierung verhelfen.«

In dieser Absicht stellte sie sich in der Folge einmal krank. Mit lauter Stimme jammerte sie, wälzte sich auf dem Lager hin und her und brachte die Nächte schlaflos zu. So lag sie da. Als der Chân dies sah, sprach er: »Du Holde von reizender Gestalt, was für eine Krankheit ist dir zugestossen?« Darauf versetzte die Chânin: »Als ich noch bei meinen Verwandten verweilte, pflegte sich schon diese Krankheit bisweilen einzustellen. Doch ist der jetzige Zustand mit dem früheren nicht zu vergleichen, die Krankheit ist unerträglich heftig, ganz anders. Ein Mittel wohl gäbe es, doch ist es schwer auszuführen; so bleibt mir jetzt nichts anderes übrig als zu sterben.« Auf diese Worte sprach der Chân: »Was ist das für ein Mittel? wenn du stirbst, so ist das gleich, als würde das Herz mir durchbohrt; selbst wenn der Thron auf dem Spiele stünde, ich liesse ihn fahren; was ist nöthig? sprich.« Darauf erwiederte die Chânin:

»Wenn ich von einem der zwei Söhne, gleichviel von welchem, das Herz in Sesamöl geschmort verzehren könnte, dann würde ich Ruhe finden. Allein für dich, o Chân, ist es schwer, Sonnenschein hinzugeben, und da Mondenschein, um es gerade herauszusagen, aus meinem eigenen Schoosse hervorgegangen ist, so geht sein Herz nicht durch meine Kehle. Daher gibt es jetzt keinen anderen Ausweg als zu sterben.« So sprach sie. Der Chân konnte die Reden sowie die Krankheit der Gemahlin nicht ertragen und erwiederte: »Zwar bedaure ich unendlich meinen Sohn, mein Mitleid ist unermesslich; aber wenn dein Hinsterben gewiss ist, so werde ich Sonnenschein morgen den Scharfrichtern überliefern.« Ein solches Versprechen gab er.

Das hatte Mondenschein belauscht, eilte zu Sonnenschein und erzählte ihm unter Thränen, was Mutter und Vater beide mit einander gesprochen. »Dass man dich, mein Theurer,« sprach er weiter, »morgen umbringt, ist sicher; wie ist da Rettung möglich?« Auf diese Worte versetzte der ältere Bruder: »Wenn das der Fall ist, so bleib du, deine Eltern ehrend und hochhaltend, allein gesund und glücklich zurück; für mich dagegen ist jetzt die Zeit zu fliehen gekommen.« Mondenschein aber in seinem Herzen sich grämend sprach: »Wenn du, mein Bruder, nicht da bist, so kann auch ich hier nicht bleiben; wohin du auch gehst, ich folge dir nach.« So sprach er und jener willigte ein. Weil aber des anderen Tages schon die Hinrichtung stattfinden sollte, und sie fürchteten, dass, wenn andere es in eben der Nacht noch erführen, diese es der Chânin verrathen würden, so erbaten sie sich von ihrem die Opfergaben in Empfang nehmenden Geistlichen vertrocknete Baling-Kuchen, einen Sack voll, und mit diesem schritten die beiden Brüder am fünfzehnten in der Nacht, als der Mond sein Licht verbreitete, aus dem Palaste und nahmen ihre Richtung gegen Osten. Nachdem sie quer über Berg und Ebene, Tag und Nacht ohne Unterlass, gewandert, waren sie eines Tages an einem wasserlosen, verschlammten Flusse angelangt. Die Lebensmittel waren ihnen ausgegangen und weil kein Wasser da war, fiel Mondenschein verschmachtend nieder und konnte nicht mehr gehen. Voll tiefen Mitgefühls sprach der ältere Bruder: »Ich will gehen, um Wasser zu suchen; inzwischen harre standhaft aus und warte hier.« Er gieng an den Rand eines Berges, um Wasser zu suchen, fand aber keines. Als er zurückkam, war der jüngere Bruder vor Durst verschmachtet. Sonnenschein, vom Schmerz überwältigt, barg den Leichnam seines Bruders unter Steinen und flehte um die Vereinigung bei der künftigen Wiedergeburt.

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