Zu spät? (Lindbeck)

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Zu spät?

"Aha, schau mal einer an... Wer kommt denn da?"
Außer Atem stand Christian seinem Ex gegenüber, der wiederum mürrisch in seiner Wohnungstüre stand. "Es- es tut mir leid Robert, mir ist was dazwischen gekommen-" "Weißt du was? Ich will deine Lügen garnicht mehr hören." entgegnete der ältere und schüttelte den Kopf. Vor über einer Stunde hätte Christian ihre gemeinsame Tochter abholen sollen, aber jetzt lag diese schon im Bett. Es war ja immerhin fast neun Uhr.
"Ich lüge nicht." versuchte der Blonde es erneut, "Mein Handy war leer und mein Termin ging einfach nicht zu Ende und- ich hab mich wirklich beeilt." "Ach Christian, gesteh' dir doch wenigstens ein, dass du nichts auf die Reihe bekommst!" kam es energisch vom älteren. Er starrte seinen Ex an, der wusste doch garnicht, wie schwer es gewesen war, Estelle vorhin zu beruhigen!?

"Was?" Christians Stimme brach selbst bei diesem kurzen Wort ab. Er ackerte sich doch nicht den ganzen Tag, um sich dann so etwa anzuhören?! Und dennoch traf es ihn mehr, als ihm lieb war.

Robert setzte aber noch einen drauf. "Du kannst nicht Versprechungen machen und nichts davon einhalten. Estelle hat sich wirklich gefreut, dich zu sehen. Ich bin wirklich enttäuscht von dir..."

"Robert, ich-" "Ja das konntest du schon immer gut, immer du, du, du! Es gibt auch andere Menschen, Herr Lindner..." gab der ältere wütend von sich.

Christian schluckte. Er wusste doch, dass er zu spät war. Viel zu spät. Aber musste Robert ihn deswegen so anfahren? Er kämpfte mit der Feuchtigkeit in seinen Augen. "Es tut mir wirklich leid." versuchte er es erneut, aber der andere schüttelte nur missbilligend den Kopf. "Es geht nicht immer alles nach deiner Pfeife, Christian." "Aber-" "Vergiss es, sie schläft schon. Wie es sich eben für eine achtjährige um 21 Uhr gehört..."

Der Blonde seufzte: "Ich weiß selbst, dass ich zu spät bin. Wie oft willst du es mir eigentlich noch unter die Nase reiben?" "Hm keine Ahnung, macht gerade so Spaß." Verwundert blickte Christian auf, war das sein Ernst? Tatsächlich, der andere sah ihn bierernst an. Er betrachtete Robert erstmals genauer an diesem Abend, mit verschränkten Armen stand er ihm gegenüber. In diesen Armen hatte sich Christian einst zu Hause gefühlt... Wahrscheinlich wäre es noch immer so, wenn Robert nicht jedesmal auf ihm herumhacken würde, wenn sie sich sahen. Jedes Detail war Anlass genug für den älteren, Christian zu kritisieren.

"Phh wie immer, mit Kritik kann der ach so perfekte Lindner mal wieder nicht umgehen, hm?" stichelte Robert weiter. Christian wurde nicht schlau daraus, aber es traf genau seinen wunden Punkt. "Musst du immer so auf mir herumhacken?" wollte er sagen, was allerdings bereits in seinem Schluchzen unterging. "Boah ne" murmelte Robert, als er sah, wie sein Ex gerade in Tränen ausbrach.

Ganz kümmerlich stand er vor ihm, wusste nicht wohin mit seinen Händen und ließ die Tränen einfach nur so laufen. Am liebsten hätte sich Christian in Roberts starke Arme geworfen, so wie früher. Der Tag war eh schon scheisse und das gerade hatte ihm den Rest gegeben. "Ro...bert..." schluchzte er verzweifelt.

Der andere seufzte und ein Funken Mitleid kam in ihm auf. Mensch, hatte er es zu weit getrieben? Es tat jedenfalls gerade sehr weh, Christian so zu sehen. Er wusste, dass er das, was er gleich tat, unter normalen Umständen nie tun würde, und dass er es morgen bereuen würde, aber das hier war gerade einfach nicht so normal. Der heulende Mann vor ihm machte ihn selbst einfach viel zu emotional, als dass er hier noch etwas rational hätte entscheiden können.
Er seufzte nochmal, dann machte er einen Schritt auf Christian zu und umarmte ihn.

Überrascht ließ es der Blonde über sich ergehen. Als Robert ihn nach ein paar Sekunden noch nicht wieder weggestoßen hatte, kuschelte er sich noch mehr in die Umarmung. Er sollte Recht behalten, Roberts Arme fühlten sich immer noch nach zu Hause an. Bei dem Gedanken hätte Christian gleich wieder aufs Neue losheulen können.

Der ältere fuhr ihm sanft über den Rücken und flüsterte ihm fragend entgegen: "Willst du rein kommen?"
Nochmals überrascht hob Christian seinen Kopf, um den anderen anzusehen. "Wenn es dir nichts ausmacht- also..." "Überhaupt nicht, komm. Und dann erzählst du mir, was mit dir los ist, hm?" lächelte er aufmunternd, als er den jüngeren in die Wohnung zog.

"Du hast die Couch immer noch?" staunte Christian und sah sich im Wohnzimmer um, viel hatte sich nicht verändert, seitdem er ausgezogen war. Robert nickte nur und setzte sich auf das genannte Möbelstück. Der Blonde tat es ihm gleich, "Ich dachte, du fandest die immer hässlich?" fragte er und strich über den gelben Stoff. Das war nun wirklich nichts, was man von einem Robert Habeck erwarten würde.
Der ältere nickte aufs Neue: "Wegen den Erinnerungen. Deshalb hab ich die noch." Christian gab sich mit der Antwort zufrieden und schaute zu ihm rüber. Warum war Robert auf einmal so nett zu ihm? Fast schon wie früher...

Robert sah ihn fragend an. "Willst du mir erzählen, was mit dir los ist? Warum hast du auf einmal geweint?"
Bedrückt sah der Blonde auf den Parkett vor sich. "Wegen- naja..." Mist, ihm kamen schon wieder Tränen. "Es war einfach viel heute, im Büro und... dann sagst du mir auch noch lauter solche Sachen. Das hat mir einfach den Rest gegeben." "Oh. Das- also ich dachte nicht, dass dich das so trifft. Immerhin sind wir ja nicht mehr... zusammen...?" meinte Robert vorsichtig. "Aber deswegen ist mir doch nicht egal, was du von mir denkst!" kam es sofort vom Blonden, der versuchte, sich die Tränen weg zu wischen. "So blöd es klingt, aber du bist mir immer noch wichtig, Robert. Und ich denke ja oft genug, dass ich nichts auf die Reihe bekomme, aber wenn du das sagst, verletzt es mich einfach, okay?" schluchzte er weiter. Christian glich nun mehr einem Wasserfall, als einem seriösen Politiker.

"Heyy" begann Robert, das tat so weh, das mit anzusehen. "Soll ich-?" fragte er vorsichtig und bot eine weitere Umarmung an. Er bekam keine Antwort, stattdessen warf sich Christian aber sofort in seine Arme und presste sich an ihn. "Ich dachte wirklich nicht, dass dich das so trifft, tut mir ehrlich leid, Christian. Und das stimmt ja auch nicht, du bekommst doch ganz viel auf die Reihe." "Hmm." zu mehr war der Blonde gerade nicht im Stande. Seinem Ex so nahe zu sein, wühlte ihn gerade nur noch mehr auf.

"Ich mein, schau mal: du hast eine wundervolle Tochter, du bist Finanzminister, du hast schon so viel geschafft, worauf du stolz sein kannst, hm?" "Fühlt sich aber garnicht so an." heulte der Blonde weiter. "Ich bin jedenfalls stolz auf dich. Wirklich, Christian." meinte Robert und hob den Kopf des jüngeren an, damit sie sich in die Augen sehen konnten. "Danke." flüsterte Christian kaum hörbar, am liebsten hätte er jetzt noch mehr geheult, wenn das möglich wäre. Robert konnte so süß sein und wie er hier ihm so gegenüber saß, wusste Christian wieder genau, warum er sich in diesen Mann verliebt hatte. Dann folgte er einfach seinen Gefühlen und bevor sein Verstand hätte intervenieren können, küsste er Robert auch schon.

Für einen Moment presste er ihre Lippen aufeinander, bevor er realisierte, was er hier tat. Blitzschnell rückte er zurück und sah den älteren geschockt an. "Oh Gott. Ich- es tut mir leid-"

Er wollte schon aufstehen und am besten über alle Berge fliehen, aber Roberts Hand hielt ihn auf. Der ältere zog ihm wieder zu sich ran und legte ihm die andere Hand an die Wange. "Bleib, bitte. Ich hab dich vermisst." gestand er. Dann war er es, der Christian küsste und garnicht mehr loslassen wollte.

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