Kapitel 2 - Die Ruhe vor dem Sturm

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Mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen dachte Marcus über den bevorstehenden Tag nach, während er Darius in sein Ankleidezimmer folgte. Heute würde das letzte Mal sein, dass Kiana als seine Sklavin in seinen Armen aufwachte. Ein sanftes Glühen der Vorfreude durchströmte ihn, als er sich vorstellte, wie er Kiana an diesem Tag die Freiheit schenken würde – eine Überraschung, die er seit Wochen sorgfältig plante. Schon alles war bis ins kleinste Detail durchdacht und das elegante Kleid, das er für diesen besonderen Anlass ausgewählt hatte, war Teil seines raffinierten Plans. Doch all dies war ein wohlbehütetes Geheimnis, von dem seine Geliebte nichts ahnte. In ihren Augen schien der Tag lediglich dem Geburtstag ihrer Freundin Xenia gewidmet zu sein, eine Feierlichkeit im engen Kreis. Natürlich, das traf ebenfalls zu, aber Marcus würde diese Gelegenheit nutzen, um im Rahmen einer besonderen manumissio in convivio Kiana die Freiheit zu schenken. Dieses Verfahren der Freilassung fand im festlichen Rahmen eines Mahls statt und genau hier fügte sich Xenias Geburtstagsfeier nahtlos ein. Ein weiterer geschickter Schachzug von Marcus war, dass er Livia Drusilla dazu bewegt hatte, ihre prachtvolle Villa für diesen Anlass zur Verfügung zu stellen. Livia kümmerte sich um die organisatorischen Details, sorgte für das notwendige Personal und trug so zu einem reibungslosen Ablauf bei. Xenia hatte enthusiastisch zugestimmt, die Freilassung im Rahmen ihrer Geburtstagsfeier zu zelebrieren.

Die manumissio in convivio war ein feierlicher Akt, der fünf Zeugen erforderte, um die Freilassung zu besiegeln. In diesem Fall würden Marcus' Worte von den Anwesenden bestätigt, die durch ihre Zustimmung den Schritt zur Freiheit offiziell machten. Marcus wollte ihr zudem das volle römische Bürgerrecht zugestehen, das ius Romanum, und nicht nur das ius Latinum gewähren. Gewöhnlicherweise erhielten freigelassene Sklaven nur das ius Latinum, was ihnen bestimmte Bürgerrechte verlieh, jedoch nicht das volle Bürgerrecht. Seine Geliebte sollte allerdings sämtliche Rechte und Privilegien genießen dürfen, die mit dem römischen Bürgerrecht einhergingen. Dazu müsste er sie nur in den nächsten Tagen zum Forum Romanum vor den amtierenden Prätor bringen, damit dieser Kiana offiziell das volle Bürgerrecht verleihen konnte. Dann würde er mit seiner Geliebten auch den Vertrag aushandeln, der ihre zukünftige Beziehung zueinander regeln würde. Es war eine rein formaljuristische Absicherung, da er nicht gedachte, dass sich für Kiana viel ändern würde. Nach wie vor würde sie mit Sophia in seinem Haus wohnen bleiben und seine Geliebte sein. Ein Grund, warum er Kiana heute in die Freiheit entlassen wollte, war die bevorstehende Entbindung ihres zweiten gemeinsamen Kindes. Als Kind einer Freigelassenen würde dieses Kind automatisch als freier römischer Bürger geboren werden und hätte nicht wie Sophia mit dem Stigma der Sklaverei zu kämpfen haben. Marcus wäre blind, wenn er nicht merken würde, dass Kiana ihrer aktuellen Schwangerschaft mit der gleichen Abneigung begegnete, wie bei ihrer ersten. Nur diesmal hatte sie es gar nicht erst versucht, ihn um ihre Freilassung zu bitten. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte sie es einige Male angesprochen, doch jedes Mal hatte er ihre Bitte mit barschem Ton zurückgewiesen. Umso mehr freute er sich auf den Moment heute Abend, in dem er ihr die Freiheit schenken würde. 

Bei dem Gedanken an seine Tochter zuckte es jedoch in seinem Herzen. Zwar würde er auch Sophia bei ihrer Freilassung das volle Bürgerrecht gewähren, doch bis dahin hoffte er, dass er sie so gut es ging vor den Folgen der Sklaverei schützen konnte. Bei seinem Kind konnte er immerhin dafür sorgen, dass sie eine hervorragende Ausbildung und, sobald sie das heiratsfähige Alter erreichte, einen guten Ehemann erhielt. Er wusste noch nicht, wen er als Sophias Ehemann in Betracht ziehen sollte, dessen ungeachtet er würde allerdings dafür Sorge tragen, dass er ihr eine angemessene gesellschaftliche Stellung einbrachte. Doch das änderte nichts an seinem schlechten Gewissen. Dieses Kind würde nun frei geboren werden – etwas, was er auch bei Sophia in der Hand gehabt hatte. Aber zu dem Zeitpunkt war er einfach noch nicht bereit gewesen, das Risiko einzugehen und Kiana frei zulassen. Zu frisch war ihre Verbindung gewesen. Zu sehr wusste er nicht, welche Zukunft für ihn in Rom bereitstand und inwieweit eine Beziehung zu einer Freigelassenen seiner Karriere schaden könnte. Deswegen hatte er sich dagegen entschieden.

Römische Verhältnisse - Das Schicksal RomsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt