Kapitel 1

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Die überspitzte Stimme einer Stewardess kündigte die Landung des Fliegers Düsseldorf-New York an und ich schloss auf ihre Anweisung hin meinen Sicherheitsgurt. "Nur noch wenige Minuten und ich werde amerikanische Luft atmen", teilte mir mein dickbäuchiger Sitznachbar mit, woraufhin ich ihn etwas gequält anlächelte. Ich habe noch nie gerne mit Wildfremden geredet, außerdem war dieser gezwungene Smalltalk doch nur eine Formalität, die uns alle nervte. Formalitäten hatte ich genug zu Hause und da konnten sie meiner Meinung nach super bleiben.

Mein Vater war ein echtes Arbeitstier. Er war angesehener Anwalt, den ganzen Tag im Anzug unterwegs und der festen Überzeugung, dass ich mit meinen zarten 18 Jahren alleine nach New York fliegen musste. Soweit war das ja nicht einmal schlimm, doch die Tatsache, dass er seine Beziehungen hatte spielen lassen, damit ich meine ganzen Ferien in einem Büro verbringen durfte. Schließlich konnte ich ja so wichtige Berufserfahrung sammeln und meinen Komillitonen einen großen Schritt voraus sein.

Den Bereich des Eventmanagements hatte meine Mutter ausgewählt. Sie selbst managte beruflich irgendetwas, was mich nicht im Geringsten interessierte. Das war der perfektionistischen Mutter, die vorbildliche Kinder, wie meine große Schwester, erwartete, allerdings ein Dorn im Auge. Und das hier war dann wohl die Konsequenz für mein Desinteresse.

Meine große Schwester genoss die Tatsache, dass ich gegen meinen Willen zum Arbeiten gebracht wurde. Sie hoffte einfach darauf, dass sie nach diesen zwei Monaten eine perfekte Schwester zurückbekommen würde, die sie nach Lust und Laune in schicke Kleider stecken und, mit Schleife im Haar, auf die nächste Gala schleppen konnte.

Das mit der Schleife im Haar befürwortete mein großer Bruder voll und ganz. Er war einer dieser Beschützer, aber gleichzeitig war er ein Abklatsch meiner ganzen Familie. Klamotten? - teuer. Styling? - aufwendig. Kurz gesagt: er war eitel und leider sah er dabei wirklich gut aus, ich hätte ihm ja manchmal das Gegenteil gewünscht, aber was sollte ich tun? Dann fragen mich halt irgendwelche Mädchen in der Vorlesung, ob ich ihnen meinen Bruder vorstellen konnte - fühlte sich super an.

"Na los Mädchen, nicht so viel träumen! Das Land der unendlichen Möglichkeiten wartet auf uns!", dass mein Sitznachbar viel redete hatte ich ja inzwischen geschluckt, aber das 'uns' irritierte mich dann doch etwas, weswegen ich ihn leicht bis mittelschwer verstört musterte. "Na, das Flugzeug ist gelandet, New York begrüßt uns mit offenen Armen und bestem Wetter!" Oh man, was war denn in den gefahren? Mit einem letzten gekünstelten Grinsen und einem "Tschüss" schnappte ich mir mein Handgepäck und verließ fluchtartig den Stahlvogel, der mich sicher bis hier her gebracht hatte. Das war vielleicht etwas übertrieben, aber ich hätte dem Dickbauch auch zugetraut, sich mit mir ein Taxi teilen zu wollen oder gleich mit bis in mein Hotel zu kommen, gruselig solche Menschen.


Mit meinem übergroßen Koffer im Schlepptau verließ ich den ebenfalls übergroßen Flughafen und sah mich nach einem klischeehaften, gelben Taxi um. Direkt neben mir hielt eines und ich wollte grade den Türgriff fassen, als mir ein Junge, etwa in meinem Alter, zuvorkam und mir mit einem strahlenden Lächeln verkündete: "Sorry Schätzchen, aber ich muss mich beeilen." Darauf setzte das arrogante Etwas noch ein Zwinkern und verschwand dann samt Louis Vuitton Reisetasche in dem Taxi, das eigentlich mich zum Plaza Hotel bringen sollte. Arroganter Schnösel!

Während ich dem Taxi noch immer perplex hinterher starrte, hielt ein weiteres direkt vor meiner Nase und der Fahrer stieg mit einem freundlichen Lächeln aus. "Guten Morgen, m'am! Ist nicht so wirklich dein Tag, mh? Kann ich dich irgendwohin bringen?" "Ähm, ja. Ich muss zum 'Plaza Hotel'." Der junge Mann pfiff anerkennend durch die Zähne und hievte mein Gepäck in den Kofferrraum des gelben Gefährts. Anschließend stiegen wir beide in dasselbe und er startete fröhlich pfeifend den Motor. "Du bist nicht aus Amerika, oder?", fragte er nach einigen Metern und ich verneinte. "Ich bin aus Deutschland und so eine große Stadt ist etwas... angsteinflößend." Der Taxifahrer lachte. Lach mich halt aus, ist okay.

In Between »Shawn Mendes«Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt