Kapitel 2

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Da stand ich nun also. Es war sieben Uhr abends und ich stärker geschminkt als gewöhnlich, hatte meine Haare zu leichten Locken verarbeitet, trug eine eng anliegende Hose mit Lederoptik, ein weißes Croptop und die Loubutins, die ich sonst auch zum feiern anzog.

Es klopfte an meiner Zimmertür und ich wusste, dass es Ben war, also schnappte ich mir meine kleine Handtasche und trat zu ihm auf den Flur. "Du siehst heiß aus, Sophie. Dein Geschmack ist sehr gut", grinste er auf eine freundliche Art und Weise und ich bedankte mich. Er selbst trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd, abgerundet mit einem leicht dekadenten Hèrmes Gürtel.
"So, wo gehen wir hin?", fragte ich während Ben und ich zum Taxi liefen. "In einen Klub, nicht weit von hier. Er heißt Topaz." Mit dieser Information konnte ich zwar nicht viel anfangen, dennoch gab ich mich zufrieden und harkte nicht weiter nach.
Die Fahrt selbst dauerte knappe fünf Minuten, doch zwischendurch standen wir oft und lange an Kreuzungen, weswegen das Taxi erst nach einer Viertelstunde am Ziel hielt. Diesmal bezahlte ich, nachdem Ben heftig protestiert hatte, den Fahrer und trat auf den Bürgersteig.
Ein trauriges Nieseln hatte eingesetzt und Ben eilte voraus, vorbei an all den Menschen in der Schlange.

Tatsächlich hatte der Türsteher bei Bens Anblick gelächelt, uns ein goldenes Bändchen verpasst und die Absperrung geöffnet, sodass ich mich jetzt auf einer Couch sitzend wiederfand. Um mich herum saßen viele Jugendliche in meinem Alter, die ähnlich gekleidet waren wie Ben und ich. Die Musik war laut und die Luft stickig, dennoch fühlte ich mich wohl hier. Heute war für mich genau der richtige Tag zum feiern. An manchen Tagen wusste ich schon vorher, wenn der Abend nicht gut werden würde, dann musste ich es nicht erst versuchen. Doch an anderen Tagen spürte ich, wie mein Körper gierig den Alkohol aufsog und ich aufblühte. Heute war so ein Tag und als Ben mir das erste Getränk in die Hand drückte, lies ich mich von der Atmosphäre mitreißen.

Kathi, eine Freundin von Ben und Paul, also ein Mädchen aus der Gruppe hier, schaffte es, sich mir trotz der Lautstärke vorzustellen und meine Sympathie zu gewinnen. Ihr Lachen war nicht zu überhören und sie nicht zu übersehen. Dieses Mädchen sah einfach verdammt gut aus und dennoch stimmte die Ausstrahlung und, dem ersten Eindruck nach, die Persönlichkeit. Außerdem hatte sie eine Schwäche für Justin Bieber, denn als die ersten Töne von 'Sorry' ertönten, sprang sie auf, wirbelte dabei ihre dunklen Haare durch die Luft und zog einige Mädchen, darunter auch mich, auf die Tanzfläche.

Auch als das Lied vorbei war tanzten wir ausgelassen weiter. Der Alkohol kurbelte die Stimmung an und heizte uns ordentlich ein. Jedoch interessierte das keinen hier.

Inzwischen hatten sich auch Ben, Paul und einige ihrer Freunde von der Couch im VIP Bereich aufgerafft und zu uns Tanzenden gesellt. Die Namen der Leute um mich herum kannte ich nicht, doch das war mir egal. Ich feierte und allein das war mir wichtig. Mich interessierte nicht, mit wem ich da grade tanzte und wie viele Drinks Ben mir in die Hand drückte. Ich ließ mich einfach treiben und genoss es, von Zeit zu Zeit einige Blicke auf mir zu spüren. Endlich fühlte ich mich am richtigen Platz und nicht von allen missbilligt. Keine strenge Mutter, kein beschützerischer Bruder und niemand, der mich wegen irgendetwas verurteilte. Nur eine menge Leute, die so waren wie ich.


So wohl ich mich auch diese Nacht gefühlt hatte, so dreckig ging es mir am nächsten morgen. Ich war nur noch ins Bett gefallen und hatte mir nicht einmal die Mühe gemacht, meine nach Rauch und Alkohol stinkenden Klamotten auszuziehen, wenigstens meine Schuhe standen an ihrem Platz. Stöhnend setzte ich mich, darauf bedacht mich nicht zu schnell zu bewegen, auf und blickte mich nachdenklich um. Frühstück oder Badewanne?

Der Kompromiss, erst mein verschmiertes Make-up zu entfernen und die Kleidung gegen einen Bademantel zu tauschen und dann das Essen zu bestellen, siegte. Wieder einmal verfluchte ich wasserfeste Schminke und meine Freude am Feiern, doch das göttliche Frühstück machte das ein Stück weit wieder wett.

Eine halbe Stunde später schlappte ich noch immer leicht verkatert in den Wellness-Bereich, wo ein herrliches Solebad, eine Sauna und vieles mehr auf mich warteten und tatsächlich ging es mir nach dreieinhalb Stunden in dieser Einrichtung deutlich besser und auch mein Spiegelbild war nicht mehr zum gruseln, trotzdem dachte ich nicht daran, das Hotel heute noch einmal zu verlassen. Der Fernseher in meiner Suite und mein Handy beschäftigten mich an diesem Rest des Tages genug.

Ben war um 3 Uhr nachmittags auch mal von den Toten auferstanden und hatte sich via WhatsApp nach meinem Wohlbefinden erkundet, worauf ich ihm nun zwei Stunden verspätet antwortete. Eine eher belanglose Konversation folgte. Allerdings hatte ich den letzten Abend wohl deutlich besser als er überstanden, wofür ich ihn insgeheim auslachte.

Der Sonntag begrüßte mich mit strahlendem Sonnenschein, New York zeigte sich von seiner besten Seite. Und da mir die Frau, welche mir gerade das Essen brachte verriet, dass die Geschäfte hier mangels Ladenschlussgesetz auch heute bis zum späten Nachmittag geöffnet waren, plante ich gerade eine Shoppingtour. Denn viel Zeit würde ich dazu nicht mehr haben, morgen war mein erster Tag in meinem Praktikum und ich würde außerdem dieses Hotel mit der genial zentralen Lage verlassen.

Also war ich in einen kurzen Jumpsuit und braune Lederstiefeletten geschlüpft, hatte mir die nächstbeste Handtasche aus dem Koffer gezogen, diese befüllt und hatte begonnen zu googlen. Ein Laden nach dem anderen landete auf meiner Liste.

Nicht viel später machte ich mich daran, diese abzuarbeiten. Ich lief durch die überfüllten Straßen New Yorks, kaufte mir den typischen Kaffee, der in jedem Klischeefilm Pflicht war und füllte eine Tüte nach der anderen.


Um 17 Uhr kehrte ich dann mit diversen Taschen der verschiedensten Marken und Designer ins Hotel zurück. Am Lebensstil meiner Familie war dies einer der wenigen Vorteile, ich konnte meine Vorliebe für teure Klamotten und berühmte Designer ausleben. Warum ich diese Vorliebe hatte? Keine Ahnung.

Seufzend machte ich mich daran, meine Koffer zu packen, glücklicherweise hatte ich für neue Klamotten Platz gelassen, sodass ich jetzt keinen Stress bekam. Dennoch machte diese Beschäftigung nicht wirklich Spaß, sodass ich nach wenigen Minuten ganz zufällig immer wieder an meinem Handy kontrollieren musst, ob mir nicht jemand geschrieben hatte. Zu meinem Glück schrieben mir sogar ein paar Freundinnen von zu Hause und auch Ben, er hatte Langeweile, musst aber den Abend im Hotelzimmer sitzen und auf seine Eltern warten.

"Reicht es, wenn du im Gebäude bleibst? Dann könntest du rüber kommen und mir Gesellschaft leisten", schrieb ich nach ein paar Minuten Konversation. Ben nahm das Angebot an, er stand kurz darauf vor meiner Tür.

"Na? Kater überstanden?", neckte ich ihn zur Begrüßung. "So ungefähr, wieso verträgst du so viel?", murmelte er nur grimmig darauf. "Ich bin Deutsche, ich hab Übung, seit ich sechzehn bin. Jedenfalls offiziell. Inoffiziell noch länger", ich zuckte mit den Schultern und Ben lies sich schmunzelnd auf mein Bett fallen. Ich wandte mich wieder meinen Koffern zu, während er mich beobachtete. Irgendwann meldete er sich wieder zu Wort: "Hast du eigentlich alle Läden leer geräumt?" Fragend sah ich ihn an, verstand dann aber die Anspielung auf die Tüten in meinen Händen und um mich herum. "Tja, etwas positives muss es doch haben, dass ich hier hin verfrachtet wurde." - "Reicht nicht, dass du mich kennen lernen durftest?", für diese Bemerkung schleuderte ich Ben eins der Sofakissen an den Kopf, was dieser natürlich nicht auf sich sitzen lies. Klischee overload.

Ich schaffte es innerhalb 15 Minuten, den Amerikaner zum Aufgeben zu bringen und stand nun siegessicher mit einem Kissen in der Hand über ihm. "Das, mein Freund, passiert, wenn du dich mit mir anlegst", sagte ich mit einem dicken Grinsen im Gesicht, lies mich aber gleich darauf neben ihn auf das Bett fallen. "Musst du nicht weiter packen?", warf Ben ein. Seufzend wälzte ich mich zur Seite und ignorierte ihn. "Dann mache ich das halt."

Ich hatte nicht vor gehabt, Ben davon abzuhalten, meine Aufgabe zu erledigen, doch als er mir ein Kompliment für meinen "ausgezeichneten" Geschmack, was meine Unterwäsche betrifft, machte, stand ich blitzschnell neben ihm, riss die Teile aus seiner Hand und füllte in Rekordzeit die Taschen. "Na geht doch", sagte er nur dazu, fläzte sich wieder auf das Bett und schaltete den Fernseher an.


Im Endeffekt hatten wir sinnlose Serien geguckt, bis Bens Eltern um halb elf eingetroffen waren, er hatte sich dann bei mir mit dem Versprechen, wir würden in Kontakt bleiben, verabschiedet und war verschwunden. Nun saß ich also hier, war wieder allein und beschloss, früh, also jetzt, schlafen zu gehen, damit ich morgen einen guten Eindruck machte.

In Between »Shawn Mendes«Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt