Kapitel 2 - So viel zu ' es tut mir leid'

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Sofort verkrampfe ich mich, als ich höre wie die Schlüssel im Schloss klirren und die Türe langsam und knarrend aufgeht. Früher habe ich mich gefreut, wenn Dyllan nach Hause gekommen ist. Jetzt? Jetzt fange ich an zu zittern und bekomme panische Angst. Schnell lasse ich meinen Blick in der Küche, in welcher ich stehe, schwingen um zu schauen, ob ich etwas vergessen habe. Ob ihn etwas wütend machen könnte. Aber alles sieht gut aus. Das Essen ist fertig, der Tisch gedeckt, alles sauber und aufgeräumt.

Einmal hat er mich fast Krankenhausreif geschlagen, da ihm das essen zu lange ging. Aber was kann ich dafür, dass ein Braten nunmal seine Zeit lange braucht. Hätte ich ihm den Braten noch blutig aufgetischt, dann hätte er mich wahrscheinlich genau so geschlagen. Also? Welche Wahl hatte ich? Von Gedanken umschlingt bemerke ich nicht, wie Dyllan in die Küche kommt.

"Hi Ly." begrüßt er mich und stellt seine Tasche auf den Boden. Mit großen Augen schaue ich ihn an. Ly. So hat er mich lange nicht genannt. Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine eingerissene Lippe. Auch wenn es etwas schmerzt durch die Verletzung, verdrängt nichts das kleine Lächeln welches durch die Erwähnung, durch seine Erwähnung meines Spitznamens hervorgerufen wurde.

"Hi Dyllan." begrüße ich ihn, trotzdem etwas angsterfüllt und kalt und humple schnell zum Herd, um die Nudeln auf den Tisch zu stellen. Zu viel Angst habe ich, um ihn wie früher zu nennen. Um ihn Dy zu nennen. Diese Spitznahmen haben wir ziemlich lange. Er hat irgendwann einfach angefangen Ly zu sagen. Da ich das aber nicht mochte habe ich ihn Dy genannt. Ausgemacht hat es ihm nichts und so sind die zwei Namen hängen geblieben. Naja bis ich wieder angefangen habe ihn bei seinem richtig Namen zu nennen.

"Hey, warte mal." sofort bleibe ich stehen und schließe meine Augen. Bitte nicht. Ich habe noch die ganzen Schmerzen von gestern. Ich spüre noch die Tritte und die Schläge. Bitte, ich will nicht wieder zusammengeschlagen werden. Er kommt mit langsam Schritten auf mich zu und stellt sich vor mich. Mein Atem zittert, meine Augen zusammen gepresst. Ich warte auf einen Schlag. Ich warte auf den Schmerz. Seine Hand bewegt sich immer näher zu mir. Aber anstatt mich zu schlagen, fährt er sanft mit seinen Fingerspitzen über meine Wange. Ich zucke bei seiner Berührung zusammen.

"Lynn..." flüstert er und wischt mir sanft mit seinem Daumen über die Wange. Zuerst verstehe ich nicht warum, aber dann verstehe ich es. Ich weine. Ich weine vor Angst wieder geschlagen zu werden. Vor Angst wieder Schmerzen durchstehen zu müssen.

"War, ähm war ich das?" fragt er flüsternd und fährt zärtlich über die violette Haut meiner Wange. Ich nicke leicht, traue mich aber nicht in seine Augen zu schauen. Wie gerne würde ich wissen, was er empfindet. Welche Emotionen ihn durchströmen. Bereut er es?

"Es ist nicht so schli-" will ich gerade sagen, werde aber durch einen Finger auf meinen Lippen gestoppt. In mir brodelt er vor Angst. Wie gerne ich doch einfach nur die Zeit von früher wieder haben möchte.

"Das tut mir leid." flüstert er und zieht mich in seine Arme. Sofort verkrampfe ich mich noch mehr und reiße meine Augen auf. Seine Arme um meine zu spüren löst pure Panik in mir aus. Anscheinend merkt er das und löst sich wieder von mir. Keine Sekunde später lockern sich meine Muskeln wieder etwas.

"Du hast Angst vor mir." stellt er fest und schaut mich wehmüdig an.

"Was denkst du denn?" feuere ich ihn an. Gleich darauf allerdings bereue ich dies schon wieder. Was wenn er mich jetzt wieder schlägt? Was wenn er es einmal so zusammen schlägt, dass ich nicht mehr aufwache? Was wenn ich auf dem blutverschmierten Boden liege und Ohnmächtig werde? Was aber, wenn ich wegen solcher inneren Verletzungen sterbe? Wenn ich alleine auf dem Boden liege und sterbe?

Brooklyn, meine beste Freundin, sagt dauernd ich solle mich trennen. Ich habe ihr gegenüber zwar nie bestätigt, dass er mich schlägt aber sie sieht meine Verletzungen und naja, irgendwann gehen einem die Ausreden aus.

"Lynn, ich weiss nicht, was ich sagen soll." ratlos steht er vor mir. So war er schon lange nicht mehr.

"Ich auch nicht Dyllan. Lass uns bitte einfach essen." sage ich bittend aber auch etwas harsch. Anscheinend zu harsch.

"Wie redest du denn mit mir?" schreit er plötzlich und holt mit seiner Hand aus. Bevor ich aber irgendwie ausweichen kann brallt sie voller Wucht auf meiner Wange auf. Vor Schock weiten sich meine Augen und langsam lege ich eine Hand auf meine glühende Wange. Die Tränen blinzel ich schnell weg.

"Ich entschuldige mich und du dummes Weib, was machst du? Du willst das doch. Du provozierst es doch." schreit er mich an und zieht mich an den Haaren in Richtung Wohnzimmer. Ich schreie und stolpere ihm hinterher. Ich weiss nicht, was mehr schmerzt. Dass er mich an den Haaren zieht, mein Fuß, da ich auftreten muss oder mein Herz.

Unsanft wirft er mich gegen die dunkelbraune Vitrine. Mit einem großen Knall pralle ich dagegen und ein enormer Schmerz zieht sich durch meinen Rücken, ehe ich auf den Boden segle. Ich schließe meine Augen und versuche ruhig zu atmen.

"Dabei hat der Tag heute so gut begonnen. Das ist alles deine Schuld." sagt er und will gerade aus dem Wohnzimmer gehen.

"So viel zu 'es tut mir leid'." sage ich mit leiser Stimme und schaue ihm hinterher. Meine Stimme ist nicht laut. Fast nur ein flüstern, aber er hört es. Er versteht es. Er hält inne, dreht sich aber nicht um. Dreht dich nicht zu mir. Zu seiner Verlobten, die weinend, blutend und mit Schmerzen am Boden liegt. Und ich habe auch nur eine Sekunde daran gedacht, dass er es ernst meinen könnte. Eine kleine Sekunde. Ich habe nur eine mini kleine Sekunde daran gedacht, dass es wieder besser zwischen uns laufen könnte. Denn es war das erste mal seit damals, dass er so etwas gesagt hat. Es war das erste mal, seit einem Jahr, dass er ein bisschen Reue gezeigt hat.

Ich bin 25 Jahre alt, ich sollte Glücklich sein. Flirten, mein Leben genießen oder einen Freund haben, der mich liebt und nicht schlägt. Aber man kann es sich manchmal wohl nicht aussuchen. Ich liebe ihn aber wie lange schaffe ich das noch. Jetzt liege ich hier, blutend auf dem Wohnzimmerboden und traue mich nicht aufzustehen.

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