~Februar 2023~

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2. -Februar 2023-

„Hey Paps!" ertönt die Stimme meiner heute schon 23 jährigen Tochter, nachdem die Haustür aufgesprungen ist. Lenny, unser Hund flitzt in ihre Richtung und begrüßt die lautstark.
Aeryn hat nach ihrem Abschluss an der Uni Biologie und Anatomie studiert, ist in die Fußstapfen ihres Großvaters getreten und ist Hebamme geworden. Sie ist ein schlaues Köpfchen und ich bin unglaublich stolz auf sie.
Kurz darauf kommt sie zu mir in die Küche und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Was hast du da?" fragt sie mich und deutet auf den Stapel Bilder, der vor mir liegt und geht dann zum Kühlschrank, inspiziert seinen Inhalt. Ich muss schmunzeln. „Gab's in der Klinik nichts zu essen?" frage ich, als sie sich Käse und Schinken rausholt und beginnt, sich ein Sandwich zu machen. „Du weißt, wie grauenhaft das Essen dort ist", erinnert sie mich und ich lache. „Ach ja, deswegen ernährst du sich dort auch nur von Chips und Schokoriegeln." Kauend reckt sie den Daumen nach oben, und ich schmunzle. Dann fällt mir ein, worum ich sie noch bitten wollte. „Ach, wo du grad hier bist", beginne ich und sie dreht sich zu mir um, lehnt an der Küchenzeile und beißt beherzt in ihr Sandwich. „Hm?" macht sie fragend. „Würdest du Lenny für ein paar Tage zu euch nehmen? Ich muss nach Paris", bitte ich sie und Aeryn schluckt ihren Bissen hinunter. „Fashionweek?" erkundigt sie sich schmatzend. „Jup", antwortete ich und meine Tochter grinst. Ich weiß was sie denkt. Ihr alter Dad, der keine Ahnung und kein Interesse an Mode hat, der aber auch jenseits der 30er noch eine Menge Modelaufträge bekommt. Ich weiß selbst nicht, wie das immer wieder zu Stande kommt. Aber es ist nettes Geld, was ich für ein paar Fotos bekomme. Und wenn ich mich dafür ein paar Tage in Paris blicken lassen muss, warum nicht. Oft treffe ich dort den einen oder anderen alten Freund und meist wird es ganz lustig. Ich trage Sachen, die nicht mir gehören, aber auch das ist mir egal. Ich mache mir nichts aus Mode.
„Kann ich nicht einfach für die Tage hier bleiben?" fragt mich Aeryn statt der Antwort, unseren Hund mit zu sich nehmen. Das tut sie eigentlich immer. Ich hebe fragend eine Augenbraue. „Was ist los?" will ich wissen, doch statt einer Antwort dreht sie sich um und beginnt ihren Kram wieder aufzuräumen. „Aeryn..." sage ich auffordernd und sie seufzt, lässt den Kopf hängen. „Alles okay zwischen dir und Evan?", frage ich und dann höre ich sie schniefen. Oh oh. „Nicht doch", sage ich sanft und gehe zu ihr, ziehe sie in meine Arme. Sie vergräbt ihr Gesicht an meine Brust und kuschelt sich an, schnieft noch immer leise vor sich hin. „Komm schon, Babybug. Sag mir, was los ist. Was macht dich so traurig?" ermutige ich sie. „Streit?" Sie zuckt mit den Achseln. „Eigentlich nicht...", murmelt sie dann und löst sich etwas von mir, sieht mich aber nicht an. „Und uneigentlich?", will ich wissen. „Wir... haben irgendwie nicht mehr die gleichen Ziele", erklärt sie und wischt sich über die Nase. Ich ziehe sie zum Küchentisch und als sie sitzt, mache ihr ihr einen Kakao, wie sie ihn liebt. „So und jetzt mal von vorn", bitte ich sie, als sie die Tasse vor der Nase stehen hat. Sie kichert süß, wie sie es immer tut, wenn ich ihr Kakao mache und nimmt einen Schluck. Dann seufzt sie erneut und beginnt zu reden.
„Ihr habt also Schluss gemacht?", schlussfolgere ich. Sie und Evan sind ein Paar, seit Aeryn 18 war. Ich mg ihn eigentlich. Er behandelt meine Tochter gut. „Nein. Also... nicht endgültig. Wir wollen etwas Abstand nehmen. Er fährt mit dem Wohnmobil durchs Land, und ich..." sie zuckt unschlüssig mit den Achseln. „Ich kann jedenfalls nicht in die Wohnung zurück. Da halte ich es nicht aus", erklärt sie und ich lege meine Hand auf ihre. „Natürlich kannst du hier bleiben. Solange du willst. Und wenn du das Haus immer noch kaufen willst, dann steht mein Angebot noch immer", versichere ich ihr. Sie wollten sich ein Haus kaufen und ich wollte ihnen das Geld geben, damit sie sich keinen Kredit bei der Bank holen müssen. Nicht bei den horrenden Zinsen im Moment. „Ich werde auf gar keinen Fall das Haus kaufen", meint sie felsenfest. „Und was ist mit deinem Traum von deiner eigenen Praxis?" hake ich nach und wieder zucken ihre Achseln. „Steck deine Träume nicht zurück, nur weil der Kerl dir flöten geht", sage ich. „Tu ich doch gar nicht", brummelt sie trotzig. „Doch. Genau das tust du. Du solltest deine Träume verwirklichen. Du redest seit dem Tag deines Abschlusses davon", erinnere ich sie. „Und wie soll das gehen? Mein Einkommen reicht allein nicht", murrt sie und verdreht genervt die Augen. „Verdreh nicht die Augen", mahne ich. "Du hast mich. Ich will dir helfen. Das habe ich dir immer wieder gesagt. Such dir Räumlichkeiten und das mit der Miete übernehme ich, solange es sein muss", mache ich ihr klar und Aeryn leert ihre Tasse. „Mal sehen. Erst mal will ich einfach... raus." Nun seufze ich. „Willst du mit nach Paris kommen? Ich kann die Nachbarn wegen Lenny fragen", schlage ich ihr vor. Aeryn liebt Paris. „Nein, schon gut. Ich will dir nicht auf die Nerven gehen und außerdem hatten wir die Abmachung, dass ich Lenny nehme, wenn du weg musst", erinnert sie mich. Ja, so war der Deal gewesen, als wir den Burschen zu uns geholt haben. Wenn sie auszieht, brauche ich weiterhin ihre Unterstützung. Und bisher hat sie sich immer daran gehalten. „Das kriegen wir anders hin. Komm mit, begleite mich und wir machen Paris unsicher. Das wird lustig. Wir waren schon lang nicht mehr allein unterwegs", versuche ich es erneut und in ihren Mundwinkeln zuckt es. „Okay. Aber nur, wenn es wirklich keine Probleme wegen Lenny gibt", lenkt sie ein und ich grinse.
Schließlich zieht sie die kleine Box mit den Fotos zu sich, die auf dem Tisch steht. „Was sind das für Bilder?" will sie wissen und nimmt eines heraus. „Die Fotos hat mir Tobias geschickt. Er ist dabei, Tante Mays Haus auszuräumen und hat die gefunden", sage ich. Tobias ist mein Cousin, Tante Mays Sohn. Ich sehe, welches Foto sie in der Hand hält. „Du warst so...." „sags nicht", unterbreche ich sie. „...süß!", beendet sie quietschend ihren Satz. Nun verdrehe ich die Augen. „Wer ist das da neben dir?", will sie dann wissen und ich hole tief Luft. „Das ist deine Mom", sage ich und beobachte sie. Es ist das erste Mal, dass sie sie sieht. Und auch für mich ist es das erste Mal seit damals. Ich habe sie nie wieder gesehen. Wir haben versucht, sie vor ein paar Jahren zu finden, doch wir waren zu spät. Sie starb vor 12 Jahren bei einem Autounfall.
„Wow", haucht sie nach einem Moment der Stille. „Sie... war wirklich hübsch", meint sie. „Ja, war sie", stimme ich ihr zu. „Darf... Ich das behalten?", fragt sie zögernd. „Ja. Selbstverständlich", antwortete ich und ziehe die Box zwischen uns. Gemeinsam schauen wir uns weitere Bilder an. Auf einigen ist ihre Mutter zu sehen.
Hier und da erzähle ich etwas dazu, sofern ich mich erinnern kann. Das ist alles so viele Jahre her. Ich beobachte Aeryn, die so unglaublich traurig wirkt, obwohl sie lacht. Aber mir macht sie nichts vor. Ich kenne jede ihrer Regungen. Jede noch so kleine Zuckung in ihrer Mimik. Ich habe sie unzählige Stunden beobachtet. Als Baby, während sie geschlafen hat, gespielt, geweint. Ich liebe sie so sehr, dass es manchmal weh tut. Ich würde für sie sterben, für sie töten, einfach alles tun. Die Liebe zu dem eigenen Kind ist unendlich. Uns es tut mir in der Seele weh, zu sehen, wie sie leidet. Sie lieb Evan so sehr.
„Warst du doll in sie verknallt?" fragt mich Aeryn dann und holt mich ins Hier ins Hetzt zurück. „Hm..? Ja, denke schon", sage ich Wahrheitsgemäß. „Aber sie wollte nichts Festes, was von der Entfernung her eh schwierig gewesen wäre. Es war okay", sage ich und zucke mit den Achseln.
„Deine Beziehungen haben nie wirklich lange gehalten. Hast du jemals eine Frau getroffen, bei der du dachtest: DAS ist sie! DIE will ich heiraten?", möchte sie dann wissen und ich muss nicht lange überlegen. „Ja", sage ich und denke an den Moment zurück, vor über 10 Jahren, als ich sie auf der Treppe sitzen sah. „Wer war es?" fragt sie. „Millie. Damals 2010 in Los Angeles. Sie kam aus London, war im Film Business, wie ich. Ich kannte sie aus dem Fernsehen. Sie hat mich umgehauen. Bei ihrem bloßen Anblick hat sie mich total aus der Bahn geworfen", erinnere ich mich. „Aber? Warst du zu feige sie anzusprechen?" Ich schüttle den Kopf. „Tatsächlich habe ich all meinen Mut zusammen genommen und hab sie angesprochen." „Aber sie war nicht interessiert?", vermutet sie. „Doch. Schon. Also, wir haben recht lange geredet, was zusammen getrunken. Ich hab sie sogar zu einem Date mit mir überreden können", schmunzle ich, seufze dann aber. „Was passierte dann? Kam es zum Date?" „Nein. Ehe wir Telefonnummern austauschen konnte, rief Dad an und sagte mir du hättest eine Blinddarmentzündung. Stan hat mir einen Privatjet organisiert und ich bin noch am selben Abend von L.A. nach Belfast geflogen, damit ich bei dir sein konnte, wenn du von der OP aufwachst." „Oh, da war das. Das tut mir leid, Dad", sagt sie bedauernd und ich lache. „Das war doch nicht deine Schuld. Die Blinddarmentzündung hast du dir schließlich nicht ausgesucht." „Hast du nie versucht, sie zu erreichen?", harkt sie nach. „Dir ging es nach der OP nicht sehr gut, hattest noch einige Tage mit Fieber zu kämpfen. Und als es dir besser ging haben wir Urlaub in den Bergen gemacht, erinnert du dich? In der Schweiz." „Ja, ich erinnere mich. Dort hattest du diesen schlimmen Skiunfall, wobei du dir deine Schulter gebrochen hast", fällt ihr ein. Ich nicke. „Du hast sie also nie wieder gesehen?" Aeryn ist ganz schön neugierig, aber ich bin gewillt, es ihr zu erzählen. „Doch. Vor ein paar Jahren in Irland. Als ich den Film mit Christopher Walken und Emily Blunt gedreht habe." „Wild Mountain time." Ich nicke. „Millie hat die Filmmusik dazu komponiert", erkläre ich. „Hast du sie nochmal um ein Date gebeten?". Ich schüttle den Kopf. Das Schicksal meinte es nicht gut mit uns. „Wir haben uns beinahe geküsst. An einem Abend nach dem Dreh, in dem Pub, in das wir immer gegangen sind", erzähle ich und meine Tochter giert nach mehr Infos. „Wir wurden unterbrochen und uns wurde klar, dass das falsch war. Sie war in einer Beziehung und ich auch. Damals mit Linda", fahre ich fort. „Aber nach dem beinahe Kuss war mir klar, dass Linda nicht die Richtige für mich war", beende ich meine Erklärung. „Deshalb hast du also Schluss gemacht." Ich nicke.
„So wie du über Millie redest, geht sie dir noch immer unter die Haut", wird ihr klar. "Deswegen war dein letztes Date also scheiße", kichert Aeryn und ich muss lachen. „Nein, nicht deshalb. Sondern wegen der Tatsache, dass diese Frau viel zu viel geredet hat", erinnere ich mich lachend an das letzte Date mit Sarah. Es war unser zweites Date gewesen. „Zu viel geredet? Mehr als du?" fragt Aeryn lachend. „Viel mehr. Ich bin kaum zu Wort gekommen." Meine Tochter lacht herzlich. Wenn auch mal wieder auf meine Kosten, aber das soll mir recht sein, solange sie für einen Moment ihrem Kummer vergisst. Sie sagt ständig, ich würde zu viel reden. Aber ich kann nicht anders. Ich unterhalte mich gern, halte Smalltalk. Ich bin schließlich Ire, das liegt uns im Blut. Meine Tochter ist auch Vollblut Irin, aber auf eine etwas ruhigere Art. Sie singt zwar auch gern, so wie ich, aber in dezenter Form und wenn sie allein ist. Ich singe dann, wenn mir danach ist. Also eigentlich immer. Viele nervt es, denn ich bin kein besonders guter Sänger, aber ich bin es gewohnt, Leuten auf den Keks zu gehen. Die, die mich kennen und mögen, wissen damit umzugehen.
Millie schien damit überhaupt keine Probleme zu haben. Dabei rede ich noch mehr, wenn ich nervös bin. Manchmal plappere ich, ohne Punkt und Komma. Und still sitzen kann ich auch nicht. Mein Freund Eddie meint immer, ich sei wie ein Welpe, der mindestens drei mal am Tag seine 5 Minuten bekommt. Und vermutlich hat er damit recht. Vielleicht bin ich hyperaktiv, aber ich mache viel Sport, um meine Energie zu bändigen. Manchmal mit gutem, manchmal mit mäßigem Erfolg.
„Du bist schon wieder ganz woanders mit deinen Gedanken, kann das sein?" fragt mich Aeryn amüsiert und ich muss grinsen. Erwischt. „Was gibt's zu essen?" fragt sie dann und steht wieder auf, um den Kühlschrank erneut zu inspizieren. Ich lache. Sie hat nicht besonders viel von mir, aber den unbändigen Hunger definitiv. Und zum Glück auch den Stoffwechsel. „Wir können was beim Chinesen bestellen", schlage ich vor und weiß, dass ich meine Tochter damit glücklich machen kann, was mir ihre leuchtenden Augen bereits verraten.

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