PoV Kiara
Den kurzen Gang schnell hinter mir gelassen, betrete ich den sich grade öffnenden Fahrstuhl. Wie auch in der letzten Woche bin ich wieder spät dran. »Hi Damian« begrüße ich jenen, welcher ebenfalls im Fahrstuhl steht und das gleiche Ziel wie ich hat: die Station Nummer 5. Zur wöchentlichen Untersuchung. Er nickt mir nur einmal kurz lächelnd zu und damit ist unser "Gespräch" dann auch schon wieder beendet. Er sieht müde aus, als hätte er letzte Nacht nicht viel geschlafen. Doch ohne vorhin einen Blick in den Spiegel geworfen zu haben weiß ich, dass ich vermutlich nicht besser aussehe. Ich habe nämlich auch nicht viel geschlafen, genau genommen seit ca. 2 Wochen schon nicht mehr wirklich viel. Während der Fahrstuhl die Etagen runterfährt, muss ich einmal gähnen, verkneifen kann ich es mir nicht. Der weiße Fahrstuhl schwebt leicht wie eine Feder die Stockwerke hinunter, sodass man denkt, er würde sich gar nicht bewegen. »Wie geht es dir?«, kommt plötzlich von meiner Fahrstuhlbegleitung und ich weiß sofort, auf was er hinaus möchte. »Es geht schon, irgendwie. Ich weiß nicht wie ich mich fühlen soll« antworte ich ihm ehrlich. Auch wenn wir seit ein paar Jahren nicht mehr viel gesprochen haben, denk ich, dass ich ehrlich zu ihm sein kann. Immerhin wollte er immer seinen Schatz mit mir teilen als wir noch klein waren. Ein schwaches Lächeln kommt von ihm als Antwort und er drückt einmal meine Schulter, als Zeichen, dass er mitfühlt. Aber nicht viele können sich vorstellen wie es mir im Moment geht. Mit den aufschwingenden Türen werde ich wieder aus meinen Gedanken in die Realität zurückgeholt und nacheinander betreten wir den kleinen und steril aussehenden Empfangsraum, wo bereits einige Menschen sitzen, die ebenfalls jede Woche hier sind. Stumm setze ich mich auf einen der großen Sessel und warte ab, bis man mich aufruft. Wirklich lange kann das nicht dauern, da ich ja schon wieder fast zu spät hier aufgeschlagen bin. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie immer mal wieder ein mitleidiger Blick zu mir herüberkommt. Wirklich lange werde ich diese Blicke nicht mehr aushalten. Am liebsten würde ich alle anschreien, dass ich das Mitleid schon jetzt satthabe und es mir meine Eltern auch nicht zurückbringt, doch noch bevor ich überhaupt etwas sagen kann, höre ich meine Namen. »Kiara bitte«. Eine der freundlichen Assistentinnen steht mit dem Tab-Screen in der Tür und wartet lächelnd, bis ich bei ihr angekommen bin. Anschließend geht es einen längeren Gang hinab, von welchem mehrere Türen abgehen. Auch hier ist alles einfach bloß weiß, was mich echt wahnsinnig machen würde, wenn ich hier stundenlang arbeiten müsste. Bei der Nummer 7 bleiben wir stehen und sie öffnet mir den Raum mit ihrer Schlüsselkarte und den Worten »heute führt Doctor Vinada die Untersuchung durch, anschließend wird Professor Harlston bei dir sein«. Mit einem dankenden Nicken trete ich über die Schwelle und hinter mir verschließt sich der Raum wieder. Wie jede Woche nehme, ich auf der großen Liege platz und warte, gespannt darauf, ob nun Herr oder Frau Vinada kommen. Es dauert auch keine fünf Minuten mehr, als schließlich Herr Vinada durch die Tür kommt und mich anlächelt. Aber nicht wie die meisten mit einem bemitleidendem Lächeln, sondern einem freundlichen, weshalb ich mich gleich irgendwie besser fühle. »Hallo Kiara, es ist schön dich mal wieder zu sehen« begrüßt er mich und legt das Tab mit meiner Akte auf den gläsernen Schreibtisch. Ich begrüße ihn ebenfalls, während er einige Materialien aus einem der Schränke holt. »Du kennst es ja schon, das gleiche wie jede Woche auch. Blut abnehmen, ein EKG, kurzer Lungentest und einen Scan« murmelt er, während er wohl kurz den Bericht von letzter Woche überfliegt. Ich nicke nur, heute bin einfach nicht sonderlich gesprächig. Das EKG und der Lungentest sind schnell gemacht, sodass er nun mit der Nadel zum Blut abnehmen kommt. Es ist ein kurzer Piks und schnell füllen sich die kleinen Röhrchen mit der dunkelroten Flüssigkeit. Diese kommen anschließend in den Analysator, welcher innerhalb von fünf Minuten alle Ergebnisse hat. Anschließend kommt mein Kopf in den Scanner und Doktor Vinada widmet sich meinen Blutwerten. »Die Werte sind wie immer Top« verkündet er, während er sich wieder zu mir dreht und mir ein Lächeln schenkt. »Meine Frau und ich würden dich morgen Abend gerne zum Essen einladen. Du bist in den letzten zwei Wochen kaum aus deiner Kabine rausgekommen und es würde dir sicher gut mal wieder etwas anderes als deine vier Wände zu sehen. Ich weiß, dass du das vermutlich nicht hören möchtest, aber deine Eltern würden nicht wollen, dass du den ganzen Tag traurig für dich alleine in deiner Kabine sitzt«, mit diesen Worten habe ich nun wirklich nicht gerechnet, vor allem nicht so plötzlich. Und als mir ihre Bedeutung bewusst wird, kommen mir sofort Tränen, welche auch gleich über meine Wangen laufen. Und trotz der Tränen kommt ein kleines Lächeln auf meinen Lippen zustande. »Ich weiß, dass sie es nicht gewollt hätten, aber es ist schwer«, murmle ich und bin schon etwas erleichtert, als er den Scanner wieder von mir entfernt. Ohne Worte nimmt er mich kurz in den Arm, so wie früher, als ich mich beim Spielen mit Damian in den Steinhöhlen oft verletzt habe. »Ich komme morgen Abend gerne mit. Und ja, ich werde heute auch zum Captains-Tisch gehen, dort kann ich gar nicht nicht erscheinen« erkläre ich die Frage, welche ihm quasi ins Gesicht geschrieben steht. Anscheinend sorgen er und seine Frau sich doch noch um mich, wie es früher auch immer war. Er lächelt mich einmal an und überprüft noch schnell die Werte, welche mittlerweile vom Scanner zum System geschickt wurden. »Hier ist auch alles beim besten. Perfekt. Wir holen dich dann morgen Abend gegen 19 Uhr ab, ich muss leider schon weiter«. Ich nicke ihm lächelnd zu, danke ihm noch und schon verschwindet er zum nächsten Raum. Die Vinadas waren damals wie eine zweite Familie, als wir noch alle auf der Erde gelebt haben. So oft wie Damian, mein Bruder und ich uns davon geschlichen haben, um in den Steinhöhlen nach Schätzen zu suchen und unsere Eltern uns gesucht haben, haben wir uns alle sehr schnell angefreundet. Doch als sich unser aller Wege getrennt haben, als mein Bruder und ich fünf Jahre und Damian sechs Jahre alt waren, hat sich der Kontakt mit der Zeit immer mehr vermindert, bis er fast ganz aufhörte. Anfangs war das schlimm für mich. Damians Eltern sind fast nur noch am Arbeiten seit wir im Weltall sind und Damian selbst hatte dadurch auch nicht mehr viel Zeit, vor allem, da wir sehr viele Untersuchungen und Behandlungen in den ersten zwei Jahren hatten, die Schule nicht zu vergessen. Und ich bin mit einigen anderen Kindern damals ohne meine Familie auf dieses Schiff gekommen, alleine. Und oft fühle ich mich auch so alleine, trotz meiner Freunde. Denn meine Eltern und mein Zwillingsbruder sind auf der Erde geblieben, als Wissenschaftler und eines der wenigen Kinder, welche für die Untersuchungen auch dort geblieben sind. Und genau das hat sie ihr Leben gekostet.
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Scherbenseele
Teen Fiction»Ich kann nicht glauben, dass noch immer keine Lösung gefunden wurde. Stattdessen wird es immer schlimmer.« Die Erde sieht furchtbar aus, wie ein völlig fremder Planet, welcher so gut wie nicht mehr bewohnbar ist für die Menschen, die all die Katast...