PoV Kiara
Nachdem der Captain von allen Anwesenden die Aufmerksamkeit hat, geht die Folter auch schon los. »Meine lieben Freunde und Gäste. Ich freue mich, euch alle erneut zu einem Captains-Table begrüßen zu dürfen und hoffe auf einen schönen Abend. Wie immer ist dies ein besonderes Event, welches wir mit Stolz und Freude genießen können. Wir feiern unter anderem unseren großen Erfolg der Rettung der restlichen Menschheit. Mit viel Mühe, einer Menge Arbeit und einem großen Überlebenswillen haben wir zusammen Großes vollbracht[...]«. Und genau ab diesem Punkt schalte ich wieder ab, auch wenn es nicht leicht ist, die laute Stimme von Captain Matthews zu ignorieren. Ich mag diese Geschichte nicht. Nicht nur, weil ich sie schon viel zu oft hören musste, sondern weil ich sie, wie bereist erwähnt, auch für absolut übertrieben und aufgeblasen halte. Ja, es wurde großes vollbracht, aber muss man es deswegen seit Jahren immer wieder so sehr aufblasen? Es ist auch schon achtzehn Jahre her, seit wir losgeflogen sind. Viele Menschen sind mittlerweile verunsichert, wie es weiter geht. Es gibt immer mehr Fälle von Space-Koller, da die Menschen Angst bekommen, dass wir für immer und ewig in dem dunklen Weltraum bleiben. Es werden einfach zu viele Informationen zurückgehalten und verschwiegen. Das ist doch klar. Innerlich seufzend schaue ich das Sektglas zum Anstoßen an, welches bereits nach mir ruft. Doch es wird sicher noch zehn Minuten dauern, bis er seine Rede endlich beendet hat. Neben mir sitzt heute endlich mal wieder Rayne, zum Glück, denn jedes Mal wechseln die Sitzplätze. Mir schräg Links gegenüber sitzt Damian, neben ihm ein Junge, mit dem ich bisher glaube ich noch kein einziges Wort gewechselt habe. Es ist doch erstaunlich, dass ich mit vielen hier im Raum höchstens eine Bekanntschaft gemacht habe, aber nie wirklich etwas mit ihnen zu tun hatte. Obwohl wir uns alle so oft sehen. »Lange Rede, kurzer Sinn: Ich wünsche uns einen wundervollen und entspannenden Abend. Zum Wohl«, mit diesen Worten beendet Captain Matthew seine Rede und hebt sein Sektglas – was wir ihm alle gleich tun. Na dann mal fröhliches betrinken. Der erste Schluck des prickelnden Getränkes läuft meine Kehle hinunter und es fühlt sich überraschend erfrischend an. Haben sie neuen Sekt? Normalerweise hat er immer sehr trocken geschmeckt und nicht so fruchtig. Aber es ist schön, dass wenigstens eine kleine Sache mal anders ist als sonst an diesen Event-Abenden. »Hast du Lust, morgen etwas zu unternehmen? Damit du dich nicht wieder den ganzen Tag in deiner Kabine verziehst?«, Rayne schaut mich mit einem aufmunterndem Blick an und jetzt tut es mir ehrlich leid, dass ich auch sie die letzten zwei Wochen ignoriert habe. »Dann denke dir mal was aus, Abends bin ich aber schon verplant« lächle ich leicht und trinke das erste Glas in einem weiteren Zug aus, nur um dann kurz später ein neues in der Hand zu halten. Um mich herum herrschen viele unterschiedliche Gespräche, allerdings habe ich bei keinem davon Lust etwas beizutragen. Erst ein leichter Tritt gegen mein Bein lässt mich wieder von meinem Sektglas aufschauen. Damian grinst mich verschmitzt an und deutet mit seinen Augen nach rechts, wo ein anderer Gast des Captain-Tables wie bekloppt den Inhalt seines Glases anschaut. Es wirkt fast so, als hätte er noch nie Sekt gesehen, obwohl wir jedes Mal das Gleiche trinken. Im ersten Moment ist es ziemlich lustig, nach ein paar Minuten, wo es noch immer so ist, wird es dann aber doch gruselig. »Jimmy, ist alles okay?«, fragt Damian schließlich an den Jungen gerichtet, auch sein Blick ist nun skeptisch statt belustigt. »Ja, ja. Alles bestens« murmelt angesprochener nur leise, sodass ich es kaum gehört habe und inspiziert weiter den Inhalt seines Glases. Ohne bisher einen Schluck davon getrunken zu haben. Damian wendet sich mit gerunzelter Stirn wieder mir zu, zuckt allerdings nur mit den Schultern und widmet sich wieder dem Teller vor ihm. Ich habe mir nur einen mittleren Salat bestellt, da ich sowieso nicht viel runterbekomme momentan und dazu auch keinen Appetit habe. Während ich lustlos meinen Salat in mich hinein stopfe, überlegt Rayne neben mir die ganze Zeit total angestrengt, was wir denn morgen unternehmen könnten. »Was hältst du von einem Film?« kommt ihr schließlich über die Lippen, doch ich kann nur mit dem Kopf schüttelt, »ich muss mich mal wieder bewegen, lass uns mal etwas Aktives machen. Ich lag diese zwei Wochen eigentlich nur im Bett herum, Rayne«. Nachdenklich nickt sie, »auf Sport habe ich allerdings keine Lust. Pass auf, ich lasse mir etwas einfallen und dann lass dich überraschen. Ich verspreche dir auch hoch und heilig, dass du nicht enttäuscht sein wirst. Beste Freundinnen Ehrenwort« grinst sie mich an und steckt mich auch gleichzeitig mit ihrem typischen "Rayne-Grinsen" an. Dafür liebe ich sie einfach. »Danke«, murmle ich und umarme sie einmal flüchtig. Was würde ich nur ohne sie machen? Und apropos Rayne...wo steckt eigentlich Marley? Ihn habe ich auch bei den Untersuchungen nicht gesehen und hier heute auch noch nicht. Vorsichtig stupse ich Rayne neben mir an, welche wieder ganz in ihrem Essen vertieft ist, »wo ist eigentlich Marley abgeblieben?«. Erst schaut sie mich verwirrt an, kaut allerdings kurz später zu Ende und gibt mir meine ersehnte Antwort, »er ist krank. Kaum zu glauben, was? Jedenfalls meinte Professor Harlston, dass er spätestens Ende der Woche wieder auf den Beinen sein sollte. Was genau er hat, weiß ich allerdings nicht«. Stirnrunzelnd schaue ich sie an, doch sie ist schon wieder voll und ganz bei ihrem Essen. Dann werde ich Harlston nachher nochmal fragen, mal sehen, ob ich etwas rausfinde. Auch wenn er nie sonderlich gesprächig ist. Soweit ich mich erinnern kann, war noch nie einer von uns krank.
Nach noch viel weiterem herumgestochere im Essen und einigen gezwungenen Gesprächen ist das Essen schließlich beendet und die meisten bewegen sich bereits frei im Saal, um sich mit anderen Anwesenden zu unterhalten. Ich allerdings sitze noch immer an meinem Platz und trinke das nun neunte Glas Sekt aus. »Hattest du nicht bereits genug? Du weißt, dass du gehen kannst, wenn du möchtest« kommt es von links hinter mir, als ich ein neues Glas von dem Tablett des Bots runternehme. »Nein, geht garnicht genug heute. Anders ist es nicht auszuhalten und ich habe das Gefühl, dass ich alle enttäusche, wenn ich hier jetzt schon abhaue« erkläre ich Professor Harlston, welcher sich inzwischen auf Raynes Platz setzt. »Alkohol ist auch keine Lösung, Kiara, glaube mir. Vielleicht für den Moment, aber nicht auf Langzeit«. »Ich weiß. Aber heute ist es mal okay, denke ich. Sagen sie mal, was ist eigentlich mit Marley? Kann ich ihn sehen? Was hat er? Rayne meinte, er wäre krank. Ich brauche meinen besten Freund mal wieder« murmle ich, meine Worte vom Alkohol getrieben. Nüchtern wäre ich in dieser Situation niemals so gesprächig, denke ich. »Es geht ihm schon wieder besser, mach dir keine Sorgen. In spätestens zwei Tagen sollte er wieder auf den Beinen sein. Dann schicke ich ihn direkt zu dir«, erklärt Harlston und seine Mundwinkel zucken verdächtig. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass sie mir etwas verheimlichen« scherze ich und muss lachen. Obwohl es absolut nicht lustig ist. »Ich denke, du hattest heute genug Alkohol und auch genug gesellschaftliche Verpflichtungen. Wo ist Rayne?«, den letzten Teil murmelt er eher zu sich selber, bevor er sich umschaut. »Immer wenn man jemanden sucht, findet man niemanden«, frustriert streicht er sich eine in die Stirn gefallene Strähne aus dem Gesicht und steht auf. »Okay, komm Kiara, du solltest schlafen gehen« erklärt er sachlich und bedeutet mir ebenfalls aufzustehen. »Nein, ich möchte nicht«, murmle ich zurück und leere das eben erst bekommene Sektglas. »Kiara ich möchte dich morgen nicht auf der Krankenstation sehen, weil du es hier heute übertreiben musst. Muss ich dir wirklich psychologische Stunden verordnen? Die letzten hattest du damals, als wir losgeflogen sind«, nun klingt er schon wieder kalt. Ich wäge kurz meine Chancen ab, zumindest so weit ich noch denken kann. Schließlich folge ich ihm mehr oder weniger trotzig. »Du benimmst dich wie ein kleines Kind« gibt er gefrustet von sich, als wir uns im Fahrstuhl befinden, welcher uns auf das Deck bringt, auf welchem meine Kabine ist. »Ja und du bist nicht mein Vater!« meckere ich zurück und verschränke meine Arme vor der Brust. »Nein, bin ich nicht. Und dennoch liegt mir das Wohl von euch allen am Herzen. Und Alkohol verbessert deine Lage nicht. Du kannst dich nicht zwei Wochen lang in deiner Kabine einschließen, fast nichts essen und deine Traurigkeit jetzt in Alkohol ertränken. Morgen wird es dir beschissen gehen, beschissener als in den letzten zwei Wochen!«, nun meckert auch er mich an. Und seine Worte treiben mir in meinem Zustand auch ein paar Tränen in die Augen, doch schnell sind diese wieder heruntergeschluckt. Bei besagter Etage angekommen bringt er mich noch bis zu meiner Kabine, damit ich auch ja dort ankomme und nicht einfach wieder zurück in den Saal gehe und mich dort in der Menschenmenge verstecke. »Schlafe deinen kleinen Rausch aus. Und mache dir nicht so viele Gedanken, es bringt dich nicht weiter«, mit einem winzigen aufmunterndem Lächeln verschwindet er wieder, während ich in meiner Kabine verschwinde. Mit noch mehr Gedanken als vorher. Harlston ist sonst nie so, wie er heute war. Und das Event war wie immer scheiße. Am liebsten würde ich jetzt zu Marley. Was wohl mit ihm ist? Man, ich fühle mich grade wirklich wie ein kleines Kind. »Scheiße Kiara, du bist so eine Vollidiotin«, sage ich zu mir selber und lasse mich samt Kleid auf mein Bett fallen. Was für ein Abend.
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Scherbenseele
Teen Fiction»Ich kann nicht glauben, dass noch immer keine Lösung gefunden wurde. Stattdessen wird es immer schlimmer.« Die Erde sieht furchtbar aus, wie ein völlig fremder Planet, welcher so gut wie nicht mehr bewohnbar ist für die Menschen, die all die Katast...