Kapitel 6

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"Die Liebe zwischen Mensch und Elf ist wie ein Tanz zwischen Licht und Schatten, eine Verbindung von zwei Welten, die sich in der Vereinigung ihrer Herzen vollkommen ergänzen."

Die Regentropfen fielen unaufhörlich, wie die Takte eines traurigen Liedes, mich in meiner Einsamkeit begleitete. Ich spürte die Kälte des nassen Bodens unter mir, die Feuchtigkeit, die sich in meine Kleidung und meine Haut einsog, doch ich schenkte dem keine Beachtung. Mein Geist war gefangen in einem Labyrinth aus ungelösten Rätseln, und ich wusste nicht, wie ich den Ausgang finden sollte. Die Gedanken an meinen Bruder, der von Erin fortgebracht wurde, durchzogen meine Seele wie ein Messerstich. War er in Sicherheit? Oder schlimmer noch, wird er sterben? Die Vorstellung, ihn verloren zu haben, schnürte mir die Kehle zu und ließ mich erneut in Tränen ausbrechen. Und dann war da Aleen, das Mädchen, deren Liebe zu ihm ich erst jetzt erkannte. Ein Schmerz durchzuckte mein Herz bei dem Gedanken daran, dass sich Aleen ihr nicht anvertrauen konnte. Aber wie konnte ich so blind gewesen sein? Wie konnte ich die Liebe in Aleens Augen übersehen, wie lange ging das schon? Ein tiefes Seufzen entkam ihrer Kehle, als ich meine Hände zu Fäusten ballte und meinen Blick erneut zum Himmel richtete. Doch selbst dort fand ich keine Antworten, nur die unerbittliche Gleichgültigkeit des stürmischen Nachthimmels. Ich wusste, dass ich nicht ewig in meiner Verzweiflung verharren konnte. Ich musste handeln, ich musste Antworten finden, auch wenn der Weg vor mir düster und ungewiss war. Mit einem letzten Schluchzen erhob ich mich vom nassen Boden, meine Entschlossenheit wie eine Flamme, die im Regen loderte. Ich würde kämpfen, für meinen Bruder, für Aleen und für die Wahrheit, selbst wenn es mich das Leben kosten sollte.

Ich eilte durch die weiten Gänge des königlichen Schlosses, das Licht der Kronleuchter warf funkelnde Reflexionen auf die goldenen Verzierungen an den Wänden. Gemälde meiner verstorbenen Eltern und meines verschwundenen Bruders hingen überall, stumme Zeugen vergangener Tage, die ich mit traurigen Augen betrachtete, während ich vorbeirannte. Das Bild meines Vaters, stolz und majestätisch, mit dem Schwert in der Hand, schien mir zuzulächeln, als wolle es mir Mut zusprechen. Das meiner Mutter, sanft lächelnd und umgeben von Blumen, erfüllte mich mit einer Mischung aus Sehnsucht und Trauer. Mein Blick fiel auf das Bild von Donhall, seine Züge jugendlich und lebendig, und ein Stich des Schmerzes durchzuckte mich. Wieso lies er mich im Stich? War er jetzt glücklich? Als ich die Bibliothek erreichte, flutete helles Licht durch die hohen Fenster, die mit aufwändigen Gardinen geschmückt waren, und erhellte den Raum, der mit Regalen voller Bücher bis zur Decke gefüllt war. Der Duft von alten Büchern und Staub umgab mich, als ich hektisch durch die endlosen Reihen von Schriften stürmte, meine Finger über die verwitterten Buchrücken gleitend. Ich durchsuchte die Regale, meine Augen nach einem Hinweis für die Prophezeiung suchend, die das Schicksal meines Bruders und unseres Königreichs entscheiden könnte. Jedes Buch, das ich zur Hand nahm, schien mir Hoffnung zu geben und mich zugleich zu enttäuschen, als ich keine Antwort fand. Die Zeit verging wie im Flug, während ich mich durch die endlosen Reihen von Wissen kämpfte, meine Gedanken wirbelnd. Ich konnte nicht aufgeben, nicht jetzt, wo Caellach noch in Gefahr war. Ich musste einen Hinweis finden, einen Funken der Erleuchtung, der mir den Weg weisen würde. Und dann, plötzlich, entdeckte ich ein altes Buch, dessen Einband mit goldenen Verzierungen geschmückt war. Die Schriften der Ältesten. Mein Herz klopfte vor Aufregung, als ich es öffnete und die vergilbten Seiten durchblätterte. Ich blätterte und blätterte. Doch ich fand nichts, außer leere Seiten. "Wieso verdammt ist das Buch leer?!" Mit einer Wut die mich überkam, warf ich das Buch mit einer Wucht gegen ein Fenster. Die Scheibe zerbärste und auf dem Boden verteilte sich ein Meer aus kleinen Scherben. "Eleyne", hörte ich Aleen schluchzen. Ich hatte nicht mitbekommen, dass sie mir gefolgt war. "Wie lange schon?" Meine Frage spielte auf sie und Caellach an. Ich verstand nicht, wieso sie mir das nicht anvertraut hatte, wieso sie es vor mir verheimlicht hatte. Sie wusste auch, worauf ich anspielte, denn ihre Tränen hörten auf zu fließen und sie blickte mich peinlich berührt an. Sie schluckte laut, musste wohl erst die Worte finden. 

Aleen stand vor mir, ihre Augen voller Verwundbarkeit, während sie langsam ihre Gefühle in Worte verwandelte. "Es ist schon eine Weile her, seit ich begonnen habe, deinen Bruder zu lieben", begann sie zögerlich, ihre Stimme leise und dennoch voller Bedeutung. "Vielleicht fast ein Jahr jetzt." Ein Stich des Schmerzes durchzuckte mich bei diesen Worten, während ich Aleen mit einem gemischten Gefühl aus Verwirrung und Verständnis betrachtete. Ein Jahr, und ich hatte nichts davon gewusst, hatte die Liebe zwischen meinem Bruder und Aleen unbemerkt gelassen. Schuld und Reue nagten an mir, während ich Aleen aufmerksam zuhörte. "Wir haben es nicht wirklich verheimlicht", fuhr Aleen fort, ihre Stimme leiser werdend, als ob sie sich an vergangene Ängste erinnerte. "Aber wir haben es auch nicht öffentlich gemacht. Ich hatte Angst... Angst davor, dass wir nicht akzeptiert werden. Du weißt schon, wegen seiner Abstammung... und ich..." Ihre Worte verloren sich in einem Seufzen, während sie einen Moment innehielt, bevor sie fortsetzte. "Und vor dir habe ich es verheimlicht, weil... weil du seine Schwester bist. Ich wollte nicht, dass du dich unwohl fühlst, dass es zwischen uns steht." Ich spürte einen Kloß in meinem Hals, als sie die Worte meiner Freundin verarbeitete. Ich hatte nie geahnt, wie sehr Aleen unter ihren eigenen Ängsten gelitten hatte, wie sehr ihre Liebe durch die Bürde der gesellschaftlichen Erwartungen belastet war. Ein Gefühl der Bewunderung und des Mitgefühls erfüllte mich, während ich Aleen einen Moment lang in die Augen sah. "Es ist schwer zu erklären", begann sie schließlich, ihre Stimme leise, aber voller Aufrichtigkeit. "Es gibt etwas an ihm, etwas Tiefes und Magisches, das mich von Anfang an angezogen hat. Es ist nicht nur sein Aussehen, obwohl er zweifellos wunderschön ist. Es ist seine Seele, seine Essenz, die mich fasziniert." Sie wandte ihren Blick wieder mir zu, und in ihren Augen spiegelte sich eine unendliche Zärtlichkeit wider. "Er ist so anders als alle anderen, so sanft und doch so stark. Er hat eine Güte in sich, die meine Seele berührt, und eine Tapferkeit, die mich bewundert. Er hat mich gelehrt, was es bedeutet, bedingungslos zu lieben, und er hat mir gezeigt, dass wahre Schönheit im Inneren liegt." Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie fortfuhr, ihre Liebe zu beschreiben. "Und dann gibt es die kleinen Dinge, die mich verrückt nach ihm machen. Sein Lachen, das wie Musik in meinen Ohren klingt. Sein Blick, der mich zum Schmelzen bringt, egal wie sehr ich mich dagegen wehre. Die Art, wie er mich zum Lachen bringt, auch in den dunkelsten Zeiten." Sie machte eine kurze Pause, ihre Augen glänzten vor Emotionen. "Ich liebe ihn, weil er mich ganz macht, weil er mich dazu bringt, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Weil er mich dazu bringt, die beste Version von mir selbst zu sein. Und ich weiß, dass ich ihm für immer treu sein werde, egal was das Schicksal für uns bereithält." Als sie ihre Worte beendete, war ihre Stimme voller Überzeugung und Leidenschaft. Sie hatte ihre Liebe erklärt, so klar und rein wie das Licht der aufgehenden Sonne. Und in diesem Moment wusste ich, dass die Liebe zwischen Aleen und meinem Bruder unzerbrechlich war, ein Band, das die Zeit überdauern würde. "Danke, dass du dich mir anvertraut hast", sagte ich schließlich, meine Stimme sanft, aber fest. "Ich... ich bin froh, dass du ehrlich zu mir bist. Und ich unterstütze euch beide. Eure Liebe sollte nicht durch die Meinung anderer bestimmt werden. Wenn ihr einander liebt, dann ist das alles, was zählt." Ein zögerliches Lächeln huschte über Aleens Gesicht, ein Hauch der Erleichterung in ihren Augen, als sie meine Worte hörte. Es war ein Moment der Versöhnung, ein Moment des Verstehens, der unsere Freundschaft auf eine neue Ebene hob. Ich nahm sie in meine Arme und drückte sie fest an mich. Ich konnte es mir nur vorstellen, wie sie sich gerade fühlte. Wir retten nicht mehr nur meinen Bruder, nein, wir müssen auch den Gefährten, den Partner, die Liebe von Aleen retten. "Denkst du, die Ältesten wissen etwas? Über die Prophezeiung meine ich?" Aleen könnte recht haben. Aber sie lebten sie zwei Tagesritte von hier entfernt und nach Valoria sind es von hier aus schon drei, von dort aus also fünf. Wenn sie nichts wissen, dann wäre Caellach womöglich verloren. Aleen verstand woran ich dachte und nickte. "Wir müssen es versuchen." Ich blickte sie zustimmend an. "Ja, aber vorher muss ich noch etwas erledigen. Ich muss das Volk auf meine Seite ziehen."

Schattenreich der Elfen: Das Vermächtnis des HalbelfenschwertsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt