Kapitel 1

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Also. Wie ich bereits gesagt hatte, beginnt diese Geschichte mit einem Umzug.
Stell dir vor, deine Eltern sagen dir an einem Juniabend, nachdem du vom Feiern zurückkommst, dass du dich an den Küchentisch setzen sollst. Weil du natürlich eine brave Tochter bist, setzt du dich an den Tisch und machst dich schon darauf gefasst, angeschrien zu werden, weil du so spät Zuhause bist. Aber in Wahrheit wollten dir deine Eltern „nur“ sagen, dass du deine ganzen Sachen packen musst und das am besten so schnell wie nur möglich.

Zu dem Zeitpunkt war ich gerade siebzehn geworden und es fiel mir sehr schwer, meine Freunde vierhundert Kilometer entfernt zurückzulassen. Allerdings konnte ich auch nichts daran ändern, denn meine Eltern mussten wegen einer Beförderung in das – wie sie es oft sagten – „wunderschöne Bayernland“ ziehen.
Meinen Eltern war ich nicht böse, denn ich verstand es ja, aber trotzdem war es mir am Anfang, als klar wurde, dass wir wegziehen würden, nicht wirklich möglich, meine Wut zu unterdrücken.

Ich hatte kaum Zeit mich von meinen Freunden zu verabschieden. Okay, ich hatte drei Monate Zeit, aber das reichte mir nicht, denn sie zerronnen wie Stunden. Und als es so weit war, dass ich mich endgültig von meiner besten Freundin Joci verabschieden musste und wir einander ansahen, umarmten wir uns ein letztes Mal vor meiner langen Reise. Unter Tränen ließen wir uns wieder los. Anschauen konnte ich sie nicht mehr, denn wenn ich ihr nochmal in das verheulte Gesicht geblickt hätte, hätte ich sie irgendwie versucht zu trösten.
Die große Frage dazu wäre allerdings gewesen: Wie tröstet man jemanden, den man so sehr vermissen wird, dass man denkt, dass man stirbt?
Ich kannte sie, seitdem ich klein war und liebte sie so sehr. Ich hoffte, dass wir Kontakt zueinander halten würden, aber ich hatte Angst, dass dieser irgendwann abbrechen würde. Wenn mich jemand in diesem Moment gefragt hätte, was mein größter Wunsch wäre, wäre meine Antwort gewesen, dass ich am liebsten bei ihr bleiben würde. Sie war wie eine Schwester für mich.
Jeden Tag hatten wir uns getroffen und dann würde es auf einen Schlag nicht mehr so sein. Wir würden uns vielleicht nur noch zwei Mal im Jahr sehen und dann würde es trotzdem nie wieder so sein, wie es mal war. Wir würden uns auseinanderleben. Aber in diesem Moment schmerzte es absurd. Alleine der Gedanke, dass das passieren könnte, ließ mich so fühlen, als ob mir jemand ein Teil meiner Seele heraus riss.
Jetzt müsstest du mich doch schon irgendwie verstehen, dass ich auf meine Eltern sauer war, oder nicht?

Skippen wir mal den Part, in dem ich meine ganzen Kartons während der Sommerferien wieder auspacken musste und mein Zimmer einräumte.
Gehen wir lieber zu meinem ersten Schultag in der neuen Schule. Und ja, my dear readers, das ist ein wichtiges Ereignis, das unbedingt erwähnt werden muss ... glaube ich.

Der erste Schultag im neuen Schuljahr und ich musste in eine neue Schule! Richtig super. Nicht nur, dass ich jetzt in der Oberstufe war, nein. Ich musste jetzt auch noch Freunde finden.
Der Morgen begann recht stressig. Ich wohnte zwar in derselben Ortschaft, in der auch die Schule war, aber ich hatte mich trotz dessen verkalkuliert und musste nun zur Schule rennen. Ich hatte noch zehn Minuten Zeit bis zum Unterrichtsbeginn, als ich ankam.

Zuerst hatte ich mir extrem viel Zeit gelassen mit meinem Frühstück, das aus einem Quittengelee Brot, einer Tasse Kaffee und einem Apfel bestand. Dann zog ich mich um und schminkte mich, denn ich wollte nicht direkt am ersten Tag wie eine Leiche zur Schule gehen. Die Zeit, die ich dafür benötigte, war allerdings echt nicht lange.
Anschließend hatten meine Eltern nochmals mit mir geredet und mir einen schönen Tag gewünscht. Dabei dachte ich mir nur so, ob die beiden es ernst meinten, aber sie meinten es anscheinend wirklich ernst. Ich hatte alles in meiner alten Heimat zurückgelassen und sollte jetzt einen wunderschönen Tag haben. Da fragte ich mich nur, wie das funktionieren sollte. Aber na gut.

Nach dem Gespräch mit meinen Eltern blickte ich kurz auf die Uhr und rannte los. Durchs ganze Haus. Innerhalb der nächsten drei Minuten fielen mir noch mindestens fünf Dinge ein, die ich vergessen hatte. Darunter mein Mäppchen, mein Handy, mein Pausenbrot, mein Trinken und dann auch noch meinen Regenschirm, bei dem ich mir zu 100 Prozent sicher war, dass ich den gestern in meine Tasche gepackt hatte.
Ich zog mir noch schnell meine Schuhe und meine Jacke an und schon rannte ich los, denn mittlerweile hatte ich nur noch zehn Minuten bis zum Unterrichtsbeginn.

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