Die falsche Seite des Fensters

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Missmutig starrte ein kleiner, flauschiger Kater durch das Fenster. Er fror, denn es war kalt, und der knirschende, gefrorene Kies unter seinen empfindlichen Pfoten machte die Sache nicht besser.

Fest entschlossen, sich nicht umzusehen, kringelte er den buschigen Schweif über seine von Kälte steifen Beine und betrachtete weiterhin die filigranen Runen, die der Rauhreif auf der Scheibe hinterlassen hatte.

Drinnen liefen die Menschen herum, seine Besitzer, und bereiteten etwas vor, von dem er nichts verstand - und vor allem nichts abhaben durfte. Ausgerechnet diesen kalten, nassen Tag hatten sie gewählt, um ihn zum ersten Mal nach draußen zu lassen; viel lieber hätte er von drinnen zugeschaut, wie die tanzenden Flocken den Garten dick einmummelten, als hier draußen zu frieren, selbst unter einer gar nicht warmen Schneedecke vergraben.

Er befand sich auf der falschen Seite des Fensters! Und das wusste er genau, aber die Menschen, die wussten es nicht. Oder wollten es nicht wissen.

"Komm, kleiner Löwe, erkunde den Garten! Du wirst staunen! Wir bereiten hier drinnen alles vor. Wenn es dunkel wird, kannst du wieder rein. Lauf nicht auf die Straße! Nicht weglaufen, ja? Und wenn dich jemand mitnehmen will, beiß ihn. Denk daran, du bist der Löwe!" hatte Mandy, seine Menschin, fröhlich 

(und aufgeregt, so aufgeregt hatte er sie noch nie gesehen)

gesagt und ihn nach draußen geschoben. Weglaufen, pah! Nicht eine Schweiflänge würden seine Pfoten ihn hier wegtragen! 

(Weglaufen in diesem Winter, nein, niemals)

Stur starrte er weiterhin die Scheibe an, der weiße Dunst seines Atems verschleierte allerdings die klare Sicht, sodass er sich missmutig abwandte.

(nur auf den Boden schauen, nicht die Wildnis entdecken, bloß nicht)

Er betrachtete seine eingeschneiten Pfoten, als ein schrilles Geräuch - das Kratzen von scharfen Krallen auf etwas, was die Zweibeiner Metall nennen, so glaubte er - ihn aus den Gedanken riss. Scharfer Schmerz durchzuckte sein steifes Genick, als sein runder Kopf nach oben schnellte.

Seine Augen zuckten unruhig herum, er versuchte, den Ursprung des Geräuchs zu finden, aber da war nichts

(nichts hat keine Augen, kleiner Kater)

nichts, absolut nichts, und er entspannte sich wieder und ließ den Blick erstmals über die verschneiten Wiesen gleiten. Im grellen Licht der Sonne wirkte der Rauhreif an den Ästen fast unwirklich, die großen, schneebekleideten Nadelbäume riesig und der Winter wärmer, fast wie Frühling, nur der Schnee störte. Es wirkte warm, gleich könnte ein Schmetterling vorbeiflattern

(aber er wusste es besser)

Und dannn sah er ihn, den Wald

(Die Wildnis, die Wildnis, die Freiheit!)

und er wusste, nichts würde mehr wie vorher sein.

Von Schatten gezeichnetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt