POV:Taddl
Schon von Weitem sah sie aus wie auf einer Theaterbühne: Mitten im Lichtkegel einer Laterne stand sie einfach so da. Normalerweise war hier nie jemand, wenn ich mal wieder Nachts raus musste, ein bisschen frische Luft schnappen und auf dem Longboard durch die Gegend fliegen.
Erst hatte ich mir nichts weiter dabei gedacht. Da stand halt ein Mädchen, das wahrscheinlich auch ein bisschen raus musste. Aber dann sank sie einfachso zusammen. Als hätte jemand die Fäden der Marionette mit einer Schere durch geschnitten. Scheren sind sehr metaphorische Dinge wenn man so weiter darüber nachdenkt... Wäre ein kleines Tatoo wert... Aber nein, ich schweife schon wieder ab.
Ich bin also immer langsamer auf das Mädchen zugeflogen. Sie weinte leise. Ich war leiser. Wahrscheinlich stand ich zehn Minuten einfach nur da und musterte sie. Sie hatte komische Sachen an: Es sah aus wie ein langer rosa fabener, dreckiger Rock und ein genauso dreckiger, schwarzer, viel zu großer Wintermantel. Ihre Haare waren sehr, sehr lang, schwarz und ebenfalls dreckverklebt. Ihr Gesicht lag auf ihren Knien. Sie sah winzig aus, wie sie zusammen gekugelt da lag.
Irgendwann bin ich Dummkopf dann auch mal auf die Idee gekommen, dass es vielleicht schlau wäre ihr irgendwie zu helfen. Aber wie?
Mir viel keine andere gute Lösung ein als einfach zu fragen und ich brachte ein viel zu leises "äh...kann ich dir irgendwie helfen hervor". Ich hatte schon Angst, dass sie mich vielleicht gar nicht gehört hatte oder dass ich mir nur eingebildet habe, dass ich irgendwas gesagt habe. Aber das Gegenteil zeigte sich als sie mich plötzlich geschockt anstarrte. Erst in meine Augen, dann huschte ihr Blick für eine Milisekunde nach unten und wieder zurück zu meinem Augen und da blieb er dann ohne dass sie ein Wort sagte. Ihr Blick zeigte alles. Von tiefer Trauer über Geschocktheit bis hin zu extrem Angst. Ich glaube, ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der soviel Angst vor mir zu haben schien.
Auf einmal versteinerte sich ihr Blick und all die Gefühle die ich gerade noch sehen konnten waren weg. Sie sprang auf zur anderen Seite des Weges ihr Blick war immer noch auf mich gerichtet, zeigte aber eine aufgesetzte Stärke. Jeder Normalo hätte sehen können wie schwach sie eigentlich war. So stand sie mir also gegenüber und zwischen uns lag der zwei Meter breite Weg. Da kam mir der Gedanke, dass sie mich vielleicht gar nicht verstehen konnte. Sie sah nämlich relativ orientalisch aus mit diesem Gewand, das sie trug.
"Kannst du mich verstehen? Ich möchte dir helfen."
Ihr Blick wurde noch fester. Anscheinend hatte sie sich von dem Zusammenbruch eben wieder gefangen und ist wieder in ihre starke Rolle geschlüpft. Sagen tat sie trotzdem nichts. Sie musste schon viel Schlechtes in ihrem Leben erfahren haben. Sonst wäre sie nicht so. Es ist faszinierend wie unterschiedlich sich Menschen von Ereignissen in ihrem Leben prägen lassen und wie sie damit um gehen und so. Dieses Mädchen macht sich entweder selbst Probleme und lässt diese zu sehr ansich ran, will aber auf gar keinen Fall, dass dies irgendeine Menschseele erfährt. Oder sie hat wirklich Probleme, die sie auch an sich ran lässt, was sie eigentlich nicht will. Letzteres trifft ihrem Aussehen nach zu urteilen eher zu.
Aber jetzt zu eigentlich Problem: wie zeige ich diesem Mädchen, dass ich ihr nicht noch mehr dieser Probleme machen will?
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Fliegen lernen
RandomAnokha ist vor einem Monat aus Indien nach Deutschland (Köln) geflohen. Sie ist vor Gewalt und Unterdrückung gegen Frauen und Mädchen geflohen und steckt in diese Stadt ihr letztes Stückchen Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch gerade hier lernt si...