1. KAPITEL

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Ich schaute aus dem Fenster in meinem Zimmer. Sonnenstrahlen tauchten die Welt vor mir in sanftes Licht. Die Welt der Elementkontrollierer. Sie ist eine Insel im Meer zwischen England und Deutschland. Der einzige Weg in diese Welt zu gelangen sind Portale, von denen sich je eins in Deutschland und eins England befindet. Diese können nur von Elementkontrollierern, zu denen auch ich gehöre, genutzt werden.
Ich stamme aus einer uralten Feuerfamilie. Allerdings kann ich im Moment noch kein Element kontrollieren. Jeder Elementkontrollierer spezialisiert sich nämlich erst an seinen 17. Geburtstag, an dem er auch volljährig wird, auf ein oder mehrere Elemente. Dann erscheinen die Symbole der Elemente, auf die man sich spezialisiert, als eine Art Tattoo auf seinem Nacken. Mein Nacken ist noch tattoolos, aber das wird sich bald ändern. Morgen ist nämlich mein
17. Geburtstag. Dann werde auch ich mich endlich spezialisieren. Und wie es aussieht, wahrscheinlich auf mehr als nur ein Element...

"Nea!", rief meine Mutter von unten. "Steh jetzt endlich auf! In fünf
Minuten kommt Naya und du bist noch nicht fertig!" Was? Oh Gott! Hastig
sprang ich auf, griff mir ein paar Klamotten und sprintete ins Bad. Ich
würde nie fertig sein, bis Naya kam! Naya war meine beste Freundin und sie holte mich jeden Tag von zu Hause ab, damit wir gemeinsam zur Schule radeln konnten. Ich machte mich in Rekordzeit fertig und öffnete gerade die Badezimmertür, als es auch schon an der Tür klingelte. Ich ging in mein
Zimmer, holte meine Tasche und lief die drei Stockwerke nach unten. Mein
Zimmer lag ganz oben. Es war das Zimmer meiner älteren Schwester Miria
gewesen und ich hatte es bekommen, als sie ausgezogen war, um in der
normalen Welt mit ihrem Freund zu leben und an einer normalen Universität zu
studieren. Im zweiten Stock wohnten meine Mutter, mein Stiefvater und meinen
beiden kleinen Halbgeschwister, die Zwillinge Lilia und Loren. Sie waren
erst fünf und voll süß! Im ersten Stock lebten meine Oma Rosa, die eigentlich
Rosalinda hieß, mein Stiefopa Horst und mein Onkel Niko, der jüngere Bruder meiner
Mutter. Oma Rosa und Opa Horst auf derselben Etage war zwar nicht die beste
Lösung, aber es funktionierte trotzdem. Mal mehr, mal weniger (OK, eher
weniger). Sie verstanden sich nämlich nicht so gut und waren oft in einen
Streit miteinander verwickelt. Oma Rosa war die Mutter meiner Mutter und Opa
Horst war der Vater meines Stiefvaters. Sie hatten zu allen Bereichen und
Themen unterschiedliche Meinungen. Im Erdgeschoss waren eine große Küche mit
Essbereich, ein Gemeinschaftsraum und eine Bibliothek. Da Naya schon da war,
musste mein Frühstück heute leider ausfallen. So schnappte ich mir nur meine
Brotdose und warf den kauenden Zwillingen am Tisch einen neidischen Blick zu.
Der Kindergarten fing erst um neun an. Aber da ich nun mal nicht mehr in den
Kindergarten ging, sondern in die Schule, die ja bekanntlich schon um acht
Uhr begann, ging ich in den Flur und zog Jacke und Schuhe an. "Tschüss!",
rief ich in die Küche und öffnete die Tür. Naya stand davor und wartete auf
mich. Sie hatte kurze, blonde Haare, braune Augen und war ziemlich klein.
"Hey", sagte sie, als ich raustrat. "Hey", sagte auch ich und holte mein
Fahrrad. Dann fuhren wir zur Schule. Es war eine normale Schule, in der die
ganz normalen Fächer der Menschenwelt unterrichtet wurden, bei denen es nur
kleine Abweichungen gab. Dazu gab es dann aber noch Wahlunterricht wie
Bogenschießen und reiten.
Aber ansonsten war alles ganz normal. Erst mit 17 ging man auf eine
weiterführende Schule. Naya war schon 17 und hatte sich auf die Elemente
Luft und Erde spezialisiert. Sie würde nächstes Schuljahr mit mir zusammen
auf die Elementakademie Süd gehen, die Elementkontrollierer mit unterschiedlichen Spezialisierungen besuchten und auf der man eine spezielle Kriegerausbildung bekam. Der Schulbeginn für
"Neuspezialisierte", zu denen ich auch bald gehörte, war jedes halbe Jahr, das Schuljahr dauerte aber
trotzdem ganz normal ein Jahr. Wenn man nämlich nicht unterrichtet wurde,
seine Elemente zu kontrollieren, konnten die Elemente bei starken Gefühlen
außer Kontrolle geraten. So konnte man zum Beispiel aus Versehen sein Zimmer
in Brand stecken. Für Naya und mich
begann das Schuljahr Ende Juni dieses Jahres, also in fast zwei Monaten. Wir
wollten beide Krieger werden und hatten uns deshalb die Akademie für Krieger
ausgesucht. Krieger sein hieß, man beschützte die Elementkontrolliererbevölkerung
vor den sogenannten Seelenlosen und anderen Gefahren. Die Städte waren zwar
von einer Art Schutzschild aus Magie umgeben, aber diese konnten zerstört
werden. Seelenlose waren ehemalige Elementkontrollierer, deren
Elementmagie ihnen mit Gewalt genommen wurde. Diese konnte einem entweder durch einen Biss von einem Seelenlosen oder durch einen Geistkontrollierer entzogen werden. Um das tun zu können, musste ein Geistkontrollierer jedoch ziemlich mächtig sein. Und da alle Geistkontrollierer schon vor hundert Jahren
ausgestorben waren, als ein einzelner mächtiger Geistkontrollierer haufenweise Seelenlose erschuf und die
anderen Elementkontrollierer der Meinung waren, dass Geistkontrollierer zu
mächtig seien und sie umbrachten, konnten Seelenlose heute nur durch den Biss eines Seelenlosen
entstehen. Und ich wollte verhindern, dass so etwas geschah. Wenn man jemandem die Seele und die Elementmagie nahm, wurde man selbst
dadurch immer stärker, je mehr man aufnahm und der, dessen Seele und Magie
genommen wurde zu einem Seelenlosen. Seelenlose hatten schwarze,
pupillenlose Augen, Fangzähne wie ein Vampir (Vampire existierten aber nicht wirklich), Krallen, bleiche Haut und
Haare und farblose Lippen. Jedes Mal, wenn ich mir einen Seelenlosen
vorstellte, bekam ich prompt eine Gänsehaut. Glücklicherweise kamen Naya und
ich in diesem Moment an der Schule an, sodass ich nicht weiter über
Seelenlose nachdachte. Die Zeit in der Schule verlief wie immer. Dieselben
langweiligen Fächer wie sonst. Erst in der letzten Stunde war dann eins
meiner Lieblingsfächer dran: Bogenschießen. Naya hatte dieses Fach natürlich
auch gewählt und wir waren beide auch ziemlich gut darin. Ich spannte gerade
meine Bogen, als mein Nacken anfing zu jucken. Zuerst war es ziemlich
harmlos, aber dann wurde es schlimmer. Es wurde zu einem regelrechten
Brennen. Ich fuhr mit der Hand über meinen Nacken, konnte aber nichts
Ungewöhnliches spüren. Das Brennen hielt die ganze Stunde über an und hörte
auch auf dem Nachhauseweg nicht auf. Ich machte mit Naya aus, dass sie
später vorbeikam und verabschiedete mich von ihr. Dann ging ich ins Haus und
wurde von Oma Rosas Keifen begrüßt. Sie beschuldigte Opa Horst, ihr Stück
Kuchen gegessen zu haben und wahrscheinlich hatte sie damit auch recht. Opa
Horst war eine furchtbare Naschkatze und futterte alles Süße, was er in die
Finger bekam. Ich ging in die Küche, wo der Streit stattfand. Meine Mutter
stand am Herd und versuchte verzweifelt, gleichzeitig zu kochen und Oma Rosa
davon abzuhalten, Opa Horst die wenigen Haare, die er noch hatte,
auszureißen. Wie es aussah, ziemlich erfolglos. Schließlich gab sie auf und
drehte sich zu mir um. "Hallo, Nea", sagte sie, "beachte die beiden einfach
nicht. Es gibt gleich Essen. Deckst du bitte den Tisch?" "Ja klar", sagte
ich, holte Teller und Besteck raus und stellte es auf den Tisch. Meine
Mutter stellte einen großen Topf Gemüsesuppe dazu und sagte zu Oma Rosa:
"Mutter, willst du vielleicht mal deinen Sohn zum Essen holen?" Oma Rosa
nickte und verschwand. Dann sah meine Mutter Opa Horst an und bat ihn, die
Zwillinge zu holen. Auch er verschwand und so blieben meine Mutter und ich
alleine in der Küche zurück. "Die zwei sind vielleicht anstrengend", meinte
sie. Plötzlich juckte mein
Nacken noch heftiger Ich rieb mir mit der Hand über den Nacken. Meiner Mutter
bemerkte es und fragte:"Was ist los?" "Ich weiß nicht", antwortete ich
wahrheitsgemäß, "seit dem Bogenschießunterricht juckt und brennt mein Nacken
ganz heftig." Meine Mutter wurde ganz blass. "Es brennt? Bist du sicher?",
fragte sie mich panisch. "Äh, ja", sagte ich und sah sie stirnrunzelnd an.
War es so schrecklich, dass mein Nacken juckte? "Großer Gott!", rief meine
Mutter aus. Dann sagte sie: "Komm mit!" und eilte aus der Küche. Ich folgte
ihr in den Gemeinschaftsraum. Dort holte sie ein Buch über Elementmagie aus
dem Regal und setzte sich auf eins der Sofas. Dann schlug sie das Buch auf,
blätterte zum Kapitel über die Spezialisierung, las ein Stück und fing dann
an zu sprechen: "Dass dein Nacken brennt und juckt könnte ein Zeichen sein.
Es heißt, dass, wenn bei jemandem vor seinem 17. Geburtstag der Nacken juckt
und brennt, wird er sich auf viele Elemente spezialisieren. Du weißt, wer
dein richtiger Vater ist, es könnte also sein." Oh ja, ich wusste wer mein
und auch Mirias leiblicher Vater war. Ich kannte ihn zwar nicht persönlich,
hatte aber Bilder von ihm gesehen und wusste, dass er Marius hieß und kein
Feuerkontrollierer war, sondern Wasser, Luft und Erde kontrollieren konnte.
Doch das durfte niemand wissen, denn Familienangehörige der
Reinelementfamilien durften niemanden heiraten und mit niemandem Kinder
kriegen, der ein anderes Element, als der, der aus der Reinelementfamilie
kam, kontrollieren konnte. Das war ein Gesetz und diente angeblich dazu,
jeweils eine Familie für jedes einzelne Elemente mit "reinen Element" zu
erhalten. Vollkommener Schwachsinn, wenn ihr mich fragt. ich fand, es diente nur dazu, dass sich viele Elementkontrollierer der Reinelementfamilien als was Besseres sahen als die "Gewöhnlichen", wie Elementkontrollierer, die nicht aus den Reinelementfamilien stammten, oft genannt wurden..
Meine Mutter stammt aus einer
solchen Reinelementfamilie. Die Fires waren eine der vier großen Reinelementfamilien.
Falls herauskäme, dass meine Mutter von meinem Vater, der, wie schon gesagt,
kein Feuerkontrollierer war, Kinder, also meine Schwester und mich, bekommen
hatte, würde das für erhebliches Aufsehen sorgen. Meine Mutter würde bestraft
werden und wir würden aus der Familie der Fires ausgeschlossen werden. Nur
eine Handvoll Leute, darunter mein Stiefvater, Oma Rosa und Opa Horst,
wussten also über Mirias und meinen richtigen Vater Bescheid. Bis jetzt
hatte man es gut verheimlichen können, da alle annahmen, dass Robert, den
meine Mutter nach der Trennung mit Marius geheiratet hatte, unser Vater war.
Außerdem hatte sich meine große Schwester nur auf das Element Feuer und ganz
schwach auf das Element Erde spezialisiert. Wenn ich mich jetzt aber auf
mehr als zwei Elemente spezialisieren würde und davon vielleicht nicht mal
Feuer dabei wäre, würde es sehr schwierig bis unmöglich werden, alles geheim
zu halten. "Wenn du morgen früh aufwachst und du dich spezialisiert hast,
musst du sofort zu mir kommen", sagte meine Mutter jetzt eindringlich. "Mach
ich", versprach ich ihr. "Gut", meinte sie, "dann komm jetzt, dass Essen
wird sonst noch kalt." Sie stellte das Buch zurück ins Regal und wir gingen
in die Küche, wo schon alle am Tisch saßen. Nachdem alle gegessen hatten,
räumte ich meinen Teller weg und lief nach oben in mein Zimmer. Dort fand
ich meine Langhaardackelhündin Sunny schlafend in ihrem Körbchen vor. Gut
so, denn so musste ich nicht direkt mit ihr Gassi gehen und konnte in Ruhe
meine Hausaufgaben machen. Was ich dann auch tat. Zum Glück war es heute
nicht viel und als ich fertig war, schlief Sunny immer noch. Ich legte mich
aufs Bett, griff nach einem Buch und wollte gerade anfangen zu lesen, als
Oma Rosas Katze Heidrun, die wir alle bis auf Oma Rosa immer nur Heidi
nannten, durch meine offene Zimmertür getapst und zu mir aufs Bett sprang.
Meine Oma verwöhnte Heidi wo es nur ging und nur Dank meiner Mutter, die die
Katzenleckerlis immer in einem Schrank einschloss, war sie noch so schlank.
Jetzt wollte Heidi schmusen, also schmuste ich mit ihr, bis es an der Tür
klingelte. Naya! Ich setzte Heidi rasch auf dem Boden ab und wollte runter
gehen. Aber in diesem Augenblick wachte Sunny und sprang wild kläffend an
mir hoch. Na toll, ausgerechnet jetzt wollte sie Gassi gehen! Kurzerhand
nahm ich Sunny einfach mit runter. Als wir am Gemeinschafstraum
vorbeigingen, kam Flora, unsere Bernersennenhündin, raus gesaust. Nicht die
auch noch! Ich beschloss, beide Hündinnen einfach raus auf den Hof zu lassen
und später mit ihnen richtig spazieren zu gehen. Ich öffnete die Tür zum Hof
und trat mit Naya, die auf mich gewartet hatte, und den Hunden hinaus.
Während die Hunde gleich davon flitzten, gingen Naya und ich zum
Pferdestall, um unsere Pferde zu versorgen. Viele Elementkontrollierer besaßen Pferde, da sie immer noch ein beliebtes Fortbewegungsmittel waren. Naya hatte ihre Stute Luna bei
uns untergestellt, da ihre Familie nicht so wohlhabend wie wir waren und keinen Stall hatte. Ich fand das gut,
konnten wir uns doch so immer gemeinsam um unsere Pferde kümmern. Das taten
wir auch jetzt, nachdem wir die Pferde auf die nahegelegene Weide gebracht
hatten. In unserem Stall standen außer Nayas Pferd und meinem schwarzen
Pferd Lexy noch das Pferd meiner Mutter, das Lotty hieß, und die beiden
Ponyfohlen Sally und Leo, die den Zwillingen gehörten, damit sie auf ihnen
reiten lernen konnten. Während Naya und ich die Boxen ausmisteten, erzählte
ich ihr von meinem Nackenjucken und was meinen Mutter dazu gesagt hatte.
"Es wäre schon cool, wenn du vier Elemente kontrollieren könntest", meinte
Naya, nachdem ich geendet hatte. "Aber es wäre natürlich auch ein Problem, es
geheim zu halten. Wenn es raus käme, würde deine Mutter in großen
Schwierigkeiten stecken, weil sie das Gesetz gebrochen hat. Es ist aber auch
ein saudoofes Gesetz!" Da konnte ich ihr nur zustimmen. "Völlig sinnlos,
dieses Gesetz!" Bevor ich mich mal wieder darüber aufregen konnte, welche
Gesetze unserer Gesellschaft noch alles sinnlos waren (ziemlich viele),
schlug Naya vor, mit den Pferden auszureiten und ich willigte ein.

Girl of ElementsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt