JUU

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ASAKA


Kinder sehen erst Jahre später, was sie vor Jahren mit eigenen Augen gesehen haben.

... und erschuf einen Spiegel. In den sie dann fiel. Die Messerspitze hatte ihr Kleid aufgeschlitzt, ihre Haut knapp verfehlt. Die Dorfbewohnerin hatte mit keinem Fall nach vorn gerechnet. Es war bitter, dass ausgerechnet Megumi Asakas Kleid auf dem Gewissen hatte. Die Frau hielt einen Bannzettel in die Höhe und redete von Dämonenaustreibungen. Damit meinte sie aber Yōkai und nicht die Kunoichi.

Halt.

STIRB DÄMON!

...

Warum?

Alles in Zeitlupe. Wiederholung der Sequenz.

Eine Hand ausgestreckt ins Nichts.

Das Nichts vollzog einen Perspektivwechsel.

Warum?

[...]

Yuki Asaka kam als außergewöhnlich schönes Kind zur Welt. Sie war sogar so schön gewesen, dass bei ihrer Geburt die Sonne nur für sie schien. Ein Lichtblick inmitten von Kirigakures Dunkelheit. Sie war die Tochter von Hime. Yuki Himeno. Diese versta... wurde kaltblütig kurz nach der Entbindung ermordet. Genauso wie der Vater. Sie standen im engen Kontakt zur Familie Hamada, welche Asaka kurzerhand bei sich aufnahmen. Das Kind prägte sich ihre Gesichter ein und vergaß, was davor war.

Hamada Kazumi besaß schwarze mittellange Haare und blaue Augen. Sie sah Asaka nicht ähnlich. Hamada Tokujirō besaß ebenfalls schwarze Haare. Dafür stechend grüne Augen. Er sah Asaka nicht ähnlich. Tokujirōs grüne Augen hätten sich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit durchgesetzt, wenn Asaka seine Tochter gewesen wäre. Konnte ein Kind schon so weit denken und sich Gedanken über Vererbungsprozesse – dominant und rezessiv – machen? Nein. Doch da war diese kindliche Intuition. Zwar empfand sie Liebe und fühlte sich bei den Hamadas sicher, aber es war mehr ein Sich-sicher-in-einem-Iglu-fühlen.

Selten erhaschte Asaka einen Blick auf andere Kinder durch die Fensterscheiben ihres abgelegenen Hauses hindurch. Es war immer dann, wenn diese sich an den Rand der Stadt verirrt hatten und von den Eltern wieder eingesammelt werden mussten. Sonst kam niemand her. Niemand zum Spielen. Niemand mit dem Asaka sich hatte anfreunden können. Und wenn draußen irgendwelche Kinder waren, saß sie drinnen und durfte nicht raus. Kaum waren die Kinder aber mit ihren Eltern von dannen gezogen, wurde das Nach-draußen-Verbot aufgehoben. Ohne Kommentar. Auch nicht, wenn Asaka ganz lieb und vorsichtig fragte. Vielleicht fragte sie danach, weil sie sich als Kind unter Erwachsenen einsam fühlte ... Aber konnte man etwas missen, was man nicht kannte? Kinderfreundschaften könnten am Ende total blöd sein ... Was wäre, wenn eines der Kinder an ihren Haaren zog oder sie mit Dreck bewarf?

An sich war Asaka nichts weiter als ein unschuldiges Kind, das sich Blumen ins Haar steckte, wenn es irgendwo im meterhoch abgezäunten Garten welche fand- und nichts von dem Stigma wusste, mit dem es behaftet war. Aber man konnte ein solches Kind auch nicht ewig im Dunkeln nach einem bereits erloschenen Licht suchen lassen. Doch wann war der richtige Zeitpunkt, um mit der Wahrheit herauszurücken? Eine harte grausame Wahrheit, die dieses Mädchen verfolgen würde. Auf der anderen Seite hatten sich die Hamadas geschworen, eben dieses Kind zu beschützen. Unwissenheit und Naivität boten keinen Schutz vor den Gefahren, die außerhalb der vier Wände und des meterhoch abgezäunten Gartens auf Asaka warten würden. Und ewig konnte man sie nicht isolieren.

Drei Personen auf Tatamimatten kniend. Zwei davon waren ein paar Köpfe größer als die Dritte. Krisengespräch. Das Erste, aber garantiert nicht das Letzte. Wie fing man an? Eventuell damit: Ein Grund, warum man Asaka nie Okāsan und Otōsan beibrachte, war, weil es gelogen wäre. Das Kind würde in Zukunft schon genug durchmachen müssen. Da musste es nicht auch noch mit einer Lüge aufwachsen.

KUROARI [𝘒𝘢𝘯𝘬𝘶𝘳𝘰]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt