2|Midlife-Krisen & Doppel-Dates

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„Und wie geht's Mom?“ Ich schaute auf meine Füße, die zur Decke gestreckt waren, und bewegte meine frisch lackierten Zehen in der Hoffnung, dass die Farbe schneller trocknen würde.

„Ihre Midlife-Crisis ist immer noch schwer im Gange, aber ich denke, es tut ihr nicht weh. Sie hat mir erzählt, dass sie am Montag bei der Wassergymnastik war und dass sie und ihr Trainer sich äußerst gut verstanden haben. Anscheinend ist er ein in seinen Zwanzigern - und ich zitiere: 'Hengst mit dem Körper eines Gottes, Lippen, die wie die tollsten Sitzkissen aussehen, und einem Lunchpaket, das eine ganze Familie ernähren könnte'."

Die pure Abneigung, die ich empfand, nachdem ich die Beschreibung meiner Mutter gehört hatte, wirkte sich auf meinen ganzen Körper aus, und ich musste mich sofort aufsetzen und meinen Oberkörper schütteln, in der Hoffnung, das eben Gehörte zu vertreiben.

„Oh mein Gott, Brit! Das ist ekelhaft, ich bin so froh, dass du das Kind bist, das dieses Zeug persönlich hören muss. Ich glaube, ich würde auf der Stelle sterben, wenn ich es sein müsste. Wie kannst du nur so entspannt bleiben?“

Meine Schwester brummte unbekümmert in den Hörer.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht hat mich das Aufwachsen mit dir abgestumpft und jetzt kann mich nichts mehr schocken.“
Ich schnaubte und drehte mich auf meinem Bett um, so dass ich auf meinem Bauch liegen konnte. Mit mäßigem Interesse betrachtete ich meine Fingernägel und stellte fest, dass auch sie lieber früher als später eine Auffrischung vertragen könnten.

„Ich frage mich wirklich, wie viel Schuld wir an ihrem derzeitigen Verhalten haben. Ich kann einfach nicht glauben, dass Dad sie alleine so verkorkst hat. Er ist so ... normal.“
„Finde ich auch. Aber du bist die größere Plage. Immerhin führe ich ein anständiges Leben, bin verheiratet und so. Ich habe Mama sogar einen Enkelsohn geschenkt. Und ich, als die ältere Schwester, bin seit deiner Geburt Zeuge des Unfugs, den du getrieben hast. Ich bin bei Weitem die weniger anstrengende Göre gewesen.“

Ich rollte mit den Augen und glaubte fest daran, dass Brit meine Reaktion kannte, auch wenn sie sie nicht sehen konnte. Ich widersprach ihr aber nicht, schließlich hatte sie die Wahrheit gesagt. Ich würde mich nicht als die schlimmste Tochter bezeichnen, die man haben konnte, aber ich war nicht das gehorsamste Kind gewesen, und ich konnte mir nur vorstellen, welchen Schaden das bei meiner Mutter im Laufe der Jahre angerichtet hatte.

„Apropos Zeuge sein. Bist du sicher, dass es dir gut geht, nach dem, was passiert ist?“ Ich stieß einen langen Seufzer aus und dachte ein paar Sekunden darüber nach, bevor ich sprach.

„Ja, es geht mir gut. Ich meine, es war beängstigend, dort zu sein und später zu merken, wie nahe ich einer tödlichen Kugel war, aber in dem Moment habe ich nicht verstanden, was los war, und dann hatte ich keine Zeit, Angst zu haben, weil ich jemandem geholfen habe.  Ich glaube, das hat mich vielleicht vor psychischen Schäden bewahrt, weißt du? Vielleicht holt mich mein Gehirn eines Tages ein und es wird mich überwältigen, aber im Moment geht es mir ganz gut.“

Die Worte blieben ein paar Augenblicke zwischen uns hängen, bevor ich unsicher hinzufügte. „Ich hoffe nur, dass der Mann es lebend rausgeschafft hat.“

„Das hat er bestimmt. Ich habe die Nachrichten durchforstet und es gab nur zwei Artikel über die Schießerei und in keinem davon stand, dass es ein tödlicher Angriff war.“ Brit klang sicherer, als ich mich fühlte. Aber ich versuchte, mir einzureden, dass der Mann es wirklich geschafft hatte. Die Polizei hatte mich noch nicht aufs Revier gerufen, und das wertete ich als positives Zeichen. Aber der Zweifel nagte immer noch an mir, und ich wünschte mir einfach, ich könnte sicher sein, dass ich das Opfer retten konnte.

„Wie auch immer, lass uns nicht mehr darüber reden. Steht der Spieleabend diese Woche noch?“ Ich wechselte erfolgreich das Thema und Brit ließ es ohne Weiteres geschehen.

Angel Eyes | GERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt