Antworten und Steine im Glashaus

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Kalte Winterluft schlüpfte durch das angeklappte Fenster hindurch und strich über Niques Gestalt, die sich unter mehreren Decken zusammen gerollt hatte. Schwere Vorhänge bewegten sich leicht als draußen der Wind um das Haus zog. Er wirbelte Schnee auf, ließ winzige Schneeflocken durch die eisige Winternacht tanzen bis sie zu Boden sanken und eins mit der vollkommenen Fläche wurden, die der Schnee der Nacht bot.

Die Nacht war still, gedämpft. Laternen warfen gelbes licht auf verschneite Vorgärten, eine Katze hatte ihre Spuren im tiefen weiß hinterlassen; eine gerade Linie an Pfotenschritten. Eiskalte Pfoten die sich kurz darauf in ein warmes Haus retteten.

Der Wecker surrte auf. Stieß grelle Töne von sich, die durch die Luft schwirrten wie ein träges Insekt. Eine schmale Hand schlüpfte unter den schweren Decken hervor, glitt an dem Gegenstand vorbei. Ein weiterer Versuch, dann verstummte das Insekt, fiel tot zu Boden.

Nackte Füße wurden auf dem kalten Steinboden abgesetzt und Nique fuhr sich über die Augen. Ihre Wimpern flatterten gegen ihre Wangenknochen als sie blinzelnd versuchte die Müdigkeit von sich zu schieben.

Sie stand auf, ging durch den schmalen Flur zum Badezimmer. Dort ging sie zum Waschbecken, drehte das Wasser auf und blickte kurz zu den feinen Strömen die kalt in der Keramikschüssel Bahnen zogen und dann im Abfluss verschwanden. Sie tippte mit ihren Fingerkuppen das Wasser an, dann ließ sie ihre Hände vollständig in das kalte Nass gleiten ehe sie den Kopf senkte und sich das Wasser ins Gesicht spritzte. Sie dachte an Riva, wie sie vor Wochen in eine Decke gehüllt neben ihr gesessen hatte, an ihre Han die sich wärmend auf die ihre gelegt hatte.
Ein leises Lächeln zupfte an Niques Mundwinkeln als sie  den Kopf hob und das Wasser zum Stopp brachte, als sie ihrem Spiegelbild entgegen blinzelte. Tropfen benetzten ihre Haut, formten feine Perlen auf ihren Wimpern, auf den Nasenflügeln und der Stirn..

Als sie später hinaus trat hielt sie nicht einmal inne um die dicke, glitzernde Schneedecke zu betrachten, die die kahlen Bäume, das Feld zu ihrer Linken und die Häuser zu ihrer Rechten umhüllte. Sie stapfte stumm los, das Knirschen des Schnees brannte sich hohl in ihr Gehör ein. Ihre Nase schmerzte bald vor Kälte und Nique vergrub das Gesicht noch etwas mehr in ihrem Schal. 17 Schritte bis zur Straßenecke. Ein Gesicht schwebte in ihren Gedanken umher. Nique tippte mit den behandschuhten Fingern im Takt ihrer Schritte die Innenseiten ihrer Jackentasche an und ging um die Ecke herum um anschließend der geraden, von dunklen Häusern gesäumten Straße zu folgen. Blonde Haare die sich in einem perfekten Schwung in eine Halsbeuge schmiegen.  Sie brauchte genau 6 Minuten und 45 Sekunden bis sie vorne an der Bushaltestelle stand. Blaue Augen die funkelten und glänzenten. Eine einsame Laterne beschien die Szene mit gelben, etwas zu hellem Licht. Würde Nique die Hauptstraße überqueren könnte sie in den dunklen Winterwald gelangen, der mit kahlen Zweigen nach ihr zu greifen schien, vom Lichtkegel allerdings in seine Grenzen gewiesen wurde.

Aquamarin...

Ihre linke Hand glitt in die Innentasche ihrer Jacke und sie fischte ine Packung Malboro heraus. Ein leises Klicken war zu hören, ein Zischen und eine kleine Flamme erhellt ihre Kinnpartie und rosige Wangen. Im nächsten Moment inhalierte sie, stieß den Rauch wieder aus. Ihre Hand sank, als sie den blauen Wirbeln nachblickte, die sich zwischen den wieder fallenden Schneeflocken hindurch zwängten und zum Wald hinüber tanzten. Es wirkte fast anmutig. Nique dachte erneut an Riva, wie edel deren Gestik gewesen war..

,,Morgen''. Ihr Blick löste sich von den Schneeflocken, schlitterte hinüber zu Melàn der sich räuspernd neben sie stellte. die blanken Hände aneinander reibend, Schnee auf den dunklen Locken. Im Licht der Laterne wirkten seine Augen nahezu schwarz. ,,So früh am morgen schon? Lungenkrebs lässt grüßen'', er deutete mit einem müden Grinsen auf die Zigarette, die sie zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt erneut an die Lippen führte, dann zog er selbst eine aus seiner Jackentasche. Nique hielt inne. ,,Wer im Glashaus sitzt und so weiter." sie musterte ihn mit hochgezogenen Brauen, er zuckte nur mit den Schultern. Dann:
„Ist ein Sonderfall. Ehrlich.''
,,Aha."
Die Zigarette fand den Weg zu ihren Lippen und kurz standen sie und der Junge stumm nebeneinander, blickten zusammen dem Rauch nach.

Melán, der von einem Bein aufs andere hüpfte um sich warm zu halten, hielt inne als ihm ein Gedanke kam.

,,Du bist verliebt.''

,,Was?''

,,Man sagt wie bitte.''

,,...''

,,Ich sagte du seist verliebt.''

,,In wen?''

,,Das frage ich dich.''

,,...''

,,Riva?''

Nique hielt inne, tippte auf ihre Zigarette, blickte den kleinen grauen Flocken nach, die auf den schneeunberührten Boden unter dem Dach der Haltestelle fielen. War sie das? Verliebt? In Riva? In Aquamarin?

Ist es Verliebtsein wenn man in Augen verloren geht? Sie ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Ihr war warm, die ganze Zeit obwohl Nique normalerweise frieren würde. Ihr Name lag auf ihrer Zunge wenn sie nicht sprach, bereit, sanft und liebevoll von ihren Lippen zu springen.

Aber war es Verliebtheit? War es gar Liebe? Nique wusste es nicht. Nique, die auf fast alles eine Antwort fand, wusste es nicht.

Doch als der Bus kam, als sie ihre Zigarette längst ausgetreten und Melán sie nicht mehr fragend anblickte, als die Stille zu groß wurde um sie weiter aufrecht zu halten, da nickte Nique.

,,Riva!'', sagte sie.

,,Was eine Überraschung!"

,,Halt die Klappe."

,,Na! Aber sowas sagt man aber nicht!"

Nique grinste als sie hinter Melàn in den Bus stieg, Wärme brachte ihre Fingerspitzen zum Jucken, ihre Nase zum kribbeln. Dennoch, sie dachte nur an eines; Riva.
Sie war ihre Antwort.
Auf alles.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 31 ⏰

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