Eine sanfte Sommerbrise fegt durch das offene Fenster ins Zimmer hinein. Ich kann das leise flattern der Stoffvorhänge bereits hören. Es scheint helllichter Tag zu sein und trotz dessen liege ich noch im Bett die Augen fest verschlossen, schlafend. Jedoch ist es kein friedlicher Schlaf. Vor meinem inneren Auge bildet sich ein grau-schwarzer Dunst aus Erinnerungen jener Zeit und jenem Morgen an dem ich dachte das mein Leben endlich und endgültig sein Ende finden wird. Egal wie verzweifelt ich versuche ihnen zu entfliehen. Ich kann weder vergeben, noch vergessen. Ich fühle wie mir die Angst die Luftröhre abschneidet und der Tod mir ins Gesicht flüstert. Es wird noch lange nicht vorbei sein.
Jedoch scheint mein verzweifelter Versuch meiner erträumten Vergangenheit zu entgehen nicht unbemerkt geblieben zu sein. Ich kann Schritte vernehmen, beinahe vorsichtig kommen sie an mein Bett. Vor meinem geistigen Auge werden die Bilder immer klarer. Eine Hand legt sich auf meine Schulter, versucht mir das Gefühl von Komfort und Sicherheit zu vermitteln doch es bringt nur das Gegenteilige. Der Tod greift mit seinen verknöcherten Händen in mein Herz hinein und zerdrückt es in seinen Fingern, doch anstatt Schmerz fühle ich nichts als Angst. Der Tod umgürtet mich und umarmt mich und zieht mich näher an ihn heran. Doch bevor ich in seinen Knochenfingern ersticke reißt mich eine Stimme aus meinem Traum heraus welche entfernt, aber bestimmt meinen Namen ruft. Schweißgebadet öffne ich die Augen und sehe auf einmal alles klar...
Ein Mann mittleren alters steht vor mir, seine kaltnassen Hände an meinen Schultern und versuchen mich hochzuziehen. Ich spüre sofort wie der durchweichte Schlammboden meine Hosenbeine bis auf die Haut durchnässt und ich versuche ihn bei dem Versuch mich aufzuraffen zu unterstützen. Bevor ich ihn auch nur näher betrachten kann, außer der Tatsache das er in einer abgenutzten Armeeuniform und mit schartigem Stahlhelm vor mir steht drückt er mir wie aus dem Nichts ein Gewehr in die Hände und brüllt etwas unverständliches bevor er seinen Weg in den Nebel fortsetzt. Beinahe ohnmächtig schaue ich ihm nach während die Klänge der Umgebung mir wieder vertraut werden. Schüsse, Explosionen, Schreie. In der Luft hängt der selbe grau-schwarze Nebel wie in meinem Traum, beinahe erstickend hängt er in der staubigen Luft. Bedrohlich, als würde er alles lebendige was ihn passiert restlos konsumieren. Ein schmaler Streifen Sonnenlicht bricht durch die dunklen Wolken welche sich dicht an dicht am Himmel türmen und erhellt durch den prasselnden Regen die Umgebung. Ungläubig schaue ich mich um. Entfernte Schüsse und Geschrei begleiten das Beben des Bodens, vor meinen Augen nimmt die Umgebung langsam wieder Konturen an. Ruinen von Häusern säumen das Trümmerfeld, einige Männer in beiger Armeeuniform stürmen an mir vorbei zu den kläglichen Überresten, gefolgt vom röhrenden Motorengeheul eines Panzers. Mit Ehrfurcht starre ich das bis an die Zähne bewaffnete Fahrzeug an während es sich tuckernd an mir vorbeibewegt, die Ketten des schweren Gefährts im Schlamm versinkend. Mein Blick wendet sich zurück und ich beobachte einen Soldaten einen seiner Kameraden über den Boden schleifen, in Richtung unserer Grabenlinie. Beide sehen noch viel jünger aus als ich es bin, doch derjenige der über den Boden geschliffen wird sieht bereits so aus als würde er auch nicht mehr älter werden. Vermutlich weiß der Junge der ihn quer über den Boden schleift das sogar. Seine Augen sind rot und angeschwollen vom weinen als ob er es nicht verkraften würde das er tot sei.
Bevor ich mich jedoch dazu entschließen kann ihm zu helfen, packt mich ein anderer Mann an der Schulter und rüttelt mich aus meiner Trance: „Wir werden hier umzingelt! Wir müssen diese Stellung halten!" er brüllt gegen das donnernde Geräusch der Explosionen an und rennt zum Rest der Soldaten, zu den Ruinen. Ich folge ihm zögerlich nach und suche Schutz hinter einer der Häuserwände. Meine Augen fallen auf den Panzer welcher durch das Geröll dem Feind entgegensteuert. Im gleichen Moment wo der Stahlkoloss die Geröllschicht durchbricht und langsam den Hügel hochfährt, ertönen entfernt die Trillerpfeifen der Feinde. „Sie kommen! Feuer nach eigenem ermessen!" brüllt einer der Soldaten und ich bringe das Gewehr in Stellung, bereit zu feuern. Ich blinzle nur ein einziges Mal und auf einmal höre ich wie ein Geschoss auf Metall trifft und es durchbricht, im nächsten Augenblick detoniert der gesamte Panzer auf dem Hügel. Ein einziger Schreichor bricht aus den Lungen der heranstürmenden Wellen an Soldaten welche über den Hügel strömen und auf uns zukommen, dem Tod ins Auge blickend. Ohne zu zögern eröffnen wir das Feuer auf die hysterisch durcheinander kreischende Meute, die ersten fallen zu Boden als die Kugeln ihre Körper durchschlagen und sie vorzeitig aus ihrem Leben reißen. Doch egal wie viele wir erschießen, gegen eine solche Übermacht sind wir gänzlich machtlos. „Granate!" brüllt mein Nebenmann auf einmal, ich schleudere herum doch es dauert nicht mehr eine Sekunde da fegt mich die Explosion von den Füßen. Ein stechender Schmerz durchfährt mein Trommelfell als ein schmerzhaftes Piepen in meinem Kopf ertönt, ich kralle meine Finger in meine Kopfhaut und ächze verzweifelt, versuchend dem Drang zu schreien zu widerstehen. Ich öffne meine Augen und versuche mich erneut zu orientieren und aufzurichten. Schließlich kommen die Geräusche des Kampfes wieder zu mir zurück. Ein lautes, unheilvolles Brüllen gefolgt von den Schmerzensschreien der Sterbenden. „Flammschützen! Weg hier, Weg!" Die in Panik fliehenden Soldaten werden von den Angreifern hinterrücks in den Rücken geschossen. Verzweifelt versuche ich nach meiner Waffe am Boden zu greifen und krieche auf dem Rücken weg von der Stellung. Ein schleimiger Streifen Fleisch bleibt an meiner Hand kleben und ich muss den Drang unterdrücken mich zu übergeben als ich durch die blutigen Reste meines Nebenmannes krieche. Ich kann von Glück reden das sein Körper die Explosion größtenteils geschluckt hat. Ich ziehe mich ächzend am geborstenen Mauerwerk gegenüber von mir zurück auf die Füße und renne. Ich renne einfach nur. Vorbei an Leichenteilen, Stacheldraht und Bombentrichtern gefüllt mit tiefen Pfützen und Geröll. Ich weiß nicht einmal mehr ob ich in die richtige Richtung laufe. Mit jedem Schritt den ich tue versinken meine undichten Stiefel bis zum Ansatz im Schlamm und ich laufe in Richtung des einzigen Orientierungspunkts in der Schlacht den ich ausmachen kann. Die in Trümmern liegende Dorfskirche.
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Geschichten von den Fronten
Short StoryEine kleine Sammlung an fiktiven Kriegsgeschichten. (Einige Geschichten hängen nicht weiter zusammen, eine grundlegende Ordnung gibt es auch nicht) Gewidmet für Toni: Danke das du nicht an mir aufgibst 🙏🏻