Heiligabend

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Ich lausche dem rattern der Stahlräder des Zuges
über die Schienen. Unaufhörlich das stumpfe rattern. Schon seit Stunden geht das so. Das Heimatland haben wir schon seit langer Zeit hinter uns gelassen. Es geht Richtung Osten, der Front entgegen. Durch die verschmierten Abteilfenster sind große Felder zu erkennen welche sich bis zum Horizont ausstrecken. Vereinzelte Baumreihen und gelegentliche Straßen trennen die Felder, doch weder Dorf noch Wald sind weit und breit zu sehen. Nicht einmal mehr Strommasten wie daheim. Der morgendliche Nebel taucht die gelb-grüne Gras- und Ackerlandschaft in einen weißlichen Dunst, durch welchen die ersten Sonnenstrahlen des Tages scheinen. Im Gegenzug zu draußen ist die Luft im Abteil stickig und verraucht. Soldaten an jeder Ecke, die meisten hocken in ihren Stockbetten oder daneben auf dem Boden. Es wird zwar der erste Fronteinsatz für die ganze Kompanie sein, doch es wird bereits brüderlich die Flasche Siegesschampus geteilt, oder die Schachtel Zigaretten geraucht welche wir beim Antritt unserer Reise bekommen haben. Es wird nach Herzenslust gelacht, als ob es jetzt schon klar wäre, das wir alle bei Weihnachten wieder zuhause sein werden. Bei dem Gedanken daran, kann ich nur lachen. Die größte Lüge in der Kriegsgeschichte der Welt.

Doch das ist nicht das einzige was mich zum Schmunzeln bringt. Während ich so oben im Stockbett zwischen meinen Taschen und Schlafsäcken liege, da muss ich wieder an sie denken. Meine Hand wandert in eine der vielen kleinen Ecktäschchen am Rucksack neben mir und ich fische mein grünes Portmonee heraus. Das kleine Foto, welches ich aus diesem ziehen wollte, steht schon halb hervor als ob das Leben bereits schon gewusst hat, dass ich in nächster Zeit einen Blick darauf werfen werde. Mein Blick wandert über das schimmernde Bild während ich nicht einmal mehr merke das mein Schmunzeln immer größer wird. Das Foto wurde vor fast einem Jahren geschossen, doch an ihrer Schönheit hat sich seither nicht viel verändert. Im Gegenteil. Sie ist sogar noch schöner geworden. An jenem Tag kam sie von weit her zu Besuch in meine Heimat, jedoch bräuchte ich nicht einmal mehr das Foto um mich an ihr strahlend warmes Lächeln zu erinnern. Und ihr langes, goldenes Haar durch welches die Sonne gespielt hat. Wie gerne würde ich doch die Zeit zurückdrehen, nur um diesen Moment noch einmal erleben zu dürfen.

Einer der Soldaten auf dem Nebenbett bemerkte mein nostalgisches Grinsen auf das kleine Stück Fotopapier in meinen Händen. Er lehnt sich über den blanken Eisenrahmen und erhascht einen kurzen Blick auf das Foto. Aus dem Augenwinkel heraus merke ich wie er einen Finger hebt und fragt: „Na, wen schaust du dir denn da schönes an?" Anstatt zu antworten zeige ich ihm das Foto. Vorsichtig nimmt er es zwischen zwei Finger und an seinem Gesichtsausdruck kann ich erkennen, das ein kleiner Hinweis von Begeisterung in ihm aufgestiegen ist. Er gibt einen verblüfften Pfeifton von sich und schaut mich über den Rand des Papiers an. „Deine Perle daheim?" fragt er mit einem beinahe schmutzig aussehendem Lächeln auf den Lippen. Bestimmt schüttle ich jedoch den Kopf. „Sie ist nur eine Freundin..." Bei diesem Wort hebt sich eine skeptische Augenbraue in die Höhe und das dreckige Grinsen wird breiter. „Aaaah, du magst sie hab ich recht?" er lacht sich halb tot und bietet mir das Foto wieder an. Ich merke wie ein kleiner Kloß in meinem Hals entsteht. Wo er recht hat, hat er recht. Doch verdient habe ich sie nicht, das habe ich mir schon eingestanden. Der Mann im Bett neben mir klopft sachte gegen meinen Bettpfosten. „Komm, wenn der Krieg vorbei ist dann hol sie dir. Keine falsche Scheu. Machen die Ossis auch extra schnell fertig." Ich nicke schmunzelnd. Wenn er nur wüsste. Vermutlich war er noch nie ohne Frau. Für Leute wie mich, die aber noch nicht einmal mehr Händchen mit einem Mädchen gehalten haben ist es umso schwerer sie anzusprechen. Das Los der Schüchternheit. Über sich hinaus zu wachsen ist das Schlimme daran. Weil es mehr als nur den Ausgang „Ja" oder „Nein" gibt. Wiederum zeigt es derjenigen, das sie es wert war das man aus seiner Schale gebrochen ist für sie. Das wird jedoch häufig übersehen. Egal ob beabsichtigt oder nicht.

Sobald das ganze vorbei ist, werde ich sie finden und es ihr gestehen. Im Nachhinein werde ich vermutlich sowieso mutiger sein. Meine Hoffnung auf den baldigen Weg zurück nach Hause ist also doch nicht ganz unangebracht.

Und wer weiß?
Vielleicht dauert es ja wirklich nur bis zum Heiligen Abend?

Geschichten von den FrontenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt