Feuer

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Die dunkle Nacht schwelgt über uns, als die letzten übermüdeten Jugendliche an die Leitern der Gräben treten, die Gewehre schlaff in ihren Armen. Man sieht ihnen schon jetzt an das sie keine Kraft mehr haben um die 500 Meter bis zum feindlichen Graben zu sprinten. Geschweige denn den Abzug zu betätigen. Über unseren Köpfen ziehen die schweren Bomber der Luftwaffe sich wieder aus dem Schlachtgeschehen zurück. Die dröhnenden Motorengeräusche der Bomberformation übertönen so gut wie alle Geräusche, man versteht das eigene Wort kaum. Vor wenigen Minuten haben die Bomber die drei Grabenlinien des Feindes gnadenlos in die Luft gesprengt, am verrauchten Horizont sind Lichter zu erkennen welche sich großflächig über das Gebiet verteilen. Ein grelles Licht bei uns lässt mich nach hinten und nach oben blicken. Der Kommandant steht hinter uns, eine Signalpistole zum Himmel gerichtet. Das Licht verharrt für eine Weile in der Luft und erhellt die Nacht und das Schlachtfeld vor uns. Gleichzeitig werden so gut wie überall auf unserer Seite des Horizonts die Signalpistolen abgefeuert und erhellen das verschlammte, leichenübersähte Terrain. Die wenigen Toten oder schiefen Bäume zwischen den Bombentrichtern und Grabenresten geben dem ganzen eine beinahe gespenstische Atmosphäre. Solch ein Schlachtfeld gab es schon einmal, doch das lag mehrere hundert Kilometer entfernt im Westen. Eine zweite Narbe von St.Quentin. Nur das hier drei viertel der Soldaten schon vergessen haben wo wir überhaupt sind. In Russland, so viel ist sicher. Aber wo genau weiß keiner. Dafür sieht alles viel zu gleich aus. Schon seit Wochen haben wir keine Zivilisation mehr gesehen, nicht einmal Autos. Noch nicht einmal mehr Fahrzeuge vom Feind. Der General befürchtet einen baldigen Durchbruch der Nachschublinien des Feindes. Sein Plan dies zu verhindern ist mehr als nur eine Selbstmordaktion. Während unsere Verbündeten weiter Nördlich und Südlich die Front halten, sollen wir eine Presche durch die Feindverteidigung schlagen und mithilfe der Luftwaffe die restlichen Feindstellungen umkreisen. Ein direkter Sturmangriff ins feindliche Sperrfeuer. Ein wehleidiges Stöhnen verlässt die Kehle des Mannes neben mir und er schaut zum Himmel. Durch den langsam verblassenden Schimmer der Signalleuchtfeuer im Himmel kann ich eine kleine Träne seine linke Wange hinunterlaufen sehen. Mein Blick dreht sich erneut zurück in den Graben. Die schmatzenden Schritte des Feldwebels lenken mich ab als er seine Hand entlang der Holzplanken am Grabenrand fahren lässt. Er muss nicht einmal mehr etwas sagen, da begreifen wir schon was los ist. Es ist soweit.

Die ersten klettern an den modrigen Leitern empor und bahnen sich ihren Weg durch das Stacheldrahtgewirr. Als meine Hand das feuchte Holz berührt, merke ich das meine Knie automatisch weicher werden. Ich will nicht da hoch. Doch bleiben ist keine Option. Bleibe ich, erschießen mich die eigenen Leute. Gehe ich, tötet mich der Feind. Eine Zwickmühle welche auf beiden Wegen im sicheren Tod endet. Die Soldaten hinter mir drängen mich weiter an die Leiter heran. Mir bleibt keine Wahl. Somit steige ich die rutschigen Streben hinauf und klettere aus dem Graben heraus.

Durch die Nacht sehe ich meine Kameraden kaum, doch ich höre ihre Stiefel in den Pfützen vor mir verschwinden. Die Finger in die schartige Verkleidung des Gewehrs gekrallt hechte ich ihnen hinterher. Schneller und immer schneller. Meine Gedanken liegen vollständig blank. Einer zu viel könnte jetzt mein Ende bedeuten. Ich stolpere über die Teile von Leichen durch die tiefen Schlammpfützen dem Feindgraben entgegen. Je weiter ich mich vom Getöse der Flugzeugmotoren entferne, desto lauter wird ein anderer Ton. Ein brüllen. Doch es hört sich nicht Menschlich an. Hinter mir hechten die Soldaten, schwer atmend durch den dicken Morast. Eine Anhöhe erstreckt sich vor uns, eine Mauer aus Rauch und Asche fliegt uns entgegen. Hustend stülpe ich die teils nasse Gummimaske mit Luftfilter aus meiner Gürteltasche über meinen Kopf und wische kurz über die befleckten Sichtgläser. Im dichten Rauch kann ich kaum Navigieren, mein Gehör ist vollkommen gedämpft. Doch anscheinend bin ich nicht der einzige. Die Anhöhe ist fast vollgekleistert mit Soldaten welche allesamt langsam durch die Rauchwand wandern. Hinter der Anhöhe flackert das helle Licht. Und auf einmal überkommt mich eine schaurige Ahnung.

Als meine Beine mich die letzten Meter der Anhöhe tragen spannt sich mein gesamter Körper an. Eine Hitze welche mir noch nie zuvor entgegen gekommen ist strahlt uns entgegen. Einige der Soldaten sind auf der Anhöhe stehen geblieben und starren entgeistert ins leere. Schließlich sehe auch ich was sie sehen. Feuer. So weit das Auge reicht. Die gesamte Fortifikationen des Feindes stehen in Flammen. Doch selbst die Schreie der Sterbenden können das Brüllen der Flammen nicht übertönen. Es regnet Asche und Funken vom Himmel als ob wir in der Hölle selbst gelandet sind. Der Boden ist übersät mit Glut und selbst der Gestank von faulendem Fleisch kann den Geruch nach Schwefel nicht unterdrücken. Man riecht es selbst durch die Gasmaske. Meine Augen fangen an zu tränen als der stechende Geruch sich in meine Nasenschleimhaut einarbeitet.

Eine Gruppe an brennenden Soldaten kriecht uns entgegen, vor Verzweiflung und Schmerz aus vollster Kehle schreiend. Sie wälzen sich auf dem Boden um das Feuer welches ihr Haar, ihre Kleidung und ihre Haut verzehrt zu löschen. Es bringt genauso viel als ob wir sie mit Löschpapier abdecken würden um die Flammen zu ersticken. Gar nichts.
Mein Nebenmann entsichert sein Gewehr und sieht mich an. Durch seine Gasmaske kann man keinerlei Emotionen sehen, nicht einen einzigen Hauch von Menschlichkeit.
„Erlöst sie von ihrem Leiden."

Geschichten von den FrontenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt