Ausgehungert

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Es tropft Tauwasser von der Decke des verdreckten Unterstandes hinein in eine Lache aus Schlamm und Wasser. Die hölzernen Bodenplatten haben sich bereits problemlos in den matschigen Boden gearbeitet. Die rostigen Eisenrahmen der Stockbetten sind vom Dreck bekleistert, der Gestank von faulenden Füßen erfüllt die Luft. Vor einigen Tagen habe ich mit einem bärtigem Mann aus dem Sauerland die Stiefel getauscht. Es ist beinahe ungewohnt nun mit trockenen Füßen. Mein müder Blick schweift über die Stockbetten in denen sich ein Großteil der Soldaten der zweiten Linie bereits verschanzt haben, die kratzigen Fließdecken um sich geschlungen. Der kalte Dunst der eisigen Nacht liegt in der Luft, nicht viel mehr als eine flackernde Öllampe am zentralen Stützpfeiler erhellt den Raum zum Teil. Die Nacht über wird sie vermutlich auch nicht ausgeschaltet werden. Zum schlafen sind wir alle eh viel zu hungrig, während die Ratten und Wölfe sich weit entfernt von den Leichen unserer Kameraden satt fressen. Wenigstens besitzen die Wölfe nicht die Dreistigkeit sich auch noch an den Lebenden zu vergreifen, so wie die Ratten es tun. Die fetten Viecher haben nicht einmal mehr Scheu davor die Gewehrkolben anzufressen. Sie zu jagen ist schon beinahe zum Mannschaftssport geworden. Einen Unterstand weiter sollen sie anscheinend bis zu 22 Exemplare an einem Tag erlegt haben.

Von weitem kann ich die heisere, hallende Stimme eines Kameraden hören, während im Hintergrund schief auf den Saiten einer Gitarre gespielt wird. Er singt eines der guten, alten Lieder welche einem früher noch das Herz erwärmt hätten. Ein verzweifelter Versuch dem unaufhörlichen Elend zu trotzen und vermutlich der einzige Trost welcher uns hier noch begegnen wird. Aus einer Ecke des Unterstandes höre ich einen jungen Kameraden leise zur Melodie summen. Ein paar wenige stimmen noch ein doch der Großteil bleibt still. Vermutlich denken sie alle an die besseren Zeiten zurück, als sie noch daheim waren und mit ihrer Familie zusammen aßen, feierten und lachten. Jetzt ist die Armee ihre Familie. Der Graben ihr Zuhause. Und der Helm ihr engster Freund. Schon seit Wochen warten wir auf die Post. Der Generalstab verbietet es uns über die Lage zu schreiben, weshalb sie ständig die Briefe kontrollieren und sogar kürzen wenn es sein muss. Seit Kriegsbeginn vor drei Jahren hat sich die gesamte Ostfront festgefahren, nur an wenigen Stellen rücken wir ein wenig vor wenn der Feind aufgrund Ressourcen-Mangel ein weiteres brennendes Dorf aufgeben muss. Doch Mobil ist der Krieg noch lange nicht.

Von Zuhause kommen auch kaum Informationen an die Front. Einige Kameraden bekommen in der Post, ausschnitte aus der Morgenzeitung geschickt. Laut denen geht es unseren Liebsten zuhause auch nicht besser als uns. Erlaubt mehr darüber zu erfahren und zu sprechen sind wir aber auch nicht. Tut man es trotzdem, gleicht dies einem Selbstmord.
Dennoch gibt es massive Spekulationen unter der Truppe, eine verrückter als die andere. Der General spricht zwar immernoch davon das wir Zuhause mit Glockenschlägen, Orgelklängen und Chorgesang empfangen werden. Als Sieger im Namen der Gerechten und als Helden der Nation. Was für ein Bullshit.  Die Todeszahlen werden uns zwar auch vorenthalten, doch wir sehen schließlich mit eigenen Augen wie viele von uns pro Tag ins Gras beißen. Die Hoffnung noch einmal die Heimat mit seinen eigenen Augen zu sehen wird immer kleiner. Von einem ruhmreichen, schnellen Sieg ist jede Nation noch weit entfernt. Noch will keiner Aufgeben. Dafür scheinen den Starken in ihren Palästen und Kapitolen noch nicht genug Menschen gestorben zu sein.

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