Crystal Castles

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Heute ist ein trauriger Tag. Ich spüre es im Flur, im Bad um am schlimmsten vor ihrer Zimmertür. Wenn sie einen traurigen Tag hat, kann meiner nicht gut sein, so ist das nun einmal. Ich würde auch gar keinen glücklichen Tag wollen, ohne dass sie auch einen hat. Tatsächlich würde ich jeden meiner glücklichen Tage an sie abtreten. Ich weiß nie viel mit ihnen anzufangen, sie schon. Sie macht sogar an traurigen Tagen so viel wichtiges. Ich glaube, ich mache nie etwas wichtiges. Manchmal denke ich, dass wichtigste was ich tun kann, ist ihr bei wirklich wichtigem helfen.
Ich höre sehr leise „I'm not in love, not in love" aus ihrem Zimmer, gefolgt von einem mystischen und technoartigen Beat. Offensichtlich irgendwas mit Crystal Castles. Ich mag die Band nicht wirklich. Meistens versteht man den Text nicht und der Beat klingt so nach Aliens, die die Erde besuchen. Als ich ihr das mal gesagt habe, hat sie gelacht und gesagt: „Das hast du aber schön gesagt! Schau mal Odyssee 2001 von Stanley Kubrick." Und ich habe Odyssee 2001 von Stanley Kubrick geschaut und absolut nichts verstanden. Die letzten 10 Minuten habe ich nur noch durchgeskippt. So ein Typ reist dem Ruf der vermeintlichen Aliens nach, aber wir sehen nie Aliens und es endet damit, dass der Typ in einer Wohnung sitzt und komisch altert, bzw. verjüngt wird. Auf Google steht irgendwas von Göttlichkeit, aber das hat mir auch nicht weitergeholfen, also hab ich beschlossen für immer und ewig Stillschweigen über den Film und mein Nicht-Verständnis darüber zu bewahren.
Vorsichtig und bedacht klopfe ich an ihre Tür. Seit Anbeginn der Zeit klopfe ich immer an die exakt gleiche Stelle. Das beruhigt mich irgendwie.
„Komm rein," schnieft es von drinnen. Ich tue wie geheißen, öffne die Tür und sehe sie auf dem Bett sitzen. Kein Wigald, kein Hesse, kein lachendes Weinen, nur einfaches Weinen. Wobei, bei ihr ist nichts einfach. Alles ist kompliziert und mit Grund und Absicht und Bestimmung. Es würde mich nicht wundern eines Tages festzustellen, dass sie eigentlich Gott ist und den Determinismus erfunden hat.
„Konstantin," flüstert sie. Ich sehe sie an. „Da ist ein bisschen viel Welt in mir gerade, Konstantin."
Wie üblich verstehe ich nicht, versuche aber einen beruhigenden Gesichtsausdruck aufzusetzen, der ganz offenbar seine Wirkung verfehlt oder einfach ignoriert wird. „Konstantin." Sie sagt meinen Namen heute verdächtig oft, nicht dass es mich stören würde, ganz im Gegenteil. Es ist nur auffällig. Sie nennt mich immer bei meinem ganzen Namen. Als sie eingezogen ist, habe ich ihr angeboten, dass sie wie alle anderen Tin oder Tino sagen kann. Dann fragte sie mich welchen ich davon mehr mochte und ich sagte irgendwas wie „Keine Ahnung". Anscheinend nahm sie das zum Anlass mich nie anders als Konstantin zu nennen.
„Ich glaube der Nihilismus holt mich wieder ein, dabei bin ich doch so gut vor ihm weggerannt, als ich 14 oder 15 war...." Sie redet eigentlich mit sich selbst, aber ich darf als stiller Zuhörer dabei sein, wenn sie schlaue Sachen sagt. Das mag ich sehr. „Alles isst um gegessen zu werden. Mein Gott, Konstantin, was können wir denn tun? Was können wir denn tun?" Sie weint nicht mehr, aber das ist nur noch beunruhigender. Ihre Stimme ist brüchig aber bestimmt. Ich weiß nicht wer der Nihilismus ist, aber wenn ich könnte würde ich ihm die Nase brechen. Ich habe nur das unbestimmte Gefühl, dass es nicht so leicht ist. Als sie wieder aufblickt, fällt ein Lichtstrahl ins Zimmer und erhellt ihr Gesicht. Sie ist der schönste Mensch der Welt. Das weiß sogar der Himmel.
„Camus sagt, dass wir das Absurde akzeptieren müssen, wenn wir schon nicht an etwas Göttliches glauben und uns nicht übrigen wollen. Aber die Absurdität des Lebens ist manchmal immer noch zu viel für mich. Ich kann diesem Ding der Sinnlosigkeit nur entkommen, wenn ich selber etwas Sinnenhaftes tue. Etwas, von dem ich überzeugt bin, dass es Sinn hat."
Ich starre sie an. „Alles was du tust, hat Sinn," sage ich, ohne nachzudenken. Sie richtet sich auf. „Wie bitte?" „Naja," druckse ich herum. „Ich denke, dass du eben einfach alles so wichtig machst. Du bist so unfassbar schlau und du denkst so viel nach. Ich könnte garnicht so viel denken. Und wenn du..." Ich komme ins Stocken. Worauf will ich hier eigentlich hinaus? „Nur weiter." Sie lächelt mich an.
„Was ich sagen will ist: Ich fühle mich wichtig und sinnvoll, wenn ich mit dir mitreden kann. Oder wie sagt man das? Keine Ahnung. Aber ich meine, wenn deine Gedanken nicht sinnvoll wären, oder irgendwas was du tust nicht sinnvoll wäre, dann würde für mich ja nicht mal das kleinste bisschen Sinn übrig bleiben. Weißt du was ich meine?" Dumme Frage, natürlich weiß sie was ich meine. Doch sie antwortet nicht und ich rede weiter. „Du siehst es vielleicht nicht, aber du tust schon etwas Sinnvolles, dadurch dass du mir ein bisschen Sinn abgibst. Ach egal...." Ich gebe auf. Ich klinge nicht nur wie ein kompletter Vollidiot, ich bin auch einer.
Sie streckt ihre Hand nach meiner aus und hält sie fest.
„Ja Konstantin," murmelt sie dann. „Ich hab ja dich."
„Für immer und ewig und noch länger, wenn du willst," denke ich.
Prüfend sieht sie mich an. „Du meinst das wirklich so." Es war keine Frage und trotzdem nicke ich zaghaft. Ich weiß nicht, wie sie es schafft durch meine verworrenen Gedanken zu blicken. Aber dass sie es schafft, steht außer Frage.
„Das ist ziemlich viel Verantwortung, die du mir hier auferlegst."
„Das wollte ich nicht! Also," ich stammle schon wieder „Ich will nicht- was ich sagen will..."
Meine Stimme bricht ab.
„Das stört mich nicht, Konstantin. Ganz und gar nicht."
Sie pausiert. Ich höre an ihrem Atem, dass sie noch mehr zu sagen hat. Sie hat immer noch mehr zu sagen.
„Dann fange ich wohl mal an die Sinnhaftigkeit in mir zu suchen, die du schon siehst." Das ist ein sehr netter Weg hinaus gebeten zu werden. Als ich aufstehe wechselt die Musik zu irgendwas mit verständlichem Text. Immer noch Crystal Castles Beat aber jetzt singt jemand.
„Where do all the lovers meet with one another?"
Wenn ich das wüsste. Offenbar nicht in ihrem Zimmer. Ich wünschte sie würden sich in ihrem Zimmer treffen. Und mit sie meine ich sie und mich.
Als ich die Tür hinter mir zuziehe höre ich: „And the truth never comes up."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 02 ⏰

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