III

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Dass ich träumte, war nichts Ungewöhnliches für mich. Schon immer sah ich im Schlaf Figuren, die Geschichten erlebten.
Auch nach dem Erwachen standen diese Bilder stets noch gegenwärtig vor meinen Augen. Doch so realistisch wie dieses Mal waren Traumbilder bisher noch nie gewesen.

Stimmen sprachen zu mir, klangen zu laut, zu schrill, zu böse – aber auch zu durcheinander, als dass ich etwas hätte verstehen können.

Meine zurück gebliebenen Elfen und Hexen waren die Urheber der Unruhen. Ob sie mit mir unzufrieden waren oder ob etwas anderes sie beunruhigte, konnte ich nicht wahrnehmen.

Ich wollte sie zur Ruhe rufen, doch kein Wort verließ meine Lippen. Meine Hände griffen nach dem, was ich erschaffen hatte, doch sie griffen nur ins Leere.

Die Stimmen wurden leiser, flüsterten – es klang heiser, und es klang zunehmend traurig.

Schweratmend und schweißnass erwachte ich endlich, fühlte, dass meine Finger noch immer zuckten von dem erfolglosen Versuch, eine der schönsten Elfen zu ergreifen, zu trösten.

Nach einer erfrischenden Dusche, die mich ein wenig ins Jetzt zurückbrachte, betrat ich meinen Arbeitsraum. Auf dem Tisch stand ein Tablett mit meinem Frühstück, und ich fühlte das Loch in meinem Magen.

Als ich mich heißhungrig auf Toast und Schwarzbrot, beides belegt mit verschiedenen Wurstsorten, stürzen wollte, schweifte mein Blick über die Regale.
Schon die ersten Bissen blieben mir im Hals stecken.

Etwas stimmte nicht!

Mein Blick glitt durch den gesamten Raum. Gut, natürlich gab es eine Menge an Lücken, aber die Anordnung der zurückgebliebenen Figuren war anders als noch gestern, bevor ich in diesen komatösen Schlaf gefallen war.

Stets hatte ich das, was ich erschaffen hatte, willkürlich auf die Bohlen gestellt, so wie es eben fertig gestellt worden war.
Doch nun hatte sich die Reihenfolge verändert.

Sicher hatte sie das.
Elfen standen in Gruppen ebenso wie Hexen, Gnome, Einhörner und Drachen.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf, um das Scheinbild, das sich mir bot, zu vertreiben.
Wahrscheinlich hatte Katja, von mir unbemerkt, alles so neu geordnet.

Das musste die Erklärung sein.

Erleichtert setzte ich mein Frühstück fort. Doch mein Blick lag dabei auf den Regalen.

Etwas glitzerte im Schein der Deckenlampen. Ich sprang auf, wollte erkunden, was das war.
Eine Flüssigkeit, klar wie Wasser – kleine Pfützen auf allen Brettern.
Ohne nachzudenken, tauchte ich einen Finger hinein und kostete.
Salzig, eindeutig!
Tränen?

Das war nicht möglich.
Auch wenn meine Figuren in meiner Fantasie lebten, konnte ich doch zwischen Wirklichkeit und Gedankenwelt oder Träumen unterscheiden - hoffte ich zumindest zu diesem Zeitpunkt noch.

Ein Wispern war zu hören, und ich wusste nicht, ob nur in meinem Kopf oder wirklich mit meinen Ohren. Angestrengt versuchte ich mich darauf zu konzentrieren.

„Unsere Freunde sind fort!"
„Du hast sie verkauft!"
„Du hast uns verraten!"
„Du hast uns enttäuscht!"

Träumte ich denn noch immer?

„Hol sie zurück!" Diese Worte waren lauter als die vorhergehenden, kamen von einem Brett in meiner Augenhöhe, dem längsten des Regals an der Außenwand. Dort hatte der Zauberer seinen Platz innegehabt. Doch jetzt stand hier die größte und hässlichste Hexe, die ich je gefertigt hatte.

„Redest du mit mir?", fragte ich sie und wunderte mich nicht mehr darüber, dass ich mit Tonfiguren sprach und auch eine Antwort erwartete.

„Natürlich, du dummer Mensch! Mit wem denn sonst?", kam bissig zurück.

FIGUREN DES LEBENSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt