Immer noch hat keiner von uns beiden ein Wort gesagt. Sowieso hatte ich vor nichts zusagen, immerhin besteht die Gefahr, dass Rio meine Stimme erkennen könnte. Als er sich endlich wieder in dem Stuhl zurücksinken lässt und mich mit dieser Kälte anstarrt komme ich einen Schritt näher. Mit einer Hand umfass ich den Dolch, die andere ziehe ich unter dem Umhang hervor. Seine Augen konzentrieren sich mehr auf meine davor bedeckte Hand, die ihm nun das Wasser und den Apfel entgegenstreckt.
„Vergiften kann ich mich auch selbst." Unter der Maske muss ich grinsen. Der Gedankengang ist immerhin komplett richtig, nur dass es ihm hier zum Verhängnis werden könnte. Ich stecke den Dolch wieder an meine Seite und forme mir der Hand eine kleine Schüssel, dort schütte ich mir etwas Wasser rein. Die andere Hand hebt meine Maske so weit an, dass ich das Wasser trinken kann er mich aber nicht sehen kann. Das sollte Beweis genug sein, dass wenigstens das Wasser in Ordnung ist.
Nochmals halte ich ihm die Flasche hin und er nimmt sie tatsächlich an. Trinkt schnell einen Schluck. Die Luft hier unten ist wirklich trocken und stickig zugleich, ich weiß nicht, wie lang ich es hier aushalten würde. „Wer genau seid ihr eigentlich?" Fragt er schließlich. Rio will eine Antwort, doch ich kann sie ihm nicht geben.
Auf jeden Fall nicht, indem ich sie sage. Deshalb drehe ich mich einfach etwas um und laufe zur gegenüberliegenden Wand. Auf dem Rücken des Umhangs ist unser Wappen eingestickt. Jetzt ist seine erste Frage beantwortet, das bestätigt sich als er leise „Carlpin" murmelt. Ganz richtig, das waren wir. Nun warte ich auf seine nächste Frage.
Diese kommt auch relativ schnell. „Wieso habt ihr mich entführt? Ich habe nichts mit den Geschäften meines Vaters zu tun. Noch nicht." Ich deute ein Nicken an, während ich mich gegen die Wand lehne und die Arme vor der Brust verschränke. Es ist eine surreale Situation ihm so nah und doch so fern zu sein wie in diesem Moment.
Jetzt fängt er an zu raten, wahrscheinlich hat er bemerkt, dass ich ihm keine Antwort geben werde. „Hat er einen Deal gemacht, mit dem ihr nicht einverstanden seid?" Ich schüttle den Kopf, genauso wie bei all den anderen Vermutungen. Etwas frustriert lässt er schließlich den Kopf in den Nacken fallen. „Was soll er denn so Schlimmes gemacht haben, dass ihr auch mich gefangen nehmt?" Aus dem Nichts starrt er mich mit unfassbar großer Wut an. Irgendetwas ist ihm gerade klar geworden.
„Habt ihr etwa auch Décio?" Die Wut brennt immer weiter in seinen Augen und scheint überzukochen, als ich nicke. „Er ist ein verdammtes Kind!" Schreit Rio mir entgegen und ich mache eine kleine Handbewegung, damit er sich beruhigt. Er bemerkt diese und sieht mir entgegen. „Ihr werdet ihm nichts tun?" Seine Stimme klingt so unfassbar ernst, aber ich nicke einfach nur erneut. Das habe ich verlangt, sonst wäre sonst etwas mit dem Kleinen passiert und das möchte ich nicht.
Man merkt, wie sich sein kompletter Körper etwas entspannt. „Welche Stellung hast du, dass du einfach mal kurz in die Räume der Gefangenen kommen kannst?" Eine sehr gute Frage und eine extrem schwierige Antwort. Die Antwort würde mich definitiv nur verraten, weshalb ich nur mit den Schultern zucke. „Also eine ziemlich hohe."
Schlussfolgert er aus meiner Reaktion. „Man kennt dich also." Es wirkt so, als würde er mit sich selbst sprechen, doch auch immer wieder ein paar Worte an mich richten. Natürlich erkennt er, dass ich eine Frau bin, weshalb er überlegen wird welche Frauen es in unserem Kartell gibt. „Aurea Carlpin?" Meine Augen weiten sich unmerklich.
Will er sich über meine Familie lustig machen? Als ob er nicht wüsste, dass sie tot ist. „Habe ich etwa recht? Du scheinst überrascht zu sein." Okay, er will dieses Spiel spielen bitte. Ich verstelle meine Stimme, so dass sie tiefer klingt, das ist eben wesentlich einfacher, als wenn ich sie höher werden lasse. „Sehe ich aus wie ein Geist?"
Ich lasse meine Stimme belustigt klingen, auch wenn ich das nicht bin. Nun sieht er überrascht aus. „Wieso sollte Aurea ein Geist sein?" Meine Augen fixieren ihn während meine rechte Hand anfängt mit dem Dolch zuspielen. Wieder sieht er mir in die Augen. „Okay Aurea kannst du nicht sein sie hat blaue Augen."
Man muss ihm Fotos von uns gezeigt haben. Genau wie man uns Fotos von ihnen gezeigt hat. Seine Gedanken kreisen. „Vielleicht bist du ja auch ihre Tochter." Bingo. Viele wären verwundert, wie er es so schnell herausgefunden hat, aber das Problem ist eben das das es kaum Frauen in höheren Positionen gibt. So kann man sie sich merken.
„Wie war nochmal ihr Name?" Rio hat genau ins Schwarze getroffen und das weiß er. „Catherine." Meinen richtigen Namen aus seinem Mund zu hören, lässt mir einen heißkalten Schauer über den Rücken laufen. Das letzte aktuelle Bild von mir ist entstanden da war ich dreizehn. Er wird keine Verbindung zu Shay herstellen können.
Weiterhin spielt meine Hand mit dem Dolch. Dreht ihn immer wieder am Griff in die eine und dann mal wieder in die andere Richtung. Ich bin nervös, aber das brauch er nicht wissen. Genau damit könnte er nämlich gegen mich arbeiten. Denn es würde mich nicht wundern, wenn er gelernt hätte, wie man die Gedanken des Gegenübers zum Durchdrehen bringt. Das lernt man froh und trotzdem kann man kaum etwas dagegen machen, wenn genau das mit einem geschieht.
Mein Blick wandert auf den Boden und richtet sich erst wieder auf Rio, als er scharf die Luft einzieht. Seine Hände ballen sich zu Fäusten und ich kann gerade noch so der Wasserflasche ausweichen, als sie auf mich zufliegt. An der Wand zerspringt sie in tausende kleine Scherben und ich sehe mit großen Augen zu ihm. „Wo ist sie?!"
Erneut schreit er mich an aber dieses Mal fast noch aufgebrachter. Was zur Hölle nochmal meint er? Rio merkt, dass ich keine Ahnung habe, wovon er spricht, weshalb er genauer wird. „Wo ist Shay?" Wie kommt er jetzt darauf. Den Dolch stecke ich wieder an meine Seite, wobei mein Blick kurz auf meine Hand fällt. Der Ring.
Jetzt macht es Sinn. Rio hat den Ring erkannt, deshalb denkt er wir hätten sie auch geschnappt. Vielleicht als Druckmittel. Sofort verstelle ich wieder meine Stimme. „Wer soll Shay sein?" Rio wird noch wütender und reist an den Fesseln. „Shay ist das Mädchen, von dem du den Ring trägst." Ich schüttle leicht den Kopf.
„Solche Ringe gibt es oft auf der Welt. Beruhige dich." Doch er tut nicht, was ich sage, und schreit mir wieder entgegen. „Diesen Ring würde ich überall wieder erkennen. Ich habe ihn extra für sie anfertigen lassen. Er ist ein fucking Unikat." Mit schnellen Schritten komme ich auf ihn zu und fange seine Hand ein, die gerade nach mir greifen will.
Ich habe nie zu spüren bekommen, wie stark er tatsächlich ist, doch es kostet mich extrem viel Kraft mit beiden Händen seinen einen Arm festzuhalten. Allein hätte ich niemals eine Chance gegen ihn. Meine Nägel krallen sich in sein Gelenk so, dass es Spuren hinterlassen muss. Es braucht mehrere Minuten, bis ich seinen Arm runter auf die Lehne des Stuhls drücken und die Fessel wieder fest um sein Handgelenk schließen kann. Wäre der Stuhl nicht am Boden befestigt wäre er schon längst umgefallen.
Da ich keine Ahnung habe, was ich noch tun soll, laufe ich einfach langsam rückwärts zur Tür wobei ich ihn nochmal anschaue. Mein Rücken stößt leicht gegen die Tür und ich öffne sie schnell mit dem Schlüssel, dann husche ich hindurch und verschließe sie wieder von außen. Die Maske reiße ich mir fast schon runter.
Danach sehe ich durch das Glas. So schnell scheint er sich nicht mehr zu beruhigen. Man könnte schon sagen, dass er in diesem Stuhl tobt, und ich kann nichts dagegen tun.
Ich will ihm sagen, dass ich es bin und dass es mir gut geht. Aber das würde in diesem Moment auch nichts mehr bedeuten. Ich wäre für ihn gestorben.
Während ich ihn immer noch lieben würde.
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The Mask "Is that You?"
Teen FictionWichtig!!: Dies ist der zweite Teil von 'The Mask', der zweite Teil hängt mit dem anderen zusammen und muss davor gelesen werden, um die folgende Story zu verstehen. 1. Teil: The Mask "Show me your real Face" 2. Teil: The Mask "Is that You?" Die näc...