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Schwere Schritte kommen auf meine Tür zu. Wütende Schritte. Ich konnte sie schon auf den Treppen und im Flur hören. Hat mir das Angst gemacht? Sollte es, aber es war mir irgendwie egal. Vor meiner Tür verstummen die Schritte. Wer auch immer es ist, hält inne. Natürlich kann ich mir denken, dass es Papá ist.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Tür aufschlägt. Wie ich darauf komme, dass es mein Vater ist? Nun ja, er hat im Moment viele Grüne zum wütend sein. Und dazu kennt man doch mit der Zeit seine Familie so gut, dass man die einzelnen Leute an ihren Schritten erkennt. Bei mir ist das auf jeden Fall so. Irgendwie geht jeder Mensch anders.

Ich sitze auf meinem Bett starre der Tür entgegen. Warte eigentlich nur darauf, dass sie aufschwingt. Mittlerweile zähle ich sogar die Sekunden, wie lang schon stille herrscht. Im Moment bin ich bei siebenundvierzig. Nach weiteren neun Sekunden geht die Tür endlich auf. Wenigstens hatte ich recht. Es ist Papá und er sieht extrem erzürnt aus. Das wird sicherlich ein witziges Gespräch. Als ich ihn einfach nur anstarre, und keine Anstalt mache irgendetwas zu sagen kommt er schließlich rein.

Er hat die Tür geschlossen. Vielleicht soll ja niemand mitbekommen, was wir besprechen oder dass er mich tötet. Beides wäre eine plausible Wendung. Abwartend blicke ich ihm entgegen als er etwas mehr als einen Meter von mir entfernt stehen bleibt. „Ich verstehe zwar nicht wieso, aber Nikola will dich immer noch heiraten. Also hör endlich auf dich wie ein Kleinkind anzustellen. Du musst ihn nicht lieben, aber es ist wichtig für das Kartell. Es ist schon peinlich genug, dass du Santos Sohn..."

Anscheinend weiß er nicht genau wie er den Satz beenden soll. „Liebst?" Helfe ich ihm auf die Sprünge. Sofort weicht jegliche Farbe aus seinem Gesicht. Ganz genau werter Vater. Ich liebe Rio und du kannst rein gar nichts daran ändern. „Ich verbiete es dir." Sein Unterton lässt keine Widerrede zu, doch das ist mir egal. „Was willst du tun?"

Meine Frage klingt extrem gelangweilt. Das bin ich auch. Er kann nichts an meinen Gefühlen ändern und auch nicht an der Tatsache, dass ich Nikola nicht heiraten werde. Nun steht er mit dem Rücken zur Wand. Witzig. Er war es doch der mir immer beigebracht hat, dass man in diesen Momenten am stärksten ist.

Diese Aussage hatte mich nächtelang beschäftigt. Mir kam immer wieder die Frage wie man genau in diesem Moment stark sein kann. Wenn es doch keinen Ausweg gibt. Irgendwann habe ich es verstanden. Denn du kannst alles riskieren und hast nichts mehr zu verlieren. Du kannst alle Ressourcen nutzen, um zu überleben.

„Frag doch Ethan oder Matteo. Für sie findest du sicherlich eine Frau in einem Kartell, mit dem du etwas anfangen kannst." Seine Verwunderung ist ihm deutlich anzusehen. Wahrscheinlich fragt er sich gerade, wie ich es nur wagen kann so mit ihm zu reden. Aber mal ganz ehrlich wieso muss ich denn geopfert werden, wenn er drei Kinder hat.

„Mamá hätte das niemals zugelassen." Spreche ich nun die Worte aus, die meinen Vater zum Nachdenken bringen müssen. Erst jetzt scheint ihm diese Tatsache klar zu werden. Genau, deine Frau hätte niemals ihre Kinder für Macht verkauft. Doch so stur wie er ist wird er das nicht zugeben. Zumal ich genauso bin in dieser Hinsicht.

„Der Deal steht schon. Finde dich damit ab." Zwar war es mir klar, dass ich seine Meinung nicht ändern kann, jedoch hatte ich trotzdem etwas Hoffnung. Das sind seine letzten Worte, bevor er wieder aus meinem Zimmer geht. Mein Blick fällt auf die Uhr. Nicht mehr lang und ich werde runter zu Rio gehen.

Es ist egal ob ich erwischt werde oder nickt. Ich will ihn einfach in Ruhe sehen. Soll Nikola doch alles erzählen. Am besten noch, dass er versucht hat Rio zu töten. Darauf wäre mein Vater sogar stolz. Doch nur so lang bis er erfahren würde, dass dann der ganze Plan nicht mehr funktioniert hätte. Seine Eintrittskarte wäre tot gewesen.

Auch wenn ich eigentlich Décio diese Nacht bei mir haben sollte, hat Ethan ihn. Hoffentlich hat sich der kleine wenigstens an uns beide gewöhnt und macht keinen Aufstand mehr heute Nacht. Leider vergeht die Zeit einfach nicht. Sekunde um Sekunde. Minute um Minute. Und irgendwann habe ich auch die Stunden geschafft.

Nun ist der perfekte Augenblick. Die Sachen, die ich ihm mitbringe, habe ich schon in mein Zimmer geholt. Vielleicht hat er mich heute sowieso schon durch die geöffnete Tür gesehen und gehört. Deshalb gebe ich mir nicht so viel Mühe mich zu verstecken. Ich ziehe lediglich meine Maske auf und nehme das Essen sowie Trinken in meine Hand.

Das nenne ich mal einen schönen Tag. Leise laufe ich nach unten. Öffne die Tür zum Keller und lasse sie hinter mir wieder ins Schloss fallen. Die letzten paar Stufen nach unten lassen mich immer nervös werden, da ich nie weiß, was mich alles hier unten erwarten wird. Als ich noch ein Kind war, dachte ich immer das hier wäre die Hölle.

Zum Teil ist es das ja auch. Die herzzerreißenden Schmerzensschreie an die man sich mit der Zeit gewöhnt. Hier unten sind Menschen gefangen die Qualen erleben. Ich finde Hölle ist tatsächlich eine gute Beschreibung. Und mein Vater ist Satan höchstpersönlich. Erst einmal habe ich miterlebt, wie er einen Menschen gefoltert hat. Sagen wir so die Schreie hat man sogar durch die schallisolierten Wände gehört. Auch Rios Vater wird diese Qualen leiden, das weiß ich jetzt schon. Soll er doch. Sehr gerne sogar. 

Vor Rios Raum bleibe ich wie immer etwas stehen. Er ist wach. Irgendwann wird er schlafen müssen. Vielleicht hat er das sogar schon einmal getan, weil sein Körper einfach nicht mehr konnte. Hier unten gibt es keine Fenster und es ist tatsächlich schrecklich in so einer Situation nicht einmal zu wissen, wie spät es ist. Es bereitet einem Panik.

Ich zwinge meinen Körper sich zu bewegen und öffne langsam die Tür. Wieder liegen seine Augen direkt auf mir. Etwas viel Spannenderes wird ihm hier hoffentlich sowieso nicht passieren. „Du schon wieder." Rios Stimme klingt missbillig, jedoch kann ich ihm das wohl nicht verübeln. Ein kurzes Nicken meiner Seite, dann komme ich auf ihn zu.

Seine Augen mustern mich. Ohne den Umhang ist es leichter zu erkennen, ob ich Schwachstellen habe, die ihm nützlich sein könnten. Wieder löse ich seine rechte Hand aus der Fessel. Dieses Mal trage ich keine Waffe bei mir. Soll er mich doch angreifen. Ohne meine Hilfe wird er nicht weit kommen. Überall sind Wachen verteilt.

„Willst du das ich die Flasche wieder nach dir werfe?" Er meint seine Worte ernst, trotzdem entflieht meiner Kehle ein leises Lachen. Ich halte ihm die Sachen hin. Lasse ihm die Wahl offen, ob er sie annimmt oder doch lieber damit nach mir wirft. Immer noch trage ich den Ring. Als er das sieht, verzieht er angewidert das Gesicht.

Schließlich nimmt er die Sachen an und blickt hoch in meine Augen. „Was habt ihr mit Shay gemacht. Das ist ihr Ring." Ich hatte erwartet, dass er wieder komplett tobt, aber seine Stimme klingt ruhig. Rio wird selbst wissen, dass er damit weiterkommt als so ein Theater zu machen. Doch in seinen Augen wütet ein unfassbarerer Sturm.

Wie auch schon das letzte Mal verstelle ich meine Stimme. „Tatsächlich nichts." Meine Antwort stellt ihn nicht zufrieden, doch er lässt sich nichts anmerken. „Und wie kommst du dann an ihren Ring?" Okay, das ist eine gute Frage. „Sie hat ihn mir gegeben." Er will schon etwas erwidern, als ich ihm das Wort abschneide. „Als ich ihn ein Messer an die Kehle gehalten habe." Lügen konnte ich schon immer gut. „Wieso solltest du das tun?" Auch eine gute Frage, aber ich habe die bessere Antwort.

„Weißt du noch, wie du durchgedreht bist, als du den Ring gesehen hast?" Schweigen. Mehr hatte ich nicht erwartet. „Ich wollte dich verunsichern. Etwas mit deinen Gefühlen spielen." Wieder schweigt er für eine gewisse Zeit. „Du hattest deinen Spaß. Zieh ihn jetzt aus." Tief atme ich durch und spiele ein leises Lachen vor.

„Aber es scheint dich doch immer noch zu stören. Wieso also sollte ich den Spaß hier beenden?" Das wäre dann das Phänomen der umgekehrten Psychologie. Dadurch, dass ich es frei vor ihm angesprochen habe, wird es ihn nicht mehr so sehr stören.

Jetzt ist der Ring tatsächlich nur noch ein Ring.

The Mask "Is that You?"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt