Das Essen

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"Was war denn das?" - Ich flüstere es fragend und zweifelnd zu mir selbst, atme ganz tief durch, und lasse mich, mit einem Stoßzeufzer, den Rücken an die Tür gelehnt langsam hinabsinken. Ich hocke an der Tür meines Hotelzimmers und schüttele meinen Kopf: "Krass." Ich flüsterte noch immer mit mir selbst, fast geheimnisvoll, mich versteckend hinter der Tür. Wenn er noch auf dem Flur sein sollte, hätte er höchstens mein Hinabsinken an der Tür gehört. Was für eine besondere Situation.

Ich bleibe an der Tür hocken und der gesamte Abend geht mir durch den Kopf. Mir ist warm und zugleich bemerke ich eine Gänsehaut an meinen Armen, ich bin durch den Wein etwas benebelt, gleichzeitig sind meine Sinne ganz geschärft. Ich habe gut gegessen, sehr gut sogar, gleichzeitig ist mein Magen flau. Ich bin hellwach und gleichzeitig nicht in der Lage, wieder aufzustehen. Was für Gefühle. Mir wird klar, dass ich so viele dieser Gefühle seit längerer Zeit nicht mehr gefühlt habe. So viele Emotionen, Gedanken, Eindrücke, Fragen. So viel innere Fröhlichkeit gepaart mit tiefer Unsicherheit - unglaublich, was da gerade alles durch mich hindurch strömt. "What the fuck war das denn?", frage ich mich noch einmal in mich selbst und muss lachen. Lachen. Was ist das. Wo war mein Lachen in der letzten Zeit. Und jetzt einfach so?! Ich kann nicht aufhören und kichere leise in mich hinein - noch immer vorsichtig, sollte er noch auf dem Flur sein. Warum auch immer er das tun sollte, ich bin ja völlig verrückt . Zu meinem Kichern schüttele ich mich durch. "Unglaublich". Ich bin ja verrückt. Ich bin glücklich. Tatsächlich.

Ich stehe auf, gehe zu meinem Bett und lasse mich darauf fallen. Herrlich. Was für ein Abend. Und in mein Glück kommt meine Unsicherheit: "Was er wohl über mich denkt?" Ich denke darüber nach, wie und was eigentlich an diesem Abend passiert ist. Wie ich wohl auf ihn gewirkt habe? Was er jetzt über mich denken könnte? War ich zu still? Was habe ich eigentlich gesagt? In diesem Moment schaue ich auf mich herab: Was habe ich eigentlich eigentlich an gehabt?

Ich setze mich auf mein Bett. Ich muss nachdenken. Ich muss mich unbedingt versuchen zu erinnern, was heute Abend passiert ist. Und wieder lasse ich mich aufs Bett fallen: "Oh Mann Susan, reiß Dich zusammen. Konzentrier Dich!" Ich versuche mich zusammen zu nehmen. "Ruhig bleiben. Konzentrieren. Denk nach, Susan."

Ich atme durch.

Es hatte damit angefangen, dass er mich auf dem Gang fast umgerannt hatte. Ich muss lächeln. Was ein Zufall. Und wie er mich angeschaut hatte. So durchdringend. So eindeutig. Sehr klar. Der Blick war extrem einschüchternd und zugleich warm - faszinierend. Ich fühlte mich direkt erinnert an ihn, den ich hier vergessen wollte. Und doch brachte ich seinen Blick mit ihm in Verbindung und es bedeutete einerseits eine sofortige Reaktion in mir, gleichzeitig war ich völlig verunsichert: Konnte das sein?

Und dann sprach er mich auch noch an und wollte mit mir zu Abend essen - völlige Überforderung. Ich denke an den Moment, in dem er fragte. Was hatte ich geantwortet? Ich kann mich nicht erinnern aber zumindest war klar: Wir würden gemeinsam essen gehen. Völlig unglaublich eigentlich.

Als er dann wieder zu mir kam, war er umgezogen und wieder dieser Blick. Was für ein Mann. Ich versuchte ihn kurz länger anzuschauen, was aber schwer war. Er nahm meinen Blick immer sofort auf und lenkte mich damit in seine Augen. Eine imaginäre Anziehung ließ mich nicht los und ich konnte nur seitlich abtauchen, wieder weg schauen, mich von dieser Anziehung lösen, um ihr nicht zu verfallen. Es war absurd - er war sicher um die 50, was sollte er mit mir? Wobei ich ja genau diese Erfahrung in den letzten Jahren gehabt hatte...

Ich war seit vielen Jahren so klar geführt worden von einem Mann, im Alter meiner Abendessen-Bekanntschaft. Er war lange Zeit schon Teil meines Lebens gewesen. Er hatte mich früh bereits begleitet, er hatte mich beschützt, sich um mich gekümmert, als ich diese Hilfe und diesen Schutz so sehr brauchte. Er war schon ganz früh wie ein Beschützer für mich, mein Begleiter, er war mein Held, als ich dies als Mädchen und auch noch als Jugendliche noch nicht in eine andere Rolle hätte bringen können. Diese Nähe war natürlich. Sie war richtig. Und sie war wichtig, absolut wichtig für mich in einer schwierigen Jugendzeit. Er war immer für mich da.

Und dann, ohne es als Zeitpunkt wahrzunehmen, wandelte es sich in mir. Mein Held, mein Beschützer, meine Hilfe in schwierigen Situationen, wurde in mir plötzlich ein Mann. Es wandelte sich etwas. Ich selbst wurde einfach reifer, meine Gedanken veränderten sich. Ich veränderte mich. Aus mir als Mädchen, wurde ich wohl langsam zur Jugendlichen mit Gefühlen, sexuellen Gedanken, ich wurde erwachsener. Weiblicher. Und mein Blick auf ihn wurde anders. Und ohne, dass ich es direkt bemerkt hatte, ohne dass es diesen einen Moment hab, veränderte es sich. Es wurde mehr in mir. Zuneigung. Liebe. Lust - wohin auch immer dies führen würde.

Und so wurde es anders mit uns. Aber noch ohne Konsequenz. Lange nicht. Fast war es, als sei er lange sehr tapfer. Aber er war klar. Und dann, an einem Tag, da war es soweit, da ließ er mich nach einer üblichen Umarmung plötzlich nicht mehr los. Und es begann...

Ich schüttele mich. Wie ich ins Bad gekommen bin, weiß ich gerade nicht - aber das kalte Wasser, dass ich mir uns Gesicht spritzen, lässt mich aus der Erinnerung heraus. Puh. Ich bin wieder hier. Und ich sehe wieder die klaren Blicke meines Zimmernachbarn vor Augen. Was ein Blick.

War das eben mehr als nur ein Abendessen? Hat er mich mit seinen Blicken gescannt? Ich hatte mehrmals den Eindruck. Und ich dumme Nuss hatte ein einfaches Top an und meine alte alte kurze Jeans - wie absurd. Hätte ich es vorher gewusst, irgendwie hätte ich mich doch anders zurecht gemacht. Wie auch immer. Ich hab ja gar nicht viel dabei. Ehrlich gesagt ist mein Koffer mit nichts gefüllt, was ich hätte besonderes anziehen sollen. Warum auch - ich war hier um mich wieder zu finden. Und nicht einen neuen Mann. Aber...

Ja er hat mich angesehen. Ich bin sicher. Ich frage mich, ob ich ihm gefallen haben könnte. Als Frau. Meine eher kleinen Brüste haben ihn sicher nicht vom Hocker gerissen. Ich muss lächeln. Ich mag sie, ich mag es, wie fest sie sind, wie weich meine Haut und wie fest die Form. Aber für einen Mann, der vielleicht eher große Brüste mag... Es hilft nichts. Ich kann es jetzt nicht herausfinden. Findet er mich hübsch? Oh Mann. Was ich alles denke. Schluss damit.

Ich schaue durch die Tür auf den Balkon. Die Trennwand ist geschlossen. Ich könnte jetzt einfach auf den Balkon gehen und schauen, ob ich von drüben etwas höre? Nein. Das kann ich nicht bringen. Wenn er da plötzlich auch wäre, was sollte ich sagen? Also nein. Ich muss mich mal wieder finden. Wie kann er mich so verunsichern? Nein. Aus. Gedanken ausschalten. Ich bin ja verrückt.

Ich beschließe ins Bett zu gehen. Genug für heute erlebt. Morgen muss er nochmal zu seinem Kunden. Da wird es ohnehin Abend sein , bis er wieder da ist. Bis dahin hab ich genug Zeit nachzudenken und wieder runter zu kommen. Er tätowiert. Krass. Ich habe immer überlegt, mir ein ganz ganz kleines Tattoo stechen zu lassen. Irgendwo nur für mich. Aber mir fehlt der Mut. Aber wenn er...

"Schluss, Susan." Ich schlüpfe aus meinen Klamotten und putze meine Zähne. Ich schaue mich im Spiegel an und sehe meine nackte Haut. Ich gefalle mir. Ich habe gelernt, dass ich hübsch bin, auch wenn ich keine langen Beine und keine großen Brüste habe. Und ich hatte es immer in mir genossen, wenn sie es sagten, dass ich hübsch sei, wie ich ihnen gefallen, wie süß ich sei, - alles das, wenn sie mich nackt sahen, wenn sie mich mit den Blicken berührten, anfassten, wenn sie mich betrachteten, während ich mit verbundenen Augen auf sie gewartet hatte.

Ich denke an diese Situationen mit den Männern. Es waren viele dieser Situationen , die mich geprägt haben. Aus denen ich viel gelernt habe. In denen ich viel lernen konnte. Und nun liege ich nackt im Bett und fühle mich. Ich fühle meine weiche Haut. Ich gleite mit meiner Hand über meine Hüfte, meine andere Hand liegt auf meiner Brust und ich spüre meinen Atem. Ich spüre meine weiche Haut. Ich nehme meine Nippel zwischen meine Finger, lasse sie hindurch gleiten. Und meine ander Hand findet meine Lippchen, so warm, so weich, glatt - und nass. Ich bin erregt. Endlich wieder. Und ich sehe seinen Blick, wie er mich auf dem Gang angeschaut hatte, ich sehe ihn, während mein Finger in mich gleitet.


Unter der Sonne Italiens - Ein ExperimentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt