Amelies Lider waren schwer wie Blei, aber sie wollte und konnte einfach nicht den zweiten Flug ihres Lebens verpassen. Jetzt, da ihre Mutter bei ihr war und sie in einer Sänfte flogen, statt im halsbrecherischen Abenteuer-Modus, konnte sie viel mehr von der magischen Welt unter ihr bestaunen als zuvor. Sie flogen tief unter den Wolken, aber für Amelie war es schwindelerregend hoch.
Tausendwasser war wirklich der richtige Name für das, was sie sah. Die Stadt erstreckte sich rund um einen gewaltigen See und seine Oberfläche glitzerte in der Morgensonne wie ein verwunschener Spiegel.
Wasserfälle, so viele, dass Amelie bald den Versuch aufgab, sie zu zählen, stürzten sich von allen Seiten hinab und trennten die winzigen, kunterbunten Bauten, die rund um den See in den terrassenartigen Hängen und Felsen verteilt waren.
Auf dem Rücken eines Drachens sah die Welt da unten aus wie ein winziges Legospiel, das cooler war als alles, was Amelie je hätte bauen können. Überall spannten sich kleine, schimmernde Brücken über die Wasserfälle, aber dort ,wo sie fehlten, flogen die Gestalten von Drachen über die tobenden Wassermassen.
In der Richtung, in die sie flogen, schloss sich die riesige Gebirgswand und Amelie erkannte aufgeregt viele eierförmige Gebilde, die sich an das Felsgestein schmiegten und aus den umgebenden Wasserfällen hinausragten. Ihre Kristall-Oberfläche reflektierte schon von weitem das Sonnenlicht und brach es in strahlend bunte Regenbogenfarben, die ihnen entgegenfunkelten. Die Gebilde hingen hoch über dem See und am Fuß der Bergwand erstreckten sich ein ganzes Dorf auf Stelzen in das kleine Meer hinein. Dort, wo See und Berg sich trafen, glänzte ein Kolosseum, wie es Amelie von den Bildern des alten Roms kannte. Nur war dieses hier anscheinend aus purem Gold. Aufgeregt deutete sie darauf und ihre Mutter lächelte. „Das ist dein neues Zuhause. Dort wohnt ihr Schüler." Amelie schüttelte nur ungläubig den Kopf.
Je näher sie kamen, desto mehr Drachen mit ihren Reitern kamen ihnen entgegen. Manche flogen viel tiefer und Amelie konnte die vielen unterschiedlichen Kleider, Sättel und Muster auf den Rücken der Drachen bewundern. Manche kamen ihnen auf Augenhöhe entgegen und ihre Mutter wurde von allen Reitern respektvoll gegrüßt. Manche der Drachen waren riesig und schwer beladen mit Gepäck, andere waren gerade so groß, dass ein Mensch zwischen ihre Schultern passte.
Jedes Mal, wenn eines der riesenhaften Flügeltiere sich näherte, hielt Amelie den Atem an und duckte sich ein wenig hinter ihre Mutter. Sie waren so unterschiedlich, dass die einzige Gemeinsamkeit, die Amelie ausmachen konnte, die Tatsache war, dass sie fliegen konnten. Der Luftstrom um sie herum veränderte sich schon Minuten bevor ein Drache an ihnen vorbeiflog.
Als der elfenbeinfarbene Waran ihrer Mutter seine Schwingen ausbreitete und zum Landen ansetzte, schwindelte Amelie vor lauter Eindrücken. Sie versuchte gerade zu begreifen, dass sie unter einem walförmigen Riesendrachen hindurchgetaucht waren, an dessen Bauch eine Kabine wie bei einem Zeppelin befestigt war. Dutzende Kinderhände hatten Amelie gewunken und verdutzt hatte sie zurück gewunken.
Seine Flügel waren so astronomisch gewesen, dass es für einen kurze Zeit stockfinster war, während sie unter seinen Flügeln hindurchgeflogen waren.Der absinkende Drachenkörper unter ihr brachte sie zurück ins Hier und Jetzt. Ihr Herz rutschte in ihren Bauch wie jedes Mal, wenn Amelie in einem Fahrstuhl nach unten fuhr, und sie versuchte, sich nicht zu übergeben. Sobald der Drache zum Stillstand kam und seine Flügel sich zusammenfalteten, drehte sich ihre Mutter um und erkannte schnell die Ursache, der würgenden Geräusche hinter sich. Sie packte ihre Tochter unter den Achseln und sprang mit einem einzigen Satz durch die Luft.
Dass ihre Mutter sie wie eine Heuschrecke durch die Luft katapultierte, half ihrem Magen nicht. Keine Sekunde, nachdem sie festen Boden unter ihren Füßen spürte, erbrach sie sich auf den glitzernden Pflasterstein.
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Wo Drachen sich verstecken | Die Schule der Drachenkünste | BAND 1
FantasyAmelie ist 11 Jahre alt und ihre Welt besteht aus Hausaufgaben, Straßenhunde streicheln und eine vorbildliche Tochter zu sein. Ihr Talent besteht darin, nicht aufzufallen und sich klein zu machen. Doch als sie eines Tages eine Grenze überschreitet...