Fehler, die man nicht ungeschehen machen kann

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Der Morgen schickte das Leuchten der Sonnenkatze auf ihre weite Reise über Baumwipfel und dunstverhangenes Moor. Im Schatten eines abgestorbenen Baums, der wie eine Klaue in den Himmel ragte, bewegte sich eine junge, schwarze Kätzin. Den kleinen Körper auf ein dünnes, rauhreifbedecktes Moospolster gebettet, lag sie mit offenen Augen da, den Kopf auf die Pfoten gelegt, den orangegoldenen Blick auf den dunklen Bau gegenüber auf einer Grasinsel gerichtet.

Kein Laut zerschnitt die Stille, als sie sich geschmeidig erhob und die Entfernung einschätzte. Niemand sah ihr Wanken, als sie sprang und federnd auf dem vereistem Gras landete, ungeschickt über die geschonte Pfote stolpernd, die sie kaum wahrnahm.

Noch leicht benommen unter den Nachwirkungen ihres Traumes tappte sie zum Eingang der Höhle, die sich Kamillenwind und Spinnenpfote im Stamm eines gewaltigen, verbrannten Baumes eingerichtet hatten. Unter ihren Pfoten zerbrachen die Eiskristalle in winzige, glitzernde Splitter.

Schwarzpfote erinnerte sich an Kamillenwind, wie sie ihn gestern Abend getroffen hatte, und fauchte leise.

Von wegen Traum. Das war pure Realität gewesen, verdammt! Der pummelige, hell-orangene Kater gab nicht viel auf das Geschwätz unerfahrener Jungkatzen, wie er es nannte. Nur ausgerechnet gestern hatte er Mandelpfote geglaubt! Wenn die karamellbraune Kätzin nicht gewesen wäre, müsste sie jetzt nicht hierstehen...

Sie seufzte. Es war vorbei, aber zu spät für Reue?

Mandelpfote kann ja wirklich nichts dafür, sie hatte nur erzählt, was sie gesehen hatte!, schalt sie sich. Die ältere Schülerin machte noch einen Schritt auf den Bau zu, dann hielt sie wieder inne.

Und wenn er gar nicht da ist? Wenn Kamillenwind ihn schon auf Kräuterjagd geschickt hat? Seit er da ist, steht der ja gar nicht mehr so früh auf wie sonst, sondern lässt ihn alles für sich machen... Gerade wollte sie, beinahe erleichtert, einen Rückzieher machen, als sich in der Dunkelheit etwas regte. Noch einen Moment verharrte Schwarzpfote, dann trat sie ein. 

Umkehr kam jetzt nicht mehr infrage, jemand musste sie gesehen haben. Ihr Nackenfell kribbelte unangenehm, aber sie wagte nicht, einen Blick hinter sich zu werfen - sei es Feigheit oder Angst, sie war noch nicht bereit, in Wolkensterns Augen zu blicken, mochte kommen, was wolle.

Alle Katzen waren überrascht, wütend oder entsetzt gewesen, aber der fassungslose Blick ihres Vaters hatte ihr den Rest gegeben. Sterne, hatte er so etwas denn noch nie gehört? Das konnte doch nicht das erste Mal gewesen sein! Nein, niemals. In der Geschichte des WeidenClans musste es mehr von solchen Fehlern geben.

Eine kalte Windböe riss sie fast von den Pfoten, sie stolperte und taumelte gegen einen Katzenkörper, der fest zusammengerollt neben dem Eingang lag und den Geräuschen nach geschlafen hatte - mit Betonung auf hatte! - bis sie in seinen Bau getappt war wie ein dummes Kätzchen, dass es nicht schaffte, eine Pfote vor die andere zu setzen.

"Was machst du hier?", murmelte der schwarzweiße Kater schlaftrunken. Müde hob er den Kopf, blinzelte und riss dann überrascht die Augen auf. 

"Schwarzpfote?"

Schwarzpfote zischte. "Leise! Wenn Kamillenwind uns hört, bin ich geliefert!"

"Ach ja?" Spinnenpfote erhob sich. Seine Augen blitzten, und Schwarzpfotes Fell sträubte sich, als sie darin Abscheu erkannte. Und Hass.

Samtpfotige Schritte ertönten im hinteren Teil des Baus, der durch einen Flechtenvorhang vom Eingang und  Spinnenpfotes Schlafplatz trennte. Spinnenpfotes Ohren zuckten, und er hob die Stimme.

"Oh, mein Fehler. Natürlich verrate ich unserem ehemaligen Mentor nicht, dass du kommst, um ihn dazu zu zwingen, wieder im Clan aufgenommen zu werden!", tönte er hämisch.

"Nicht!", zischte Schwarzpfote verzweifelt. Mit angelegten Ohren wich sie zurück. "Ich will doch nicht...ich wollte mit ihm reden, mehr nicht!"

"Tut mir leid." Spinnenpfote versperrte ihr den Weg, und für einen Moment sah sie mehr in seinen Augen. Kummer, Mitleid und Angst. Er hatte Angst vor ihr! Diese Erkenntnis durchzuckte Schwarzpfote wie ein Blitz. Betroffen hielt sie inne.

"Spinnenpfote...Bitte! Ich wollte das nicht! Bitte, glaube mir!", flehte sie. "Ich wollte doch nicht dort sein! Ich konnte ja nicht wissen...dass es der SternenClan so ernst nehmen würde..."

"Dein Pech." Kamillenwind war durch den Flechtenvorhang getreten und sah auf sie hinab. 

"Was du immer mit meinem Schüler gemacht hast - Ihm sei ihm verziehen. Aber du wusstest, was du getan hast! Immer müsst ihr Jungkatzen mit allen vier Pfoten in Dinge hineingeraten, die nicht für euch bestimmt sind!", regte er sich auf. "Manche Fehler kann man nicht mehr ungeschehen machen, egal, wie du dich auch bemühst."

"Ich...Ich bin auch nur eine Schülerin, genau wie er!", wagte Schwarzpfote einzuwenden.

Kamillenwind schüttelte nur abweisend den Kopf. "Das Herz ist so ein empfindliches kleines Ding", sprach der Heiler voller Hohn, "es geht schnell zu Bruch, schneller, als du jämmerliche Schülerin glaubst."

Tief verletzt zuckte Schwarzpfote zurück, Spinnenpfote hingegen richtete sich auf, seine schönen, sturmgrauen Augen blitzten voller Wut.

"Schwarzpfote, auf dein Verhalten steht Todesstrafe!", fauchte er. "Du warst beim Mondfelsen und hast Träume mit den Sternen geteilt, die nicht dein sind! Wolkenstern hätte dich töten sollen."

Erschrocken fuhr Schwarzpfote zusammen, als der Heilerschüler die Krallen in den Boden grub. Gleich darauf riss er eine Pfote nach oben und fuhr mit den scharfen Krallen über ihre Wange. Alles in Schwarzpfotes Sicht schien verlangsamt zu werden, sie taumelte überrascht zurück, als ein brennender Schmerz in ihrem Gesicht aufglühte - wie Glut in Asche, wenn frischer Wind sie auflodern lässt.

Blut rann aus drei parallelen Kratzern, dunkel auf ihrem schwarzen Fell, aber Schwarzpfote spürte keine Wut auf Spinnenpfote, Kamillenwind oder sonst jemanden. Es war ihr Fehler, ihre Schuld.

Sie wandte den Blick ab und lief aus der Höhle, den Blick fest vor sich gerichtet. Draußen rang sie nach Luft, irgend etwas schien ihr den Atem zu nehmen. Feurige Schmerzen zogen sich über ihre Flanken, aber Schwarzpfote wusste, dass sie nicht verletzt war. Nicht äußerlich.

Sie sprang über das Moor und rannte den Abhang hinauf zum Wald. Hechelnd drehte sie sich widerstrebend um, sah nach unten auf das Moor zurück, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte. Spinnenpfote, Kamillenwind und Wolkenstern waren nicht zu sehen, auch niemand anderes.

Todesstrafe, hallte es in ihrem Kopf. Er hätte dich töten sollen. Blut tropfte von ihrer Wange auf den Boden, trübte den klaren Rauhreif unter ihren Pfoten.

Schwarzpfote wandte sich um und ging.

Geister der Vergangenheit - Schwarz und WeißWhere stories live. Discover now