Prolog

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Ein grauschwarzer Kater schritt geduckt durch den hohen Schnee. Unaufhörlich fielen weitere Flocken herab, um wie weiße Punkte in seinem Fell hängen zu bleiben. Längst hatte er aufgegeben, ihn zu entfernen, und so bildete sich langsam aber sicher eine Decke auf seinem Rücken, sodass er mit den hohen Schneewehen verschmolz, die ihn umgaben.

Er folgte einem ausgetretenem Pfad, von dem natürlich nichts mehr zu sehen war, durch das Moor. Der Schnee war so hoch, dass niemand ihn betreten hatte. Kalt glitzerte er und zerstob in feines Pulver, in dem der große Kater bis zum Bauchfell einsank. 

"Papa, wie weit ist es noch?" jammerte eines der beiden Kätzchen, die er vorsichtig vor sich herschob. Es hatte pechschwarzes Fell und große, blaue Augen, so jung war es noch. 

"Es ist nicht mehr weit." versprach der Kater und leckte tröstend über den Kopf der kleinen Kätzin, um den Schnee zu entfernen. Das zweite Junge fiel ein bisschen zurück; es war in einer hohen Schneewehe stecken geblieben. Wäre es ganz nach seiner Mutter gekommen, dann hätte der Vater es nie wiedergefunden, aber es hatte zum Glück nur weißes Rückenfell und war ansonsten rauchschwarz wie seine Schwester. 

Der Kater ging einige Schritte zurück und zog das kläglich maunzende Junge aus dem Schnee, um es neben seine Schwester zu setzen. Das flauschige Jungtierfell der beiden zog den Schnee wie magisch an, schützte aber leider nicht so gut gegen die Kälte. 

"Papa, warum ist Mama nicht hier?" wimmerte der kleine Kater. Sein Vater kauerte sich neben ihm und legte tröstend den buschigen Schweif um seine beiden Jungen, alles, was ihm geblieben war.

"Mama ist da oben." erklärte er mit bemüht hoffnungsvoller Stimme und wies mit der Nase gen Himmel, wo die Sterne sich zu tausenden zwischen den Schneewolken versammelt hatten, um ihnen zuzusehen. "Genau wie Graujunges." 

"Aber warum ist Graujunges nicht bei uns?" fragte die schwarze Kätzin nach ihrem Bruder. "Wir haben die Krankheit doch auch überlebt!" Sie sah  nachdenklich zurück zu der verfallenen Ruine, ein ehemaliges Zweibeinerhaus, in der sie bis zuletzt in Quarantäne ausgeharrt hatten. Die dunkle Silhouette hob sich nun, schneebedeckt, kaum noch von dem Horizon ab. 

"Genau, Papa!" Mit neuem Mut hob der schwarzweiße Bruder der Kätzin den Kopf. "Warum sind die anderen nicht bei uns? Warum haben sie uns zurückgelassen, und wo sind sie hingegangen?"

Der Kater seufzte und erhob sich wieder. Schmerzhaft drang die Kälte durch seinen Körper und verbiss sich in seinen Knochen. Er stupste die beiden Jungen an und leckte ihnen wärmend über das Fell. "Sie sind zu den Sternen gegangen, Kleiner. Sie sind jetzt bei Mama, Graujunges und Moorfeder." Die alte Heilerin war wie viele andere von der Krankheit dahingerafft worden. 

"Und wir? Wohin gehen wir? Etwa zu ihnen?" Das schwarze Junge sprang aufgeregt neben ihrem Vater her, wechselte aufmunternde Blicke mit ihrem erschöpften Bruder, der auf der anderen Seite tapste.

"Nein, Kleine. Wir gehen zum Clan." Der Kater richtete sich auf. "Er hat viele verloren, er kann nicht auch noch uns verlieren. Gebt nicht auf!" Er musterte die Schneedecke scharrf, dann witterte er. "Jetzt hier entlang. Wir müssen zum Fluss."

"Was ist denn ein Fluss?" fragte sein Sohn neugierig, wurde aber sofort von seiner Schwester angerempelt und in eine tiefere Schneewehe geschubst. 

"Das ist das, wo wir drübergelaufen sind, um hierherzukommen. Erinnerst du dich nicht, Mäusehirn?" quietschte die schwarze Kätzin und schaute dann unschuldig, als ihr Vater ihr einen genervten Blick zuwarf und dann ihren Bruder aus dem Schnee befreite. 

Der fauchte sie gut gelaunt an, dann hopsten sie lachend und herumtollend voran, erwärmt von der Bewegung, und tänzelten über die vereiste Schneedecke, die ihr Gewicht stumm trug. Sie wirbelten glitzernden, frischen Schnee auf und hinterließen ihre Pfotenabdrücke, die beinahe sofort wieder eingeschneit wurden.

Geister der Vergangenheit - Schwarz und WeißWhere stories live. Discover now