III

31 8 23
                                    

Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen durch die kleinen Spalten im Beton und ließ die Blätter golden leuchten.
Das Wasser des Teichs kräuselte sich leicht und reflektierte das Licht wie ein Diamant.

Yunas Finger wurden von dem kühlen Nass umspielt und beruhigten ihr Gemüt.

Mit einer fließenden Bewegung ließ sie tausende winzige Tropfen auf die Pflanzen rieseln und als die Strahlen auf sie trafen, entstand ein schillernder Regenbogen.

Ein Lächeln zierte Yunas schmale Lippen und sie landete glückselig im Gras.
Mit geschlossenen Augen lauschte sie dem Säuseln des Windes, dem Rascheln der Blätter und dem Gluckern des Wassers.

Nach einiger Zeit vernahm die junge Frau eine zarte Melodie. Sanft und fließend zog sie sich durch den Garten.
Die Melodie war ihr nicht unbekannt. Nachts besuchte diese Yuna und strömte unablässig wie ein Bach zu ihr. Ein Ruf der Ferne, der sie vom offenen Ozean träumen ließ, von sanften Wellen, die ans Ufer gespült werden.

Seufzend stand die Brünette auf. Mittlerweile war es dunkel geworden und sie tapste vorsichtig zum Ausgang.
„Gute Nacht", flüsterte sie der kleinen Oase zu, bevor sie den Schrank gewissenhaft verriegelte.

Tastend fand sie die Schlafzimmertür und betrat das schwach erleuchtete Zimmer.
Eine kleine Kerze spendete genug, um die Umrisse Großmamas auf dem schmalen Doppelbett auszumachen.

Mitten in der Bewegung hielt Yuna inne. Es war still. Zu still.
Normalerweise spürte sie den Strom des Traumes, doch heute hörte sie nur ihren Herzschlag in ihrer Brust.

„Großmama?"

Sie stolperte auf dem Weg zu ihr und landete auf den Knien.

„Großmama, schläfst du schon?"

Laut hallte ihre eigene Atmung durch das düstere Zimmer. Die Kerze flackerte.
Yunas Hände bebten. Sie legte ihren Kopf auf Großmamas Brust.

Sie stockte den Atem und lauschte.

Doch nur das Rauschen von Yunas Blut war zu hören.
Sonst regte sich nichts.

„Großmama", hauchte sie in die Stille.

Bevor es in ihren Verstand sickern konnte, rann eine Träne über ihre Wange.

Dann brachen die Gefühle wie ein Tsunami über ihr zusammen.

„Nein. Nein! Verdammt, du kannst mich nicht verlassen!" Verzweifelt schrie sie auf, krallte sich in die dünne Decke.

Eine eisige Hand legte sich um ihr Herz und zerquetschte es.

Wasser benetzte ihre Wangen, die unaufhörlich flossen.
Laute Schluchzer bannten sich aus ihrem Mund hervor und erschütterten ihren Körper.
Die Kerze erlosch.

Zurück blieb die einsame Finsternis, die Yuna zu verschlingen drohte.
Mit aller Kraft hielt sie sich an dem steifen Körper ihrer Großmutter fest.
Sie vergrub ihr Gesicht in den Lacken, die bereits nass waren.

Erinnerungen keimten auf, engten sie ein.
Die beiden lachend im Garten.
Großmama, die Geschichten von früher erzählte.

Yuna brüllte. Ihr Herz begann zu bröckeln. Der Schmerz jagte wie tausend Schüsse durch ihr Herz, nahmen ihren ganzen Verstand ein.

Das salzige Wasser lief in ihren Mund.
Sie musste würgen.

Die junge Frau konnte nicht mehr.
Sie konnte diesen Schmerz nicht ertragen.
Sie konnte nicht ohne Großmama leben.

Sie wollte eins mit der Dunkelheit werden, sodass sie niemand mehr erblicken konnte.
Ein Strudel tat sich unter ihr auf.
Die Zeit verschwamm im ewigen Nichts.
Niemand konnte sie aufhalten, sich fallen zu lassen.

„My Lady?" Die dumpfe Frage erreichte ihre Ohren.

„Bist du hier?" Schritte auf dem Boden, die sich näherten.

„Yuna?"
Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, holte sie zurück in die Gegenwart.

Langsam hob sie ihren Kopf und fand mit verschleiertem Blick Ravi im Türrahmen stehen.

Doch seine Augen fanden sie nicht.

Und als ihr Blick nach unten wanderte, stellte sie fest, dass sie tatsächlich eins mit der Dunkelheit geworden ist.
Wie klares Wasser, durch das man blicken kann, war ihr Körper nicht auszumachen.

Sie verspürte jedoch keinen Schock.
Sie fühlte sich taub.
Nur der Schmerz in ihrer Brust dominierte.

Wankend stand Yuna auf. Ein Wimmern kam über ihre Lippen, bevor sie sich an seiner Brust stützte.
Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an Ravi, der verwirrt erstarrte.
Neue Tränen rannen über ihre Wangen und hinterließen dunkle Flecken auf seinem einfachen Shirt.

Langsam, wie Aquarellfarben sich im Wasser ausbreiten, wurde die Trauernde sichtbar.

„Sie ist tot", schluchzte sie in den Stoff.

Diese Worte waren wie Pfeilspitzen in ihrem Herzen, doch sie lösten die Fesseln.

Vorsichtig legten sich Ravis Hände um Yuna.
Wortlos hielt er sie fest, schützte sie vor dem Untergang.

Ein Bild waberte zu ihr.
Es war ein Junge, der weinend vor dem Bett einer leichenblassen jungen Frau stand. Das um ihren Kopf gefächerte Haar hatte dieselbe Farbe wie Ravis.

Mein Beitrag zum Ideenzauber 2024Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt