Yuna fand sich auf dem eisigen Boden wieder.
Fröstelnd umschlang sie sich mit ihren Armen und wog sich vor und zurück.Sie war sich nicht sicher, ob die letzte Nacht der Realität entsprach.
Doch die Tatsachen, dass es unheimlich still in der kleinen Hütte war und ihre Augen geschwollen waren, belehrten sie eines Besseren.Sie legte ihre kalten Finger auf ihre Lieder und atmete tief durch.
Es tat nichts zur Sache, ob der Rotschopf da gewesen war oder nicht.
Sie wusste nur, dass sie so lange geweint hatte, bis keine Tränen mehr übrig gewesen waren.Mit hängenden Schultern richtete sie sich auf.
Ohne zurückzuschauen, trat sie heraus.Frostige Luft schlug ihr entgegen, doch sie war bereits taub.
Schwankend ging sie den vertrauten Weg.
Doch heute waren die Schatten dunkler.
Milchige Nebelschwaden waberten durch die Gassen.
Alle Jalousien waren fest verriegelt.Der Nebel griff mit seinen eisigen Krallen nach ihrem Herzen, doch er konnte ihr nichts mehr stellen.
Yuna nahm keine Menschenseele um sich wahr, bis sie vor dem Aufseher stand.
Ihr Kopf war zu schwer, um ihn zu heben und ihre Arme waren bloß Eisklumpen.„Hey, jetzt leg deine Hand auf den Sensor, du dreckiges Weibsbild." Die grobe Stimme strich an ihr vorüber.
Mit schwacher Stimme sprach sie zu dem kleinen Stein vor ihren Füßen. „Ich melde den Tod von Mavie Petalia an."
Ein missbilligender Laut erreichte ihre Ohren.
„Eine von den Alten weniger."Kraftlos ballte sie ihre Hand zur Faust, doch ließ sie dann wieder leblos hängen.
„Jetzt musst du ihren Platz einnehmen, damit das klar ist", grunzte der Aufseher.
„Ja." Mehr brachte sie nicht zustande, bevor ihre Stimme brach.
Eine Welle rollte heran und baute hinter Yunas Augen Druck auf.
Mit aller verbliebener Kraft kämpfte sie gegen die Tränen.
Die restliche Prozedur erreichte ihren Verstand nicht mehr.Die Tür zum Arbeiterplatz war nur schwer zu öffnen.
Der Weg zur Näherei unendlich.
Doch irgendwann hatte sie es geschafft.
Saß auf dem kleinen Stuhl und führte die Nadel mechanisch durch den Stoff.
Unzählige Male stach sie sich in ihre Finger, bis diese ganz wund waren.
Aber sie verspürte keinen Schmerz.
Die Zeit wurde zu einer zähen Masse, die mit dem ewigen Nichts verschwamm.Sie ließ die Nadel sinken.
Warum tue ich das alles noch? Was hat es für einen Zweck? Es gibt sowieso niemanden mehr, für den sich das Leben lohnt.
Die junge Frau starrte auf den Stapel vor ihr, der noch zu vernähen war.„Weiter machen!", brüllte es hinter ihr.
Doch sie regte sich nicht.
Sie konnte nicht.
Ihre Hände waren nur noch Klumpen.
Ihr Herz vereist.„Du Miststück!"
Grob wurde sie gepackt und hochgerissen.
Der Griff um ihre Handgelenke war so fest, dass alle Farbe ihre Hände verließ.
Ihre Füße baumelten über dem Boden und sie blickte ihm direkt in sein wutverzerrtes Gesicht.In ihr regten sich nun doch Schmerz und Angst.
Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie ihn an, ihre Schultern brannten und es lief ihr eiskalt den Rücken runter.„Bitte, lassen Sie mich runter", wimmerte sie.
„Mach deine Arbeit! Gefälligst schnell!", brüllte er ins Gesicht, Speicheltropfen verteilten sich auf ihrer Haut.
Plötzlich stachen Flammen zwischen den beiden hervor.
Hart landete sie auf dem Boden.Vor ihr hatte sich eine Wand aus Feuer aufgebaut, die sie von dem Aufseher trennte.
Dieser tobte hinter dem Vorhang.Als Yuna den Kopf wendete, sah sie ihn.
Entschlossen stand er neben dem Feuer, das seine Haare wie wahrhaftige Flammen aussehen ließ.
Ihre Blicke kreuzten sich und in ihren Gedanken manifestierten sich fremde Worte.
Immer zu Diensten, my Lady.Dann wurde er fort gezerrt.
Verdammt. Er war verloren.
Sie senkte den Kopf und presste die Lieder zusammen.
Das durfte alles nicht wahr sein.Warum hatte dieser Hohlkopf seine Fähigkeit eingesetzt?
Ihre Hände verkrampften.
Sie konnte nichts mehr für ihn tun.Doch plötzlich, wie ein Tropfen Farbe in ein Wasserglas fällt und seine Arme ausbreitet, macht sich eine Erkenntnis in ihr breit.
Großmama hätte nie gewollt, dass sie ihr Leben wegschmiss.
Ihr hätte Ravi gefallen.
Und nun war sie frei. Sie war im Himmel, würde sie ihr jetzt sicher erklären. In ihr Gedächtnis bannte sich ein Bild, das sie die ganze Zeit nicht beachtet hatte.
Großmamas Züge waren friedlich gewesen, als würde sie schlafen.
Sie war in Frieden gegangen.
Auch wenn Yunas Herz noch immer schmerzte, taute es auf.Verdammt. Großmama, da hast du mir eine schwere Aufgabe gegeben. Aber ich lasse nicht zu, dass es so einfach vorbei ist. Du hast ein Spektakel verdient.
Von neuer Kraft beflügelt, sprang sie auf.
Spürte die verwirrten Blicke der anderen Näherinnen. Und sprintete los.
Vorbei an allen Ständen des Marktes.
Vorbei an allen Bewohnern Valtaruns.
Vorbei an allen Aufsehern.Dann sah sie Ravi.
Eine reflektierende Klinge saß an deiner Kehle.
Sie vernahm die Wortfetzen: „Deine Taten ... hingerichtet."Ehe sie sich versah, donnerte ihre Stimme, wie eine Brandungswelle gegen eine Klippe, über den Platz. „Nein!"
Die Waffe verharrte in der Bewegung.
„Du nerviges Gör. Machst alles unnötig kompliziert." Die gefährlich leise Stimme war direkt an ihrem Ohr.
Ein stechender Schmerz machte sich breit, als ihre Arme auf ihren Rücken gezerrt wurden und sie in die Knie gezwungen wurde. „Das wirst du noch bitter bereuen."
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Mein Beitrag zum Ideenzauber 2024
Short StoryDies ist mein Beitrag zum Ideenzauber 2024