Auf Den Ersten Blick

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Jede Geschichte hat einen Anfang.
Meine begann schon im Kindergarten. Dort schloss ich Freundschaft mit meinem heutigen aller besten Freund.
Es gab nichts, was er nicht über mich wusste, kein Geheimnis stand uns im Weg.
Doch mit der Zeit entwickelten wir uns. Während er begann, sich an Mädchen zu interessieren, war er das einzige, an das ich denken konnte.
Auch dann, als jeder Junge, den ich kannte mittlerweile eine Freundin hatte.
Ich war schwul.
Und hoffnungslos verliebt.
Ich wollte gesehen werden, wollte Liebe erfahren, wollte gespürt werden.
War das wirklich zu viel verlangt?

Früher war ich genau dass, was man als Streber bezeichnet.
Ausnahmslos in jedem Fach hatte ich eine Eins, dazu habe ich Klavier und Zeichenunterricht genommen.
Was soll ich sagen? Meine Eltern wollten einen perfekten Sohn.
Es war das größte Klischee von allen, welches ich betätigte.
Ich war reich, aber unglücklich.
In der Schule war ich ein großer Mädchenschwarm.
Neben meinem besten Freund gab es jedoch noch einen Jungen in meiner Parallelklasse, der mir so gut wie jeden Tag, wann immer ich ihm begegnete, hinterhersah.
Wann immer ich auf die Toilette ging, einen leeren Klassenraum betrat oder schon nach Unterrichts Beginn noch im Gang herum irrte, er war da.
Von Freunden, ob Fake oder nicht, habe ich erfahren, dass er Luke heißt.

Ich wusste nicht, wie jemand mich überhaupt mögen könnte, schließlich war ich durchschnittlich groß, aber trotzdem ein kleines bisschen kleiner als die meisten Jungs in meiner Klasse, war Brillenträger und, meiner Meinung nach, das schlimmste an mir war, das meine Augenfarben unterschiedlich waren.
Das linke war hellgrün, das andere blau.
Ich wollte nie anders sein, als die anderen.
Ich habe nie darum gebeten, aufzufallen, nie danach gefragt, ob ich gemocht werden darf, nie habe ich mir auch nur einmal gewünscht, schwul zu sein.

Ich habe mich in der Sache so viel ausprobiert, wie ich konnte.
Teilweise wollte ich es mir nicht eingestehen, doch die Beweise, die ich hatte, waren Grund genug, mich zu hassen.

Es hat mich selbst angewidert, so zu sein.
Ich konnte nicht in den Spiegel gucken, ohne an das zu denken, was ich war.
Am Anfang der Oberschule war es jedoch am schlimmsten.
Die Jungs waren so gut wie alle gut aussehend, gut gebaut und Sportler.
Der einzige, den ich begehrte, war jedoch mein bester Freund.
Harry war groß, dunkelhaarig und hatte dunkle Augen.
Genauso wie Luke.
Doch im Gegensatz zu ihm, kannte ich Harry.
Er war zwar freundlich und immer für mich da, aber zu 100 Prozent straight.
Es war schlimm, etwas zu begehren, was man niemals erreichen kann.

"Ty, geht's dir gut?"
Ich schaute hoch.
"Hmm, ja."
Harry stand vor mir. Er verstaut seinen Basketball, den er zum spielen extra im Spind aufbewahrte, unter seiner Bank.
"In zwei Wochen haben wir unsere Untersuchung," meinte er nach einem kurzen Blick auf sein Handy.
"Woher weißt du das?"
Er zeigte mir seinen Bildschirm.
Zuerst blickte ich auf seinen Hintergrund.
Es war ein Bild von ihm und mir, bei mir Zuhause, wo wir gemeinsam rumgealbert statt gelernt hatten.
Das war einer der vielen Tage, an denen ich mir vorgenommen hatte, ihm zu sagen, was ich für ihn empfand.
Doch am Ende wurde wieder nichts daraus.
Der Bildschirm ging aus.
"Ich habs nicht gesehen," gab ich etwas kleinlaut zu, da ich mich wirklich nur auf das Bild konzentriert hatte.
"Ugh, es steht im Klassenchat ."
"Achso," sagte ich nur und schaute auf mein Handy.
Tatsächlich, mir wurde eine Nachricht angezeigt.
Die Untersuchung diente dazu, uns auf Krankheiten zu testen und herauszufinden, ob wir körperliche Beeinträchtigungen haben.
Für Harry und mich war das sehr wichtig, da wir beide einen Berufswunsch hatten.
Wir wollten zur Polizei.
Schon seit wir acht waren, hatten wir beide den selben Wunsch.

Der Unterricht verlief langsam, das Thema behandelten wir nun schon zum dritten Mal.
Ich kritzelte gelangweilt auf meinem Block herum.
Harry schaute zu mir.
"Hey," flüsterte er.
Ich sah nicht auf, sondern zeichnete langsam die Konturen eines Gesichts.
"Kommst du heute zu mir?" fragte er leise.
"Kann ich machen, jetzt Dreh dihh aber um, bevor wir Ärger kriegen."
Er streckte einen Daumen nach oben und tat, was ich ihm gesagt hatte.
"Tyler, kommst du bitte vor und schreibst deine Lösungen an die Tafel?", fragte unsere Lehrerin.
Ich schaute von meinem Blatt hoch.
Seufzend schnappte Ich es mir und stand auf.
An der Tafel war der Anfang einer Logarithmusfunktion.
Kaum war ich vorne und wollte die Kreide in die Hand nehmen, nahm sie mir mein Blatt aus Der Hand.
"Das nehme ich mal."
"Darf ich einen Taschenrechner verwenden?", fragte ich leise.
"Hmm? Nein."
Ich rollte mit den Augen und wandte mich der Tafel zu.
Nach und nach berichtigte ich die Formel und schrieb die Lösungen an.
"Erkläre uns doch, was du gemacht hast," meinte sie mit einem falsch aufgesetztem Lächeln.
Die Lehrerin hasste mich, weil ich besser war und sie oft auf Fehler hinwies.
"Um den Logarithmus nach x aufzulösen, wandelst du die Gleichung in eine Potenz um. Dazu schreibst du die Basis x hoch den Exponenten 2 auf. Das ergibt den Logarithmanden 16. Jetzt kannst du die Wurzel ziehen und.... "
"Okay, ja, es reicht. Setz dich wieder hin."
Ich wollte mein Blatt wieder nehmen, doch sie zog es unter meinen Finger weg.
"Das kriegst du am Ende der Stunde wieder. Erlaube dir nicht noch einmal, in meinem Unterricht zu zeichnen, sonst erhältst du einen blauen Brief."
Diese Frau ist so unendlich nervig.

In der Pause wurde ich von der ganzen Klasse gegen meinen Willen gelobt.
Ich packte meine Sachen ein und ging vor zum Lehrerpult.
" Darf ich meinen Zettel wiederhaben?", fragte ich leise.
"Hier. Merk dir, dass ich deine Selbstbeschäftigung nicht dulde!"

Gemeinsam mit Harry leif ich die Treppen hoch, zum Kunst Zimmer.
Während die anderen Lehrer von meinem Talent genervt waren, war die Kunstlehrkraft geradezu begeistert von mir. Egal was ich tat, sie bevorzugte mich den anderen um einiges.
Meinen Blick starr auf den dreckigen Fußboden geheftet lief ich den Gang entlang, bis ich plötzlich gegen etwas lief.
Ich rutschte aus und fiel zu Boden.
Der Block in meiner Hand verlor die losen Zeichnungen zwischen den Seiten, da ich ihn los ließ.
Ich schaute nach oben.
Vor mir stand ein dunkelhaariger, etwas Blasser Junge mit braunen Haaren und einer blutende Nase.
Den Blazer Seiner Schuluniform trug er nicht, die Krawatte war auch weg und die ersten zwei Knöpfe seines Hemds waren offen.
Es war Luke.
"Oh, sorry Kleiner."
Er gab mir seine blutige Hand und half mir hoch.
Ich starrte auf das rot, welches nun auch an meinen Fingern haftete.
"Sind das deine?", fragte er freundlich und deutete auf meine Blätter.
"Oh, ähm, ja."
Gott, war das nur ich, oder sah er gut aus? Selbst mit der blutigen Nase und den zersausten Haaren.
Ich spürte meine Wangen rot werden und hob langsam meine Zeichnungen auf.
Hinten aus dem Gang hörte man, wie mehrere Jungs Lukes Namen brüllte und auf ihn zugerannt kamen.
"Oh Scheiße. Man sieht sich!"
Er sprintet die Treppen runter, während die Jungsgruppe ihm hinterher lief.
"Hast du gerade im Ernst mit Luke Garcia gesprochen?", fragte Harry.
"Er hat mit mir geredet. Wieso, was ist denn mit ihm?"
"Na, er ist ein Arschloch? Und ein Fuckboy."
Ich sah die Treppe an, auf welcher er verschwunden ist und zuckte mit den Schultern.
"Auf mich hat er nett gewirkt."

Ich hatte ihn unbedingt kennenlernen wollen.
Luke Garcia, ich wollte das Geheimnis hinter diesem Namen herausfinden.
Ich wollte hoffen.


🖤

|Shameless| BoyLoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt