Feiner Nieselregen kitzelte Khiones Nacken und sie schauderte mit einem Blick in den Himmel. Schon seit dem Aufbruch vor ein paar Tagen wurde die Gruppe von bleischweren Wolken begleitet, die die Umgebung trostlos und traurig wirken ließen. Einzig das Herbstlaub sorgte für Farbtupfer, die Khione mit ihren rot-orangefarbenen Blättern an Feuer erinnerten. Eine Windbrise löste einige davon und nahm sie mit auf eine Reise, die kurz darauf auf dem matschigen Waldboden endete. Zum Glück hielten sie sich heute im Wald auf, der sie vor dem Gröbsten schützte. Beim Überqueren zweier Gebirgspässe waren sie von Regenschauern verschont geblieben. Jetzt schien es, als habe sich das Wetter in den Kopf gesetzt, ihnen die Reise zu erschweren.
Leise seufzte Khione und rutschte auf Sakaris Rücken in eine bequemere Position. Inständig hoffte sie, dass sie bald einen Platz für die Übernachtung fanden. Ihr war trotz der Fellkleidung, die Makhah extra für sie hatte anfertigen lassen, erbärmlich kalt. Er hatte sie vor dem Aufbruch mit der neuen Kleidung überrascht, obwohl sie sich über die kühlen Temperaturen nicht beschwert hatte.
Khione krallte ihre klammen Finger um die Zügel, die durch den Regen rutschig waren, und warf Makhah einen Blick zu, der schräg vor ihr an der Spitze ritt. Allein sein Anblick ließ sie erneut frösteln. Wie sonst auch trug er nur seine Hosen und sie fragte sich, wie er das kühle Wetter aushielt. Die männlichen Arakis blieben selbst bei diesen Temperaturen oberkörperfrei, doch sie hatte erfahren, dass sie zumindest im Winter ihre freien Körperstellen schützten und Schuhe trugen. Das beruhigte Khione ein wenig, denn sie hatte Sorge um die Gesundheit des Terikan. Vermutlich musste sie sich an die mentale Stärke der Arakis gewöhnen, mit der sie dem Wetter begegneten.
Plötzlich ließ sich Makhah etwas zurückfallen und Tehew, der neben ihr ritt, wechselte an die Spitze. Sobald Denali und Sakari gleichauf waren, legte der Shiharu eine Hand auf Khiones Arm. „Wie geht es dir? Kommst du zurecht?", erkundigte er sich.
Da sich Khione keine Schwäche anmerken lassen wollte, nickte sie. „Alles ist in Ordnung", antwortete sie. „Wie lange hast du vor zu reiten? Es wird bald dunkel."
„Kurz, bevor der Wald aufhört, gibt es eine kleine Lichtung. Dort bauen wir die Khemahs auf und morgen reiten wir den Bergpfad hinauf. Ich hoffe, es hört bis dahin auf zu regnen", sagte Makhah. „Der Pfad ist bei dem Wetter äußerst gefährlich, Khione. Traust du dir zu, mit Sakari zurechtzukommen, oder willst du zu mir auf Denali?"
Wenn sich Khione nicht täuschte, schien er sich Sorgen um sie zu machen. Sie stellte keinen abwertenden Klang in seiner Stimme fest und das wärmte ihr Herz erneut. Ihr war nicht entgangen, wie er sich um ihr Wohlergehen kümmerte. Es waren oft Kleinigkeiten, die jedoch eine große Wirkung erzielten und dafür sorgten, dass sich ihre Gefühle ihm gegenüber änderten. Sie freute sich, wenn er sie bei der Arbeit aufsuchte und sie manchmal auf einen Ausritt mitnahm, um ihr das Tal rund um Pah Koha näherzubringen. Dabei unterhielten sie sich oft über belanglose Themen, aber auch um ernstere. In diesen Momenten fragte sich Khione immer, wie es wäre, wenn sie ihm auf einem anderen Weg – frei von jeglichen Vorurteilen und Hass – begegnet wäre. Sie hatte keine Hoffnung, dass Makhah ihre Gefühle jemals erwidern würde. Daher ermahnte sie sich, sich nicht in Illusionen zu verrennen.
„Ich möchte es zuerst allein versuchen", sagte sie mit einem nachdenklichen Blick auf die Nebelwand. Diese hüllte die imposanten Berge komplett ein und sie ahnte, dass der Aufstieg keinesfalls leicht werden würde. Das bekräftigte auch Makhahs Aussage, dass ein Fehltritt katastrophale Konsequenzen mit sich brachte. Daher grübelte Khione noch einmal genauer, doch sie war weiterhin hin und her gerissen. „Lass mich die Nacht darüber schlafen, ja? Morgen früh gebe ich dir Bescheid."
Daraufhin nickte Makhah und trieb seinen Hengst wieder an. An der Spitze angekommen, löste er Tehew ab. „Sag Asku, dass wir wie üblich auf der Lichtung rasten werden. Wir besprechen den weiteren Ritt beim Essen."
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Khione - Gefährtin des stolzen Kriegers
Historical FictionAraki - die barbarische Rasse im Norden der Welt Azura. Ausgerechnet von ihnen wird die junge Khione auf ihrer Flucht vor den Entführern mit einem Pfeil abgeschossen. Schnell wird ihr klar, wie unerwünscht und gehasst sie im Araki-Clan von Shiharu M...