Die Tür vor mir öffnete sich automatisch und eine angenehm kühle, klimatisierte Luft wehte mir entgegen. Ich seufzte erleichtert und trat hinein. Mein Koffer war schwer und zerrte an meinem Arm, doch in diesem Moment war ich überglücklich. Endlich im Urlaub, endlich angekommen. Hinter mir schlossen sich die Türen wieder und sperrten die drückende Mittagshitze aus. Vor mir lagen zwei entspannende Wochen Urlaub. Wie lange hatte ich darauf gewartet...
Ich sah mich um. Die großzügig eingerichtete Eingangshalle versprach eine luxuriöse Unterkunft. Ich hatte schließlich auch lange darauf hinausgespart.
Mit meiner freien Hand strich ich mir eine Strähne meines blonden Haares aus dem Gesicht, die sich aus dem Zopf gelöst hatte. Dann machte ich mich auf den Weg zur Rezeption. Die Frau hinter der Theke lächelte mich freundlich an.
"Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?"
"Ich hatte ein Zimmer reserviert. Für zwei Wochen."
Sie setzte sich auf einen Drehstuhl, der vor einem Computer stand.
"Wie ist ihr Name, bitte?"
"Jasmin Shinley."
"Shinley..." Sie tippte auf der Tastatur herum und ich konnte beobachten, wie ihre Augen suchend über den Bildschirm glitten.
"Ah ja. Sie hatten mit Halbpension gebucht, richtig?"
"Ja."
"Okay. Mit der Abrechnung ist bereits alles geklärt. Frühstück und Abendessen gibt es immer in dem Raum dort hinten rechts. Die Aufzüge befinden sich hinten durch geradeaus. Der Pool ist in den Gängen ausgeschildert und liegt hinter dem Hotel."
Sie griff unter den Tresen und zog eine kleine gefaltete Pappe hervor. Sie klappte sie auf und darin sah ich zwei Karten.
"Dies sind die Karten für Ihr Zimmer. Ihre Zimmernummer ist 517 und befindet sich im 5. Stock, das ist gleichzeitig auch die oberste Etage. Haben Sie soweit schon Fragen?"
Ich schüttelte verneinend den Kopf. "Okay. Sollten Sie noch irgendwelche Fragen haben, können Sie sich gerne jederzeit an mich oder an meine Kollegen wenden. Die Rezeption ist täglich von 6:00 - 22:00 Uhr besetzt."
"Vielen Dank." Ich lächelte und nahm die Zimmerkarten.
Dann bückte ich mich, um meinen Koffer und das Handgepäck aufzuheben. Die Frau an der Rezeption hatte sich wieder dem Computer gewidmet.
"Soll ich dir helfen?"
Ich sah auf. Hinter mir stand ein junger Mann, etwas älter als ich, mit braunen Haaren und einem freundlichen Gesichtsausdruck. Kurz überlegte ich, ob ich beleidigt sein sollte, dass ich nicht mal alleine einen Koffer schleppen können sollte. Doch dann entschied ich mich, dass das Angebot wohl nur nett gemeint war.
"Nein, aber danke für das Angebot.", antwortete ich und lächelte ihn an. Er lächelte zurück. Er schien auch gerade anzukommen, er hatte ebenfalls Gepäck dabei.
"Thorsten." Er streckte mir die Hand hin.
"Jasmin." Ich ergriff seine Hand und schüttelte sie kurz. Dann lächelte ich noch einmal zum Abschied.
Ich raffte meine Sachen auf und machte mich auf den Weg zu den Aufzügen.Ich quetschte mich und mein Gepäck in den leeren Aufzug und drückte den Knopf mit der großen "5". Gerade, als sich die Fahrstuhltüren schließen wollten, fuhr eine schmale Hand dazwischen. Die Türen öffneten sich wieder und vor mir stand erneut ein junger Mann. Er sah sehr blass aus und hatte schwarze strubbelige Haare. Irgendetwas an ihm zog mich sofort in seinen Bann. Neugierig musterte ich ihn. Ich sah ihm so intensiv in die hellblauen Augen, dass ich erst nach einer Weile merkte, dass er mich genauso zurückanstarrte. Schnell senkte ich den Blick.
"Hallo." Ich trat einen Schritt zur Seite um mehr Platz zu schaffen. Als ich wieder aufsah, starrte er mich noch immer an und hatte sich keinen Millimeter bewegt. Ich fühlte mich unbehaglich unter seinem Blick, denn ich hatte das Gefühl, er würde mich komplett durchleuchten.
"Du kannst jetzt reinkommen. Oder willst du doch lieber die Treppe nehmen?", sagte ich schließlich, als ich das Schweigen nicht mehr aushielt.
"Hier gibt es keine Treppe.", antwortete er. Seine Stimme überraschte mich. Zum einen, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass er antworten würde. Und zum anderen, weil sie tief und beruhigend klang. Es war eine Stimme, die mich einlullte, bei der ich mich geborgen fühlte.
"Aha." Ich ging nicht weiter auf die Information ein. So ungewöhnlich war das heutzutage schließlich nicht mehr.
"Kommst du denn noch rein, oder machst du bei einem Starr-Wettbewerb mit?"
Er sah mich überrascht an und kurz hatte ich das Gefühl, etwas in seinen verschlossenen Augen zu sehen. Doch es war so schnell wieder vorbei, dass ich mich fragte, ob ich mir das nicht nur eingebildet hatte.
"Ne, ne, ich komm rein.", sagte er und überraschte mich ein weiteres Mal. Er wirkte so geheimnisvoll, dass ich mit so einer Antwort nicht gerechnet hatte.
Dann trat er einen Schritt nach vorne. Gedankenverloren tippte er auf das Zahlenfeld und drückte ebenfalls die "5".
"Da muss ich auch hin."
"Was?" Er sah mich verwirrt an. Ich nickte zu dem Zahlenfeld. Die Türen schlossen sich.
"Ach so." Mehr sagte er nicht.
Der Aufzug setzte sich in Bewegung. Ein leises Dröhnen erfüllte die Luft.
"Ich bin übrigens Jasmin."
"Miron.", antwortete er nach kurzem Zögern.
"Ungewöhnlicher Name.", bemerkte ich und sah ihn an. Er nickte nur kurz und ging nicht weiter darauf ein.
Schweigend starrte ich die Aufzugtür an. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mir immer wieder kurze Blicke zuwarf. Und dann plötzlich veränderte sich etwas in ihm. Ich konnte es nicht genau sehen, doch ich hatte das Gefühl, dass er sich mehr öffnen würde.
"Wie lange wirst du bleiben?", fragte er mich.
"Zwei Wochen.", antwortete ich ohne zu zögern. Ich war froh über etwas Smalltalk, weil ich mehr über ihn erfahren wollte. Für mich war er undurchschaubar und mir war es lieber, wenn ich mein Gegenüber einschätzen konnte.
"Und du?", fragte ich zurück, um das Gespräch am Laufen zu halten.
"Ich bin gestern angekommen. Ich bleibe noch eine Woche. Vielleicht können wir ja mal zusammen Essen gehen oder so."
Mir war die Überraschung wohl überdeutlich ins Gesicht geschrieben, denn er fügte eilig hinzu: "Natürlich nur, wenn du willst."
Ich wurde von diesem Sinneswandel total überrumpelt. Außerdem hätte ich niemals erwartet, dass er mich zum Essen einladen würde. Oder dass mich generell irgendwer zum Essen einladen würde, den ich erst 2 Minuten lang kannte.
"Äh...", ich wusste nicht wirklich, wie ich reagieren sollte. "Klar, warum nicht." Ich lächelte unsicher. Er lächelte zurück und schien sich wirklich über die Zusage zu freuen. Ich dachte mir, dass es ja nicht so schlimm sein könnte, ein paar neue Kontakte zu knüpfen.
"Wollen wir vielleicht Handynummern austauschen? Dann kann ich dir jederzeit Bescheid geben."
Ich hätte niemals gedacht, dass das Gespräch diese Richtung nehmen würde. Aber eigentlich hatte ich nichts dagegen. Normalerweise war ich nicht der Typ Mensch, der jedem Wildfremden seine Handynummer gab. Aber ich hatte das Gefühl, dass es bei ihm anders wäre. Er faszinierte mich auf eine unbeschreibliche Art und Weise. Ich wollte mehr über ihn wissen. Und vielleicht würden wir uns so ja wirklich besser kennen lernen.
"Okay.", sagte ich schließlich.
"Ich geb dir meine Nummer, dann kannst du mir jederzeit Bescheid sagen, wenn du möchtest.", schlug er vor.
"Okay.", sagte ich erneut. Ich bückte mich, um mein Handy aus dem Handgepäck zu holen. Wie immer war die Tasche kein Bisschen aufgeräumt. Hektisch kramte ich zwischen Taschentüchern, Schlüsseln, Werbe-Kulis, Kopfhörern, meiner Kamera und einem Buch umher, bis ich endlich das Handy fand. Triumphierend zog ich es heraus. Ich entsperrte den Bildschirm und tippte ein paar Mal, bis ich endlich auf die Funktion "Kontakt erstellen" stieß. Ich reichte Miron das Handy, damit er seine Nummer eingeben konnte. Er sah konzentriert auf den Bildschirm und ich beobachtete, wie seine Finger flink über den Touchscreen huschten. Dann gab er mir das Handy zurück. Ich drückte auf speichern und exakt in diesem Moment öffneten sich die Türen des Aufzugs. Ich schob das Handy in die hintere Hosentasche meiner Jeans und wollte das Gepäck aufheben.
Ohne zu fragen bückte sich Miron und hob meinen Koffer hoch. Bevor es runter fiel, griff ich schnell nach meinem Handgepäck.
"Das geht schon, wirklich.", sagte ich.
"Welche Zimmernummer?", fragte er zurück. Ich verdrehte die Augen.
"517."
Er lachte leise und das war ein wunderschönes Geräusch.
"Was ist daran so lustig?", fragte ich verwirrt.
"Ich wohne im Zimmer genau nebenan", erklärte er.
"Oh." Was für ein Zufall.
Wir stiegen aus dem Fahrstuhl aus. Wir konnten entweder nach links oder nach rechts gehen. Der Boden war mit Teppich ausgelegt und an den Wänden hingen Lampen, die ein schönes, orangenes Licht verströmten.
Miron wendete sich nach links, wohin die Zimmer 11-20 ausgeschildert waren. Nach rechts käme man zu den Zimmern 1-10.
Rechts und links verteilt im Gang lagen 10 Zimmer. Wir gingen bis fast zum Ende der Reihe. Beim vorletzten Zimmer auf der rechten Seite blieb Miron stehen und stellte meinen Koffer auf den Boden. Auf der Tür stand eine kleine "517".
"Ich wohne in 519.", sagte er und zeigte auf die letzte Tür im Gang.
"Alles klar. Du wirst von mir hören." Ich klopfte auf mein Handy in der Hosentasche. Er nickte und lächelte mich aufrichtig an.
Nachdem ich in der Unordnung meiner Handtasche die Zimmerkarte gefunden hatte, steckte ich diese in den dünnen Schlitz über dem Türgriff, bis ein kleines grünes Lämpchen aufleuchtete. Ich drückte die Türklinke herunter und drückte die schwere Tür auf. Erst da bemerkte ich, dass Miron immer noch neben mir stand.
"Ist noch was?", fragte ich. Er gab sich einen Ruck.
"Nein, alles klar. Bis dann."
"Ja, bis dann."
Er drehte sich um, ging die paar Schritte bis zu seinem Zimmer und schloss es auf. Er sah mich noch ein mal an, dann verschwand er hinter der Tür.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Aber ich lächelte. Ich hiefte meinen Koffer ein letztes Mal hoch und trug ihn in mein Zimmer. Die Tür hinter mir fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Und mit diesem Knall wurde mir bewusst, dass ich angekommen war. Nichts konnte meinem perfekten Urlaub nun noch im Weg stehen.
DU LIEST GERADE
Hotel
HorrorDas hier sollte der beste Urlaub meines Lebens werden. Alles war perfekt. Alles hätte so perfekt sein können. Wie sehr man sich manchmal irren kann... Es war alles so schön, bevor der Strom ausfiel. Bevor man den Aufzug nicht mehr herunterfahren ko...