2 - Strand

73 5 5
                                    

Rücksichtslos schmiss ich meinen Koffer zur Seite und streifte die Schuhe von meinen Füßen. Ich stellte mich mit dem Rücken vor das große weiße Doppelbett, streckte die Arme aus und ließ mich nach hinten fallen. Das Bett war weder fest noch weich, es war genau richtig. Lautlos gab es etwas unter mir nach und ich fühlte mich, als würde ich auf eine Wolke sinken. Grinsend starrte ich zur Decke. Mein erster Alleinurlaub. Es könnte nicht besser sein.
Voller Energie sprang ich auf und begann, wild auf dem Bett herumzuhüpfen. Ich wusste dass ich mich wie ein Kleinkind verhielt und genau das war auch das Schöne daran. Ich war nicht mehr auf Betten herumgehüpft seit ich ungefähr 10 war. Umso schöner war es, es nun, 9 Jahre später, erneut zu tun. Das Bett knarzte kein bisschen und ich war überzeugt davon, dass im Zimmer unter mir kein Laut zu hören war. Die Türen waren so dick und schwer, dass ich mir ziemlich sicher war, dass alles schallisoliert war. Perfekt.
Irgendwann ließ ich mich entkräftet, aber überglücklich aufs Bett fallen. Mein Herz schlug schnell und ich musste heftig atmen, doch ich fühlte mich rundum wohl.
Als sich mein Herzschlag etwas beruhigt hatte, stand ich auf und ging zu den Vorhängen. Mit Schwung zog ich sie auf und mir blieb vor staunen fast die Luft weg. Vor mir erstreckte sich auf der rechten Seite ganz Mallorca, auf der linken Seite das blaue Meer. Mein Zimmer hatte ein bodentiefes Panoramafenster, das die gesamte Wand einnahm. Ich zog die Vorhänge bis zur Wand zur Seite, damit ich die volle Aussicht genießen konnte. Von dem Anblick war ich komplett überwältigt.
Ich war mir nicht sicher, wie lange ich hinausgestarrt hatte, doch irgendwann riss ich mich von der Sicht los und besah das Zimmer. Wenn man von der Tür hereinkam war direkt rechts das Bad und geradeaus durch einen kurzen Flur kam man in das eigentliche Zimmer. Das große Doppelbett stand an der rechten Zimmerwand, auf der linken Seite stand ein Schreibtisch und eine kleine Minibar.
Die Wände waren in einem warmen Orangeton gestrichen und es war weicher Teppichboden ausgelegt.
Ich sah auf die Uhr. Es war 15:12 Uhr.
Einerseits war ich zu erschöpft von der Reise, als dass ich noch groß etwas unternehmen könnte. Andererseits wollte ich unbedingt raus gehen. An den Strand. Fühlen, wie warm das Meer war. Spüren, wie es meine Füße umspült. Schauen, wie weich der Sand ist. Wie mein nassen Füße in ihm versinken. Ich fasste den Entschluss, zum Strand zu gehen, um mich mal umzusehen. Vermutlich würde ich nicht mehr schwimmen gehen oder mich im Sand bräunen, aber ich wollte unbedingt einen ersten Eindruck bekommen.

Ohne meinen Koffer noch einmal anzurühren schlüpfte ich in meine Schuhe, schnappte mir mein Handgepäck mit den Zimmerkarten und trat hinaus auf den Flur. Ich zog die schwere Tür hinter mir zu. Am liebsten wäre ich gerannt und den Flur entlanggesprungen. Doch dieses Mal unterdrückte ich dieses kindische Verlangen und ging in normaler Geschwindigkeit durch den Gang. Ich betrachtete den Teppich unter meinen Füßen. Dann begann ich schon wieder zu grinsen. Ich war so froh, im Urlaub du sein. Der ganze Stress und die Verantwortung fielen von mir ab. Jetzt konnte ich endlich mal nur an mich denken. Mich verwöhnen lassen, ohne darauf zu achten, es anderen recht zu machen. Ich fühlte mich auf eine beflügelnde Weise frei.

Als ich die Aufzüge erreicht hatte, drückte ich auf den Knopf und wartete. Mit einem leisen Pling kam der Aufzug an. Ich stieg ein und drückte auf das "E". Dieses Mal blieb ich alleine in dem engen Raum. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Mal die Zeit viel langsamer verging, als letztes Mal. Es schien endlos lange zu dauern, bis die kleine rote Zahl über der Tür, die die Stockwerke anzeigte, sich veränderte. Und plötzlich ging ein ungewohnter Ruck durch den Fahrstuhl. Ich erstarrte und mein Herz begann, schneller zu schlagen. Was war das?? Der Aufzug stotterte mehrere Male und ich spürte, wie ich in Angstschweiß ausbrach. Doch dann schien alles wieder normal zu laufen. Es dauerte nicht mehr lang, bis auf der Anzeige endlich das "E" aufleuchtete. Quälend langsam öffneten sich die Türen. Sobald sie weit genug offen standen, dass ich mich hindurchquetschen konnte, zwängte ich mich durch den Spalt. Heftig atmend stand ich vor den silbern glänzenden Türen. Ich atmete tief ein und wieder aus, während ich darauf wartete, dass sich mein Herzschlag beruhigte. Als dies schließlich der Fall war, ging ich ohne Umschweife zur Rezeption.

"Entschuldigung?" Die Frau, die mich vorhin auch empfangen hatte, stand mit einem Telefon ans Ohr gepresst hinter dem Tresen. Sie bedeutete mir mit einem Handzeichen, dass sie sofort für mich da wäre.

"Ja... okay... Ja, mit Meerblick. ... okay. ... Gerne, vielen Dank. Wir melden uns in Kürze bei ihnen. Auf Wiedersehen." Sie legte auf und legte das Telefon ab. Dann wandte sie sich mir zu.

"Haben Sie noch Fragen?"

"Nein, ich möchte etwas melden. Ich glaube der Fahrstuhl war gerade kurz davor, stecken zu bleiben. Ich bin normal nach unten gefahren, als er plötzlich stockte und ruckelte. Dann ist er aber normal weitergefahren und hier angekommen."

"Oh, okay. Ich möchte mich für diese Unannehmlichkeiten entschuldigen. Es haben sich in letzter Zeit öfter Hotelgäste über solche Zwischenfälle beschwert. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben schon einen Elektroniker informiert. Er sollte heute abend eintreffen und das Problem beheben. Doch falls es sie beruhigen sollte: Er konnte uns bereits telefonisch durchgeben, dass keine Gefahr besteht, dass der Fahrstuhl stecken bleiben könnte."

"Okay. Danke." Wirklich beruhigt hatte mich diese Aussage nicht. Wie sollte man denn so schnell beurteilen können, dass nichts geschehen konnte? Naja. Ich wendete mich ab und sah in diesem Moment einen Wegweiser mit der Aufschrift "Strandzugang", der in einen Gang wies. Ich ging in den Gang und erreichte schon bald eine gläserne Tür, die nach draußen führte. Kurz blieb ich stehen, um mich zu sammeln. Ich wollte mir von so einem Aufzug nicht meinen Urlaub verderben lassen. Ich holte einmal tief Luft, um mich zu beruhigen, und stieß diese dann wieder aus. Das hier ist mein Urlaub. Mein Urlaub, auf den ich so lange hinausgearbeitet habe. Mein Urlaub, für den ich so lange gespart habe. Mein perfekter Urlaub.

Ich lächelte und drückte voller Vorfreude die Tür auf. Warme Luft schlug mir entgegen. Ich trat hinaus und sog die Luft ein. Trotz der Hitze war sie frisch, mit dem salzigen Beigeschmack des Meeres. Ich sah mich um. Wenige Meter vor mir begann der Strand. Nicht weit von mir entfernt war ein langer hölzerner Steg, der direkt ins Meer führte, und dort schließlich endete.

Ich zog meine Schuhe aus und stellte sie an die Hauswand des Hotels. Daneben stellte ich meine Handtasche. Dann konnte ich mich nicht mehr halten. Ich begann zu laufen, bis ich den heißen Sand unter meinen Füßen spürte. Er war fein und körnig und besser als alles, was ich erwartet hatte. Langsam, mit bedächtigen Schritten, ging ich richtung Wasser. Bei jedem Schritt machte ich mir den schönen Sand unter meinen Fußsohlen deutlich bewusst. Als ich mich umsah bemerkte ich, was für riesengroßes Glück ich hatte. Da keine Ferien waren war der Strand deutlich leerer, als ich befürchtet hatte. Es war noch immer viel los, doch ich wusste, dass es sehr viel schlimmer hätte sein können.
Ich spürte, wie sich der Sand unter meinen Füßen veränderte. Er wurde fester und kälter. Ich hatte das Wasser fast erreicht. Da ich eine Jeans anhatte, bückte ich mich, um diese hochzukrempeln. Dann trat ich zum Meer und wartete, bis eine Welle meine Füße umspülte. Obwohl es kalt war genoss ich es in vollen Zügen und ging noch ein paar Schritte weiter hinein. Dann schloss ich die Augen, um das Meer besser zu spüren. Es war kalt und erfrischrend. Ich spürte die kleinen Wirbel der Strömung, die sich um meine Füße schlängelte. Es fühlte sich fast so an, als würden kleine, sanfte Fische über meine Haut fahren. Ich wippte ein bisschen mit meinen Zehen und vergrub diese dadurch im Sand.
Gleichzeitig spürte ich die heiße Sonne, die mir auf die Arme brannte und mich aufheizte. Der leichte Wind, der vom offenen Meer her wehte, verschaffte mir da etwas Abkühlung. Ich hörte die Rufe und das Lachen herumtollender, spielender Kinder und ihre Schreie, wenn sie sich gegenseitig mit Wasser bespritzten. Und das leise Schreien der Möwen, die über den wolkenlosen Himmel glitten. Der salzige Meeresduft vollendete das Ganze.
Ich öffnete die Augen wieder und ließ meinen Blick über den endlos scheinenden Horizont gleiten. Und in diesem Moment wusste ich, dass es lange her war, dass ich mich das letzte Mal so frei gefühlt hatte.


HotelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt