Kapitel 20 - Blumen und Klingen

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Ethel saß mit Madeleine im Schatten des kleinen Anwesens, in dem die französiche Dame lebte. Beide Frauen trotzten der Mittagssonne neben dem großen Springbrunnen, dessen einzelne Tropfen sich auf Ethels Wange verirrten.

Die Luft hing schwer in ihrer Lunge. Der gesamte Vormittag war mit Nebelwogen durch die Stadt gezogen.

Es waren Tage vergangen, seit sie Ambrose das letzte Mal begegnet war, doch noch immer plagten Schuld, Sorge und Aufregung ihren Verstand. Wann immer Ethel allein war, wurden ihre Gedanken lauter. Diese Unruhe hatte den Vorteil, dass sie oberflächliche Bekanntschaften mit einigen Damen eingegangen war — einfach nur um sich abzulenken. Madeleine hatte sich schnell als eine zuverlässige Freundin erwiesen.

Beide hatten in ihrem Interesse für Pflanzen eine Gemeinsamkeit gefunden. Daher saßen sie sich nun gegenüber und blätterten durch ihre Herbarien. Madeleines Sammlung stellte jede andere in den Schatten. Die Frau hatte Blumen unzähliger Gattungen und Farben angesammelt, datiert und bis ins Detail niedergeschrieben.

»Damit kann ich nicht mithalten«, sagte Ethel und zog ihr eigenes Buch zu sich heran. »Ich habe nicht so viele Pflanzen kennengelernt, wie ich mir wünschen würde.«

Madeleine lächelte warm. »Dabei haben Sie doch einen großen Garten.«

»Mittlerweile ja, aber in England nicht. Unser Anwesen bestand aus den selben Rosen und großen Rasenflächen.« Sie hob die Schultern und schaute auf die farbigen Kunstwerke, die Madeleine neben die eingeklebten Kräuter gemalt hatte. »Und ich befürchte jetzt ist es zu spät, weiterzumachen. So viele Blumen kriege ich auf die Schnelle nicht aufgetrieben.«

»Es ist ja auch eine Leidenschaft, mit der man sich Zeit lässt.«

Ethel lachte. »Ich weiß, ich weiß. Aber jetzt haben Sie meinen Wettbewerbsdrang angeregt, Madeleine. Jetzt möchte ich mit Ihnen mithalten können.«

Die französische Dame schüttelte lächelnd den Kopf. Sie nahm eine Teetasse zwischen beide Hände, dann reckte sie den Kopf um die Umgebung abzusuchen. Für einen langen Augenblick hielt sie inne, bevor sie fragte: »Was macht Ihr Mann eigentlich gerade?«

»Oh, er ist geschäftlich unterwegs.« Eigentlich wusste Ethel es selbst nicht genau. Die letzte halbe Woche war zwischen ihnen angespannt gewesen. Als Clarence vor dem Laybrinth in ihrem Schoß wachgeworden war, hatte er sich verhalten, als wisse er, dass in Zwischenzeit etwas anstößiges geschehen war... Oder aber er hatte sich nur geschämt.

»Richten Sie ihm liebe Grüße aus. Ich würde mich freuen, wenn Sie eines Tages mit uns essen würden.«

»Was ein wundervolles Angebot, vielen Dank. Ich denke darüber wird er sich ebenso sehr freuen wie ich.«

Madeleine schien zu überlegen, ob sie ihren nächsten Satz anders formulieren könnte. Nur langsam fand er heraus: »Ich habe Herrn Irving letztens mit einer anderen Dame gesehen.«

»Ich gehe nicht davon aus, dass er untreu ist.« Sie wusste es bereits.

»Oh nein, bitte, das wollte ich ihm auch niemals unterstellen. Ich fand es nur interessant, da das normalerweise eher unüblich für Engländer ist. Dachte ich, zumindest.«

Ethel schaute auf das kleine, zweistöckige Gebäude vor dem sie saßen.

Plötzlich war die Konversation weniger erfreulich, sondern erinnerte Ethel erneut an die bittere Realität ihrer gescheiterten Ehe. Sie lenkte sich ab und ließ ihre Augen an den Zinnen entlang wandern.

Madeleine schien zu merken, dass das Thema unerwünscht war, weshalb sie ebenfalls das Gebäude fixierte. »Finden Sie es schön?«

»Das Haus? Es sieht durchaus modern aus.«

Das Urteil der GefürchtetenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt