Unsichtbar

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Ihr betörender Duft und ein Hauch von Vanille stieg mir in die Nase. Ich konnte spüren wie sie sich an mich schmiegte und ich hielt Sie ganz fest, die Arme um ihren zierlichen Körper geschlungen. Als ich in Ihre grün-blauen Augen sah, war ich verloren. Sie brachte mich um den Verstand. Wir näherten uns, bis unsere Nasen sich fast berührten und mich überkam ein wohliger Schauer. „Kouta", leise hauchte sie meinen Namen. Mein Herz setzte aus und dann... spürte ich einen Ruck.

Mein Kopf den ich auf meinen Handballen abgelegt hatte rutschte dabei schlagartig der Tischplatte entgegen. „Morgen, Streber!", dieser arrogante Kerl Ken musste mit Wucht gegen meinen Stuhl getreten haben. Typisch für ihn. Ohne auf seine schroffe Begrüßung einzugehen, setzte ich mich gerade auf meinen Stuhl und rückte ihn wieder zurecht. Er hatte mir meinen schönen Traum zerstört, dabei war es gerade echt spannend. Ich konnte Ken noch lachen hören als er zu seinem Platz in die hintere Reihe ging. Naja, bekanntlich sitzen ja immer die Coolen in der letzte Reihe. Meine Theorie ist ja, dass die mit viel Coolness kaum noch genug Hirnmasse besitzen um sich nach dem Stuhlgang die Hose hochzuziehen. Diese Vorstellung amüsierte mich und ich musste schmunzeln. Wann haben diese Sticheleien eigentlich angefangen? Das musste gewesen sein als die Bestenliste ausgehängt wurde. Ich hätte mich wohl schon einige Male wehren sollen, aber um ehrlich zu sein hatte ich keine Lust auf Stress. Mir wahr wichtig das ich diese Schule erfolgreich abschließe, damit ich endlich auf die University for Music and Arts in London gehen konnte. Ja, man könnte sagen das war mein Lebensziel. Ein Jahr musste ich nur durchhalten und dann die Prüfung bestehen. Klingt eigentlich ganz leicht, aber ein Jahr kann verdammt lang sein... Nachdem der Lehrer die erste Unterrichtseinheit für diesen Tag abschloss und uns in die kurze Frühstückspause schickte, stellte ich wieder einmal fest, das mindestens 80% der Kursteilnehmer nichts zum Unterricht beigetragen hatte, außer geflügelte Liebesbriefchen und Gähn-Paraden. Wissend was kommen würde, packte ich die Bücher in meine Tasche als Ken sich meinem Tisch näherte. Im Augenwinkel sah ich nur wie er mit dem Fuß ausholte, da er mal wieder meine Tasche umtreten wollte. Das Spiel kannte ich schon und verdrehte die Augen als ich gerade im richtigen Moment meine Tasche auf der Schussbahn seines mit Nike-Schuhen bekleideten Fußes nahm. Dann verließ er und der Großteil der Leute den Raum und danach machte auch ich mich auf den Weg zum nächsten Kurs.

Literatur, ein Kurs der nicht zu meinen Favoriten gehörte, bis ich dieses Mädchen kennenlernte. Tja, aber wie definiert man "kennenlernen", wirklich viel gesprochen haben wir eigentlich nicht. Mir entfuhr ein Seufzen als ich mich in den Stuhl im Literatur-Raum fallen ließ. "Ich habe jetzt Literatur", ich vernahm eine sanfte Stimme, das war Shina. Suchend sah ich mich nach ihr um und entdeckte sie in dem Türrahmen stehend, den Rücken in den Raum gewendet. Sie schien sich mit jemandem zu unterhalten. Kurz schob ich meine Brille wieder ein Stück höher und ich schaute sie an. Verdammt! Hör auf sie anzustarren, du Depp! Aber ich konnte mich so oft ermahnen wie ich wollte, den Blick von ihr zu lassen war gar nicht so leicht. Sie trug Sneakers, eine enge Jeans und ein enges Top und stand lässig da. Schon fast verzweifelt versuchte ich nicht ständig zu ihr zu sehen, denn wer weiß wie dieser Typ reagieren würde mit dem sie gerade flirtet. Um mich abzulenken holte ich schon mal das Buch heraus und blätterte die Seiten durch, bis es zur nächsten Unterrichtsstunde klingelte. Zusammen mit dem Lehrer zum Unterrichtsbeginn betritt der Inbegriff meiner Tagträume den Raum mit einen aufgewecktem "Hey Leute". Statt einer angemessenen Antwort entwich mir nur ein zustimmender Laut, für den ich mich im selben Moment am liebsten geohrfeigt hätte. Alle anderen begrüßten sie voller Begeisterung, dann ließ sie sich lässig auf ihrem Stuhl nieder. Genervt über mein Versagen biss ich mir auf die Unterlippe und hob das Buch vor mein Gesicht.

Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, wieder dieser Geruch. Als ich über meine Schulter zu ihr blickte, strich sie über meine Wange und...

"Kouta, wie interpretierst du Absatz 5?", ertönt die Stimme von Herrn Johnson. Schlagartig sah ich auf und ließ mein Buch auf dem Tisch nieder. Plötzlich hatte ich das Gefühl alle starren mich an. Herr Johnson nickte zufrieden als ich meine Interpretation zum Besten gab. Der Unterricht verlief eher unspektakulär doch ich sah immer wieder zu Shina. Meist trug sie ihr Haar offen und hatte stehts ein Lächeln aufgesetzt. Unter ihrem Tisch schrieb sie mit ihrem Handy Nachrichten, wahrscheinlich an ihre zahlreichen Verehrer. Für mich würde sie wohl für immer ein Traum bleiben, ich glaube nicht mal das sie wusste das ich da war.

So gingen die Tage vorbei und es war tatsächlich schon wieder Freitag. Mit genervtem Blick saß ich in der letzten Unterrichtseinheit für diese Woche. Wieder Literatur. Das war aber nicht der Grund für meine schlechte Laune, sondern eher die Tatsache das ich am Wochenende wieder in dem Supermarkt bei mir um die Ecke aushalf um etwas für London zurückzulegen. Nachdem ich mein Buch auf dem Tisch ablegte nahm ich meine Brille ab und rieb sie Gläser mit einem Tuch sauber.

"Hey", eine zuckersüße Stimme unterbrach meinen verzweifelten Versuch das Glas wirklich streifenfrei zu putzen. Es roch leicht nach Vanille, ich setzte mir meine Brille auf, schaute auf und da stand sie. Wir schauten uns in die Augen und...

"Shouga, richtig?", fragte sie und ein freundliches Lächeln umspielte ihre rosé bemalten Lippen. Moment mal! Das war gar kein Traum! Sie spricht mich an? Komm schon sag was Kluges. "Kouta...", entwich mir knapp. Ganz toll, Trottel. Da hätte ich mich auch gleich erschießen können. Sie sah mich fragend an, dann wanderte ihr Blick nach unten. Meine Augen folgten ihren und blieben auf mein Buch gerichtet. "Weißt du ich habe mein Buch vergessen...", sie knetete ihre Hände und sah mich dann wieder mit ihren großen geschminkten Augen an. "Okay?", sagte ich kaum hörbar. Vollidiot, was ist los mit dir?  "Kann ich mir deins leihen?", fragte sie und strich sich einige Haarsträhnen hinter ihr Ohr. Jetzt wurde mir allmählich etwas warm im Gesicht und ich begann unruhig zu atmen. Sie will sich mein Buch leihen... sie hat mich bemerkt! Ich bin doch nicht unsichtbar. Gut, dann sag ihr jetzt „Natürlich. Ich leihe es dir gern." Ich öffnete den Mund und... dann nickte ich. Mist... Grinsend nahm sie schon fast im selben Moment das Buch an sich und wendete sich ab „Danke, Shouta." „Kouta...", presste ich noch heraus, aber sie wahr schon längst wieder an ihrem Platz, bei ihren Leuten. Ich sah noch eine Weile in Ihre Richtung, aber dann hörte ich wie der Lehrer den Raum betrat. Gerade wollte ich mein Buch aufschlagen... Ouh. Ich sah wieder zu Shina. Wenn sie mein Buch hat... Mein Blick schweifte wieder auf meinen Tisch und ich hob unwillkürlich eine Augenbraue. Ohne Buch im Literatur-Unterricht. 100 Punkte, Kouta. Die Frau hat dein Hirn für eine Minute in unnützen Matsch verwandelt. Nun saß ich da also ohne Buch und es passierte das, was passieren musste. „Kouta, dann gib du uns doch bitte die Antwort.", Herr Johnson sah mich erwartungsvoll an. „Wissen sie ich habe mein Buch...", ich schaute zu Shina die mich fast schon flehend ansah und den Kopf leicht schüttelte. „...vergessen?", fügte ich hinzu, woraufhin mich der Lehrer mit geöffneten Mund anstarrte. „Vergessen? Du vergisst nie etwas...", meinte er, ich hingegen zuckte nur mit den Schultern und lächelte schief. Herr Johnson führte den Unterricht fort zu dem ich dieses Mal nicht viel beitragen konnte.

Nach dem Unterricht sausten einige trampelnde Menschen an meinem Tisch vorbei. Shina war noch an ihrem Platz, als ein großer, muskulöser Typ reinkam und direkt auf sie zuging. Im Augenwinkel sah ich das sie sich küssten. Na toll, das wollte ich nun wirklich nicht sehen. Ich nahm meine Tasche und stand auf. Gerade hatte ich meinen Stuhl rangeschoben, da gingen Shina und Superman an meinem Tisch vorbei. Ich zwang mich dieses Muskelpaket nicht abwertend anzusehen, auch wenn es mir schwer fiel. Er hatte seinen Arm um Shina gelegt und sie ließ im vorbeigehen mein Buch auf den Tisch vor mir fallen. Etwas fassungslos sah ich den Beiden nach, während ich das Buch in meine Tasche stopfte. Das war's wohl mit meinem Ausflug auf Wolke 7 zumindest nach dem hier. Ich hatte ihr mein Buch überlassen und für sie gelogen. Das war scheinbar der Dank dafür. Ein knappes „Danke" als sie es an sich riss und das ständige Falsch-Aussprechen meines, ja nun wirklich nicht so schwer zu merkenden, Namens.


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