ZWÖLF

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*Devlin*

„Muss ich weiterhin Akten anschauen?", fragt Lucian mich, als wir am nächsten Morgen in unser Büro laufen. „Ich weiss nicht, was du sonst tun könntest", antworte ich. „Du hast recht", murmelt er und schnappt sich die erste Akte. Und dann die zweite und dann die dritte... Nachdem er zwei Stunden Akten angeschaut hat, sieht es so aus, als käme es ihm zu dumm.

„Hast du etwas gefunden?", fragt er. Ich schüttle den Kopf und sage: „Nein, das ist so komisch. Kyle wurde noch nie angegriffen, er erhielt keine Drohbriefe, er hat keine Konkurrenzen, mit denen er im Streit ist. Einfach nichts!" „Sind die Videos der Überwachungskameras eigentlich angekommen?" Ich schüttle wieder den Kopf. „Irgendwas habe sie gerade ein Computerproblem oder so. Dauert anscheinend noch mindestens eine Woche."

Lucian wendet sich wieder seinen Akten zu. „Die Frau, eines Techniker, ist vorbestraft, wegen häuslicher Gewalt. Sie soll ihren Ex mit einem Messer angegriffen haben und ihm mehrere Schnittwunden verpasst haben." „Messer?", frage ich nach. „Ja, habe ich doch gesagt. Hörst du mir überhaupt zu?" „Klar!", antwortet ich vielleicht ein klein bisschen genervt, „aber Kyle wurde auch mit einem Messer angegriffen. Das passt. Lass uns hinfahren. Du bist unerträglich wenn du nichts machst." „Ich habe gar nichts gemacht", protestiere er und nennt mir anschliessend die Adresse.

Da Lucian mich mit seinen Krücken und seiner Langsamkeit aufregt, gehe ich schon vor, um zu klingeln. Zuerst passiert rein gar nichts und dann öffnet sich plötzlich ruckartig die Tür und jemand rennt so schnell in mich hinein, dass ich rückwärts die Treppe runter stolpere. Als ich mich wieder aufrappelte, sehe ich wie jemand in Lucians Richtung rennt. Er kann ihn jedoch etwas schlecht verfolgen. Ist ja toll gelaufen. Ich kann ihn auch nicht mehr einholen.

Aber ich habe Lucian unterschätzt. Als der Typ genau vor ihm durchrennt, holt er aus und schlägt ihn zu Boden, indem er seine Krücken wie ein Baseballschläger benutzt. Etwas knackt fürchterlich, als er sein Ziel erreicht, doch immerhin steht der andere nicht mehr auf. Er rollt nur noch auf dem Boden umher. Lucian grinst ihn an und sagt: „Sie hätten Fussballer werden sollen. Die rollen genau gleich über den Boden."

Wir verfachten den Typ ins Polizeiauto und fahren zurück. „Bringen wir ihn direkt in den Verhörraum?", will Lucian wissen. „Ist wahrscheinlich am schlausten antworte ich. Ach und übrigens super Einsatz vorhin!"

„Wie heissen Sie?", frage ich, nachdem wir ihn in den Verhörraum gebracht haben. „Tim Vega. Aber ich habe gar nichts gemacht! Ich bin unschuldig!" „Und wieso sind Sie dann weggerannt?", fragt Lucian. „Ein paar meiner Kollegen hatten letztens mit der Polizei stress. Deshalb habe ich Panik bekommen." „Aha, und was haben Sie im Haus von Laura Vega zu suchen?", übernehme ich wieder. Er schaut mich verwirrt an und antwortet dann: „Naja sie ist meine Mutter. Ich wohne dort. Aber sie ist seit letzter Woche in den Ferien. Wenn Sie mit ihr sprechen wollen, dann müssen sie noch ein paar Tage warten."

Ich werfe Lucian einen Blick zu. Wenn sie in den Ferien ist, kann sie es nicht gewesen sein. „Tut uns leid, dass wir Sie mitnehmen mussten, aber Sie können wieder gehen. Ach und es tut mir leid, dass ich Sie so brutal umgeschlagen habe, aber mir ist so spontan keine andere Möglichkeit eingefallen, Sie aufzuhalten. Hoffentlich ist nichts ernstes passiert", sagt Lucian schlussendlich. „Kann ich verstehen. Mir ist nichts schlimmeres passiert. Aber ich muss zugeben, Sie haben einen sehr harten Schlag!" Lucian grinst bloss und Vega verschwindet.

„Dann müssen wir wohl weiter suchen. Sie kann es nicht gewesen sein", sage ich und stehe auf. „Ich muss mal etwas anderes machen! Sonst werde ich noch wahnsinnig!", protestiert Lucian. „Hast du zufälligerweise gefilmt, als Kyle zusammengebrochen ist?", frage ich. „Nein", antwortet Lucian und stöhnt genervt, „aber ich habe jemanden kennengelernt, die gefilmt hat. Ich kann sie mal anrufen." „Wieso hast du ihre Nummer?", frage ich nach. „Weil sie mich komplett angebaggert hat!", antwortet er und wird beinahe aggressiv.

„Hi Cindy", beginnt er, kurz nachdem er sich das Handy ans Ohr gehalten hat. „Ich bin's Lucian. Wir haben uns auf dem Konzert kennengelernt." Es gibt eine kurze Pause und danach sagt er: „Keine Ahnung ob ich es dir erzählt habe, aber ich bin Polizist. Wir arbeiten gerade an dem Fall und mir ist eingefallen, dass du doch gefilmt hast." Es gibt wieder eine Pause. „Ja, das wäre super, wenn du mir das senden könntest. Würde uns extrem-" Es gibt wieder eine Pause, dieses Mal eine längere. Schlussendlich antwortet er: „Ja klar, und nochmal danke für das Video. Tschüss."

„Und?", frage ich nach. „1. Schickt sie es mir", antwortet er, „und zweitens habe ich heute Abend ein Date." Der zweiten Teil des Satzes klingt nicht gerade begeistert. „Und wie ist es dazu gekommen?", frage ich. „Sie hat mich gefragt und ich dachte mir, wenn uns das Video etwas bringen sollte, ist es unsympathisch nein zu sagen." „Da hast du recht", antworte ich.

„Lust darauf habe ich trotzdem nicht", brummelt Lucian. Gleich darauf vibriert sein Handy. Er entsperrt es und es ertönt ein Lied mit sehr viel Geschrei im Hintergrund.

„Kann ich mal das Video von dem Überraschungssiegers sehen?", fragt er mich plötzlich. „Klar, ich schicke es dir", antworte ich.

Nachdem er ein Video auf dem Handy und das andere am Computer angeschaut hat, scheint ihm etwas aufzufallen. Er starrt so konzentriert auf sein Handy, dass es fast schon lustig aussieht. „Komm mal", sagt er kurz darauf. „Komm du zu mir", antworte ich wie immer. „Geht schlecht! Mein Bein ist gebrochen." „Ich komme ja schon", gebe ich nach, „sind ja eigentlich keine drei Meter."

„Auf dem Video der Überwachungskamera sieht man dort eindeutig das Messer noch hinter allen Personen, die sich auf der Bühne befinden", beginnt Lucian zu erklären, „aber auf dem Video, dass Cindy mir gesendet hat, sieht man davon nichts. Da sieht man es erst vielleicht zwei Meter hinter Kyle auftauchen. Heisst, entweder ist auf diesem Video einfach der Winkel schlecht, oder die Kameras wurden gehackt und ein Messer auf das Bild dazu produziert."

„Du hast recht", sage ich und schaue mir beide Videos nochmals an, „auf dem Video von Cindy sieht man das Messer eindeutig nicht. Aber uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als auf das Video mit besserer Qualität zu warten." „Da hast du recht. Muss ich jetzt wieder Akten anschauen?", fragt Lucian.

Aber gerade als ich antworten will, kommt Girwidz herein. „Ich will, dass ihr beide nochmals zu dieser Konzerthalle fährt und alles genauestens anschaut. Irgendeine Spur muss es geben!" Ohne Widerspruch machen wir uns auf den Weg und kommen nicht viel später an.

„Was sollen wir hier denn sehen?", fragt Lucian frustriert, „hier waren doch schon genügend Leute, die alles genauestens durchsucht haben." „Es will einfach nicht in seinen Kopf, dass es auch Kriminelle gibt, die professionell vorgehen", antworte ich genauso frustriert.

„Was machen wir jetzt?", fragt Lucian. „Entweder schauen wir alles zum 1000 Mal an, oder wir machen einfach nichts. Wir werden schlussendlich zum gleichen Ergebnis kommen", antworte ich. „Okay. Ich entscheide mich für die zweite Variante", sagt Lucian und zieht sein Handy aus der Tasche.

Ungefähr zwei Sekunden später stöhnt er genervt. „Cindy hat mir geschrieben. Wo wir uns heute Abend treffen wollen. Was soll ich ihr jetzt sagen?" „Mach einfach etwas, worauf du Lust hast. Oder frag sie ob sie lieber irgendwo essen gehen will, oder ob sie in eine Bar gehen will", antworte ich ihm.

„Wir gehen jetzt in d' Channa. Pizza ist doch immer gut!", meint Lucian nach einem Moment. „Das stimmt!", antworte ich. „Wenn ich dir etwas Schreibe rufst du mich an und sagst, dass du mich dringend brauchst. Dann kann sie nichts dagegen machen." „Okay, mache ich."

Mordversuch auf der BühneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt