VIII. Kuss

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Ich erinnere mich noch an das erste Mal, dass wir uns küssten.

Wir saßen in einem Café, beide mit einer Eisschokolade versorgt. Am Tag zuvor hatte ich dir meine Liebe gestanden. Ich blickte mich um, wir beobachteten wieder Menschen. Auf der Straße liefen Paare vorbei. An den Tischen neben uns saßen Menschen, die sich verliebte Blicke zuwarfen, manchmal heimlich und manchmal nicht. Manche hielten Händchen und einige küssten sich sogar. Doch wenn das geschah, wandte ich peinlich berührt den Blick ab. Ich wollte niemanden in diesem eigentlich sehr intimen Moment stören.
Ich wollte niemandem beim Küssen zusehen, ich wollte es selbst tun. Plötzlich war die Welt voller Paare, voller liebender Menschen, die mir zuvor nie aufgefallen waren. Ich fragte mich, was du wohl gerade dachtest. Ob du in dem Moment die gleichen Erwartungen, die gleichen Wünsche hattest wie ich.
Doch ich sagte nichts in die Richtung. Ich wollte dich nicht drängen oder zu irgendetwas überreden, vor allem nicht hier, an einem öffentlichen Ort. Als wir beide ausgetrunken und gezahlt hatten, machten wir uns wieder auf den Weg zu dir nach Hause, der späte Nachmittag war schon angebrochen. Wir gingen die Treppe hoch, in dein Zimmer, und setzten uns aufs Bett. Niemand sagte etwas. Auf einmal war die Stimmung irgendwie seltsam. Ich dachte darüber nach, ob es gut oder eher schlecht seltsam war, aber kam nicht wirklich zu einem Ergebnis.
Du wandtest dich mir zu. Ich sah dich an. Blickte auf deine Lippen, die so unfassbar einladend wirkten. Die Reste der Eisschokolade in deinen Mundwinkeln taten dem auch nichts ab. Sie versicherten mir auf eine merkwürdige Art und Weise, dass ich das alles nicht zu ernst nehmen, dass ich es nicht zu sehr überdenken sollte. Wir kamen uns näher, unsere Gesichter nur noch eine Handbreit voneinander entfernt. Von außen musste das Ganze furchtbar dämlich aussehen. Doch das störte mich nicht im Geringsten, schließlich konnte es niemand von außen sehen und ich selbst war mittendrin.
Und dann taten wir es einfach. Unsere Lippen berührten sich und es war noch besser, als ich es mir ausgemalt hatte, als meine Vorstellung hergegeben hatte. Deine Lippen waren weich und passten perfekt auf meine. Ich schloss die Augen. Wären wir Charaktere einer Serie gewesen, hätten wir uns nun in einem Sturm aus Comiclaubblättern wiedergefunden. Es fühlte sich an, als könnte ich dieses unbändige Glück kaum überleben, mein Herz schlug sicher doppelt so schnell wie sonst. Es fühlte sich so gut an, der Person, die ich liebte, so nahe zu sein. Wir küssten uns sanft, fast vorsichtig. Und selbst wenn es objektiv betrachtet nicht perfekt gewesen wäre, in dem Moment konnte ich mir nichts Besseres vorstellen.
Deine Mutter rief von unten und bat dich, den Tisch fürs Abendessen zu decken. Wir trennten uns voneinander und saßen beide noch eine Weile still da, genossen schweigend. Dann gingen wir runter und selbstverständlich half ich dabei, das Geschirr und Besteck zu platzieren. Ich glaube, deine Mutter ahnte, dass etwas zwischen dir und mir passiert war, doch sie ließ sich nichts anmerken.

Das war das erste Mal, dass wir uns küssten.

Ich, du, wir, ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt