Ich erinnere mich noch an das erste Mal, dass wir Händchen hielten.
Wir hatten geplant, abends auszugehen. Und dann hattest du im Internet einen Poetryslam gefunden, der sich für uns beide gut anhörte. Du bestelltest Tickets und ich versprach, dir das Geld dafür bald zurückzugeben, obwohl du abwinktest. Ich habe es nie getan.
Wir waren schon eine halbe Stunde vor Beginn da und suchten uns die besten Plätze. Dritte Reihe in der Mitte. Dann holte ich Getränke für uns, Cola Zero und Sprite. Wir redeten darüber, wie es wohl werden würde. Und irgendwie war ich aufgeregt, im Gegensatz zu dir war ich noch nie bei einer derartigen Veranstaltung gewesen. Du postetest eine Story von der leeren Bühne und unseren Getränken auf Instagram. Unterwegs mit meinem Lieblingsmensch tipptest du als Text dazu und markiertest mich.
Dann betrat die Moderatorin die Bühne und der inzwischen gut gefüllte Saal verstummte nach und nach. Meine Gedanken schweiften ab, während sie redete, doch dann trat der erste Teilnehmer in mein Sichtfeld. Er begann zu sprechen und zog mich sofort in seinen Bann. Sein Text war berührend, handelte von den Schwierigkeiten und Ängsten, die ihn konfrontierten und konfrontiert hatten. Zwischen den Zeilen erzählte er, dass Vieles mit seinem trans sein zu tun hatte. Ich war mir nicht ganz sicher, ob dieses Thema für alle Zuhörenden so offensichtlich war. Als er geendet hatte, applaudierte ich so laut ich konnte, obwohl ich noch in einer seltsamen Art Trance gefangen war.
Die Tränen standen in meinen Augen, ich konnte nichts dagegen tun. Du bemerktest es und umarmtest mich. Aus irgendeinem Grund war es mir unangenehm und ich fürchtete mich vor dem, was die anderen denken würden. Doch dann machte ich mir klar, dass es gewissermaßen keine anderen gab, dass es keinen kümmerte, was ich, was wir taten. Sie waren alle gefesselt von dem Slam und konzentrierten sich nun auf die Bewertung, die es geben würde. Aber es war schon zu spät, du hattest meine Anspannung bemerkt und trenntest dich vorsichtig von mir. Stattdessen tastetest du nun nach meiner Hand, drücktest sie. Diesmal war es nicht zufällig, sondern ganz gezielt. Unsere Finger verschlangen sich ineinander. Du gabst mir Halt, spendetest mir Kraft.
So verharrten wir den restlichen Abend. Alle Texte waren gut, einige besser als andere, aber insgesamt war es so schön, wie es nur sein konnte. Die richtige Mischung aus herzzerreißend und albern, aus berührend und belanglos. Außerdem stellte ich fest, dass ich nicht die einzige Person war, die so emotional reagierte. Und das beruhigte mich, ließ mich entspannen. Schließlich wollte ich nicht als übersensibel oder verweichlicht abgestempelt werden, vor allem nicht von dir. Natürlich hätte ich mir denken können, dass du mich dafür nie verurteilt hättest.
Erst als das Licht wieder anging und wir uns auf den Rückweg machten, endete unsere Berührung. Wir waren beide noch nicht so weit, es darauf anzulegen, dabei gesehen zu werden, wie wir uns an den Händen hielten. Ein wenig bedrückte mich dieser Gedanke zwar, doch ich verdrängte ihn. Wir gingen zusammen heim, inzwischen wohnte ich ja praktisch bei dir.Das war das erste Mal, dass wir Händchen hielten.
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Ich, du, wir, ich
Teen FictionWenn man zu Hause rausgeworfen wird, ist das Leben nicht gerade einfach. Es erscheint einem unfair. Wenn man dann die Liebe seines Lebens kennenlernt, lässt das die Sorgen vorübergehend verblassen. Doch nichts währt ewig und nichts ist so perfekt, w...