4. I'm not losing our track

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In der Nacht schlief ich nicht gut. Diverse Alpträume zogen sich durch die Dunkelheit, ließen mich schweißgebadet aufwachen. Völlig gerädert griff ich am Morgen nach meinem Telefon, dass unaufhörlich klingelte. Ich griff neben mich und fluchte, als ich das Handy nicht sofort fand. Shit! Pat per face time. Ich berührte das Display.

„Good morning sunshine..." flötete er gut gelaunt.

„Hey", kam nur aus meinem Mund. Meilenweit entfernt von sunshine.

„Was ist los? Geht's dir nicht gut?" Besorgt sah er mich an.

„Ach alles gut", versuchte ich mit einem gequältem Lächeln zu lügen, „ich hab kaum geschlafen, weiß auch nicht....was machst du?"
Ablenken, ich lernte vom Profi. Es funktionierte tatsächlich.
Er erzählte von dem Konzert in der Berliner Waldbühne, gleich geht es weiter nach Dresden, dann nach...ach was weiß ich. Ich hörte irgendwann nicht mehr zu, sah nur noch, wie sich seine Lippen bewegten.

„Was machst du heute, Hon?", zwang er mich, doch noch ins Gespräch einzusteigen.

„Ach, ich treffe mich mit Joey und Tanja, die beiden sind doch für ein paar Tage hier in München. Mal sehen, was wir machen.... Pat, das hatte ich dir doch erzählt....hast du das etwa vergessen?"
Die Antwort konnte ich mir selbst geben.

Im Hintergrund sah ich Pino, Patricks Manager hektisch umherlaufen. Er winkte mir kurz zu. Und es war klar, dass das Gespräch gleich beendet wird.

„Love ya", lächelte er mir zu und weg war er.

Ich ließ mich wieder aufs Bett zurückfallen. Noch fünf Konzerte bis zu unserem Urlaub. Ich betete, dass es schnell vorüber geht und wir endlich Zeit miteinander hatten. Zeit, damit ich endlich gemeinsam mit ihm meine Gedanken ordnen konnte.

🖤

Natürlich wusste ich, was ich mit Joey und Tanja machen wollte. Die beiden hatten für mich ein Haus in Irland angesehen. Kira hatte mir zuerst davon erzählt. Ein kleines Häuschen an einem See, Wald und Wiesen drum herum, das Meer in unmittelbarer Nähe. Schon eher wie aus diesen kitschigen Sonntagabendromanzen in TV.

Als ich es mir vor einiger Zeit auf meinem heimlichen Kurztrip angesehen hatte, war ich sofort verliebt. Es hatte etwas magisches, etwas, was ein zu Hause eben nicht nur praktisch macht, sondern lebendig, warm und liebenswert. Allein der Garten war traumhaft. Es gab einen alten Obstbaumbestand, mehrere kleine versteckte Nischen, einen kleinen Wintergarten. Das Haus selbst war alt und ohne meinen verklärten Blick sicherlich eher die Kategorie "Fass ohne Boden", aber das sah ich nicht. Ich hatte die Version von meinem Traum vor Augen, die sich wunderbar, wie ein Transparent über diesen Ort legen ließ.
Dass der Zeitpunkt für einen Hauskauf in meiner gedanklichen Verfassung nicht perfekt war, verdrängte ich einfach. Und irgendetwas in mir trieb mich an, den Plan weiter zu verfolgen.

Ich hätte das Haus auch sofort gekauft, wenn nicht Angelo dazu riet, es noch einmal realistisch (er betonte dieses Wort extra deutlich) einschätzen zu lassen. Und wenn schon jemand aus dieser riesigen Familie von Häusern und Renovierung eine Ahnung hatte, dann Joey. Er war auch derjenige, der mir von seinen Geschwistern am nächsten stand, mit dem Patrick den meisten Kontakt hatte. Ich mochte ihn für seine ungekünstelte Art, seine absolute Ehrlichkeit. Seine Frau Tanja war neben Angelos Frau Kira eine sehr gute Freundin für mich geworden, so dass ich mich unheimlich freute, sie wiederzusehen.

Wir waren zum Mittag essen verabredet, die beiden wollten mich abholen.

Als ich aufstehen wollte, drehte sich alles. Ich fühle mich nicht gut, schob dies auf den Schlafmangel der letzten Nächte. Beim zweiten Versuch ging es besser. Ich machte mich fertig und wartete. Ich trank einen Kräutertee, der wirklich so scheußlich schmeckte, wie er roch, aber meinen Magen beruhigte. Eigentlich war ich ja eher Kaffeetrinkerin, aber heute morgen bekam ich diesen überhaupt nicht runter. Komisch, vielleicht werde ich krank. Das fehlt mir noch, dachte ich, als es auch schon klingelte.

Als wir beim Essen saßen, wurde es nicht wesentlich besser. Nicht einmal mein Lieblingsessen schmeckte mir. Irgendwie fühlte ich mich auch so unwirklich in diesem Raum. Alles wirkte so dumpf, so weit weg.

„Ist alles ok?", fragte Tanja besorgt.

„Ach, ich weiß nicht, ich fühle mich nicht besonders. Zu wenig Schlaf”.

Tanja war mal Krankenschwester und konnte gar nicht anders, als nachzufragen.
Als Joey kurz zur Toilette ging, nutzte sie ihre Chance.
Und so erzählte ich ihr von dem Stress in der letzten Zeit, der schweißgebadeten Nacht, dem Übergeben. Tanje grinste.

„Was denn?"

„Na, aber schwanger bist du nicht, oder?", fragte sie und nippte an ihrem Cappuccino.

„Äh, was? Nein. Das ist völlig ausgeschlossen", stellte ich klar, aber jetzt wo sie es ausgesprochen hatte, kam ich ins Grübeln.
War es wirklich ausgeschlossen?

„Jetzt zeig mir lieber noch ein paar Fotos", sagte ich, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen.

„Glaubt ihr, es würde ihm gefallen?"

Es war wirklich völlig verrückt, was ich hier vor hatte, aber dieses Haus ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich wollte unbedingt weg aus dem schrecklichen München, aus dieser Wohnung. Sich frei bewegen können, ohne Verkleidung aus dem Haus gehen. Ohne irgendwelche Selfie-Menschen, die plötzlich aus dem Nichts auftauchten. Was neues wagen, an mich denken. Und damit würde ich anfangen.
Ein Haus in Irland, seiner Heimat. In diesem unbeschreiblich schönem Land, in das ich so verliebt war. Ein richtiges zu Hause, mit Seele.

Joey, der inzwischen wieder am Tisch saß, nickte, sah aber eher skeptisch aus.

„Du weißt aber, dass hier viel getan werden muss? Und Paddy ist... naja... nun nicht gerade ein Handwerker", schmunzelte er.

Ich lachte, nein, das war er wirklich nicht. Aber man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben.

„Wenn ihr Hilfe braucht, dann bin ich natürlich da. Und ich kenne da genügend Leute, die anpacken würden...".

Dann soll es wohl so sein. Ich fühlte mich gut bei dem Gedanken, wenigstens einem Traum näher kommen zu können.
Ich war so gespannt, wie er reagieren wird, wenn wir das Haus in unserem Urlaub ansehen werden. Könnte er sich das vorstellen? Ich meine, es war ja klar, dass wir beide aus München weg wollten. Aber über ein anderes Land hatten wir noch nicht gesprochen. Letztendlich würde ich ja doch die meiste Zeit dort alleine wohnen, also was sollte er dann schon dagegen haben?

Mit diesem Gedanken schlief ich ein.
In der Nacht wachte ich erneut verschwitzt auf. Mir war schlecht und ich fühlte mich schlapp. Und dachte wieder an Tanjas Vermutung.
Was, wenn es stimmte und ich schwanger wäre? Nein, das ist ja Quatsch.

Dennoch ging ich am nächsten Morgen in die Apotheke und holte mir einen Test. Auf der Arbeit hatte ich mich krankgemeldet.
Drei Minuten warten. Puh, die Zeit verging einfach viel zu langsam. Der Test wertete weiter aus. Balken für Balken.
Ich schaute aus dem Fenster. Was tue ich hier eigentlich? Ich meine, wir hatten schon länger nicht über das Thema Kinder gesprochen. Und ich nehme doch....ach du scheiße! fuhr es mir durch den Kopf. Nehme ich nicht. Völlig vergessen.
Vor London hatte ich die letzte Packung aufgebraucht, wollte mir ein neues Rezept holen. Was ich wohl offensichtlich vergessen habe. SCHWANGER, stand nun klar und deutlich auf dem Display. Ich starrte die Buchstaben an, nochmal und nochmal. Dann lächelte ich, mir liefen die Tränen vor Freude. Konnte das sein, dass meine Träume plötzlich alle zum Greifen nah waren?
Doch im nächsten Moment überkam mich die Panik. Wie sollte in dieses Leben ein Kind passen? Wie würde er reagierten? Aber vielleicht war es auch ganz einfach?

Ich beschloss, es genauso wie das Haus erst einmal für mich zu behalten. In unserem Urlaub werde ich es ihm erzählen, in Ruhe und nur wir beide. Vielleicht an unserem Haus...
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Dann gab es jetzt wohl schon zwei Überraschungen, die auf ihn warteten.

Holding our course (?) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt