Kapitel 5

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Ich stand auf dem Feld und konnte das Getreide fühlen, dass meine Beine sanft strich, während es im leichten Rhythmus des Windes wehte. Da war Mum, sie stand nur ein paar 100 Meter von mir entfernt, ihre langen braunen Haare wehten im Wind und ihr Blick schweifte über das Feld, bis zu mir.
"Mum!" Rief ich und lief so schnell ich konnte zu ihr rüber. Als ich sie erreicht hatte, sagte sie: "Leni meine Große, du bist nicht schuld. Ich habe dich lieb."
"Woran bin ich nicht schuld?"
Da verschwand alles um mich herum und ich stand in unserer Garage und da war wieder Mum, nur diesmal lag sie reglos auf dem Boden. Blutverschmiert.
Ich bekam Panik und konnte kaum noch atmen. Alles verschwamm.
Da schrekte ich hoch. Mein Herz pochte immer noch, wie wild, während ich in mein Zimmer blickte. Es war ein Albtraum gewesen. Zum Glück nur ein Albtraum und keine Realität.
Da klopfte es an meiner Tür und ich zuckte appruppt zusammen.
"Ja?" Fragte ich zögerlich.
Da öffnete meine Tante Candice meine Zimmertür und luckte ins Zimmer.
"Alles okay Süße?" Sie klang besorgt.
"Ähm...ja, warum?" Ich wollte ihr nicht sagen, dass ich von Mum träume...es war schon fünf Tage her, dass sie gestorben ist und trotzdem sah ich sie ständig in meinen Träumen. Am Anfang war es schön. Ich sah die schönen Dinge, die wir zusammen erlebt hatten, bis die Albträume anfingen.
"Du hast eben nach deiner Mum gerufen..."
"Oh...ähm...ich bin ok, mach dir keine Sorgen."
"Sag aber bescheid, falls du etwas brauchst. Kommt beide bitte in einer halben Stunde nach unten, wir möchten euch etwas sagen." Sie klang etwas bedrückt. 
"Ok."
Zögerlich schloss sie meine Tür wieder.
Morgen war Mums Beerdigung. Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte. Einerseits war ich unbeschreiblich traurig. Ihr Verlust war das Schlimmste, dass ich je erlebt habe, andererseits bin ich aber auch...ich weiß nicht, wie ich es sagen soll...ich weiß einfach, dass Mum nun ihren Frieden gefunden hat und ein glückliches Leben hatte. Vielleicht schaut sie uns gerade zu, vielleicht ist sie aber auch ganz woanders. Ich weiß es einfach nicht.
Candice und George haben gesagt, wenn ich möchte, dann kann ich eine Grabesrede für Mum halten. Ich habe schon gefühlt tausend Zettel zerknüllt und in den Papierkorb geworfen, weil ich einfach nicht wusste, was ich schreiben soll und wie ich anfangen soll, aber dann habe ich einfach an Mum gedacht. An ihr Lächeln, ihre Lebenseinstellung, mum eben...
Ich werde die Rede nicht aufschreiben, sondern einfach das sagen, dass mir in dem Moment über die Lippen kommt, wenn ich an Mum denke.
Ich kann mich aber immer noch nicht damit abfinden, dass Mum nie mehr zurückkommen wird. Sie wird uns nie wierder in den Arm nehmen, nie wieder werden wir ihr Lächeln sehen, sie wird nie wieder mit uns einen Familientag verbringen, wir werden sie nie wieder sehen. Das ist einfach undenkbar. Mir stiegen schon wieder Tränen in die Augen.
Nein! Denke ich mir. Mum würde nicht wollen, dass ich traurig bin. Sie würde wollen, dass unser Leben weitergeht und wir glücklich sind und sie nicht unaufhörlich betrauern, also quälte ich mich aus meinem Bett, wischte meine Augen trocken und lief rüber zu meinem Kleiderschrank.

Nachdem ich mein Shirt gewechselt und meine Zähne geputzt hatte, ging ich nach unten, wo schon Liam, Candice und George am Küchentisch warteten.
"Wir haben uns gedacht" begann meine Tante, als ich mich zu ihnen gesellte "da ihr ja noch nicht volljährig seid und ihr hier noch nicht alleine leben dürft, dass ihr mit zu uns kommen könntet. Ihr würdet beide wieder euer eigenes Zimmer haben und könntet immer noch auf die selbe Schule gehen. Wir wohnen ja nur 15 Kilometer entfernt."
"Aber hier ist unser zu Hause und hier sind die Erinnerungen an Mum!"
Liam hörte sich wütend an.
"Ich verstehe das, aber ihr könnt ja nicht für immer hier wohnen bleiben."
"Aber so lange, wie es möglich ist." Liam stand auf und stapfte hoch in sein Zimmer.
Candice entfuhr ein Seufzer.
"Wann ziehen wir denn um?" Fragte ich.
"Am besten bringen wir schon heute ein paar Sachen von euch rüber und schlafen schon mal dort. Eure Zimmer sind ja schon eingerichtet, weil ihr öfters mal bei uns geschlafen habt."
"Ok, ich werde schon mal etwas packen." Ich stand auf und machte es Liam gleich.
Als ich ein paar meiner Schachen in Kisten warf, fiel mir ein Bild von Mum und mir in die Hand. Sie sah so glücklich aus, so voller Leben. Es schmerzte mich und ich verstaute es behutsam bei den Sachen, die ich mitnahm, während ich mich im Kopf schon mal auf die Beerdigung morgen vorbereitete.

Nachdem meine Sachen schon im Auto lagen, ging ich noch einmal hoch zu Liam. Ich hatte ihn seit er vorhin Wut entbrannt die Küche verlassen hatte nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er hatte sich in seinem Zimmer verschanzt.
Ich klopfte mit den Fingerknöcheln gegen die Holztür und wartete auf eine Antwort, die leider nicht kam, weshalb ich die Tür nach einiger Zeit einen Spalt öffnete und hereinlugte.
"Geh weg." Hörte ich eine zusammengekauerte Gestalt auf dem Bett sagen.
Ich kam rein und machte einen Satz zum Bett. Dann setze ich mich auf die Bettkannte und streichelte Liam über den Rücken.
"Hey, es ist okay traurig zu sein und mum zu vermissen."
Eine Träne löste sich aus Liams Auge und ich hörte ein Schluchzen, also schlang ich meinen Arm um ihn und drückte ihn fest an mich.
"Ich vermisse mum auch und es ist okay, dass du das Haus hier nicht aufgeben möchtest."
Nach einer Weile sagte Liam mit zittriger Stimme: "Ich möchte wenigstens noch diese Nacht hier verbringen. "
"Okay, dann werde ich heute Nacht auch noch hier bleiben." Sagte ich.

Heute Abend konnte ich nicht sehr gut einschlafen, weil ich die ganze Zeit über Mums Beerdigung Morgen nachdenken musste.

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